Der Ölpreis ist attraktiv

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Wer die Eigenheiten des Marktes näher kennt, sollte den günstigen Einstieg bei Branchenaktien nutzen.

Wien. Ein wenig paradox erscheint es schon. Während der Ölpreis der Nordseemarke Brent sich binnen sechs Monaten mehr als halbiert hat – auf ein Zwischentief im Jänner von 48 Dollar–, wird derzeit so viel von dem schwarzen Gold konsumiert wie nie zuvor.

Laut der Internationalen Energieagentur wurden noch vor gut vier Jahrzehnten täglich 56 Millionen Fass pro Tag verbraucht, inzwischen übersteigt die Menge täglich 90Millionen. Wobei die größten Konsumenten die USA und China sind, was auch wenig verwunderlich ist. Denn der Großteil des Rohöls wird für Treibstoffe verwendet, vor allem also von „Autofahrernationen“ nachgefragt.

Doch im Vorjahr hatte sich die Nachfrage unerwartet abgeschwächt. Grund war die Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums. Zugleich lief vor allem die US-Schieferproduktion auf Hochtouren. Allein 2014 wurde der globale Ölmarkt deshalb mit zusätzlichen 1,8 Millionen Fass pro Tag versorgt– was dem weltgrößten Ölförderer Saudiarabien zunehmend ein Dorn im Auge gewesen sei, erklärt Amrita Sen, Chef-Ölanalystin beim UK-Consulter Energy Aspects.

Insgesamt machen die USA rund elf Prozent der weltweiten Förderung aus, wobei ein Großteil aus Schieferöl kommt. Nicht ohne Grund griff Saudiarabien deshalb zu ungewöhnlichen Maßnahmen, wie Sen aufzeigt: „Das Land beschloss erstmals, keinen weiteren Produktionskürzungen zuzustimmen, obwohl dies in der Vergangenheit beinahe schon eine Selbstverständlichkeit war, sobald der Ölpreis unter 100Dollar rutschte.“

Die Opec macht derzeit rund 33 Prozent des Weltölmarkts aus, sitzt aber auf dem Großteil der nachgewiesenen Reserven. Der Überraschungseffekt war jedenfalls gelungen, für die Ölpreisbären hieß es „freie Talfahrt“.

Schöne Dividendenrenditen

Das hat inzwischen gravierende Auswirkungen auf die Branche. Laut Sen werden derzeit viele Projekte auf Eis gelegt und Investitionen gekürzt. In der Schieferproduktion dürften die Kürzungen sogar bei minus 30 Prozent liegen. Das ist nicht alles, wie RCM-Ölanalyst Hannes Loacker aufzeigt: „Die Anzahl der Ölbohrtürme in USA schrumpft kräftig. Seit Oktober 2014 hat sie sich praktisch halbiert.“ Damit dürfte es wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Maßnahmen sich auf den Preis auswirken. Spätestens bis Jahresende könnte der Brent-Preis laut Loacker rund 70 Dollar erreichen. Die US-Energiebehörde sieht diesen Wert erst 2016 erreicht.

Ein guter Grund, sich Branchenaktien näher anzusehen. Zumindest bei den großen, integrierten Ölmultis könne man schon jetzt einsteigen, meint Loacker. Dabei sei laut dem RCM-Ölexperten schon allein die ansehnliche Dividendenrendite ein gutes Argument.

Und tatsächlich, in den USA kann man etwa bei Chevron derzeit mit 4,18 Prozent rechnen, bei Exxon mit 3,40Prozent. In Europa wartet Royal Dutch mit einer Dividendenrendite von 5,85 Prozent auf, bei Total beträgt sie 5,27Prozent. „Das Fördergeschäft wirft angesichts des tiefen Ölpreises zwar weniger Gewinne ab, das wird aber zum Teil von steigenden Raffineriemargen abgefedert.“ Denn bei niedrigeren Treibstoffkosten wird in der Regel mehr getankt.

Joseph McGann, Senior Energy Investment Analyst bei NN Investment Partners, fügt hinzu: „Die Zeiten, in denen die großen Ölmultis um jeden Preis wachsen wollen, sind vorbei. Viele machen erfolgreich ihre Hausaufgaben.“ Vorsichtig ist McGann derzeit noch bei Ölserviceunternehmen. Gerade sie bekämen die massiven Einsparungen bei Projekten zu spüren. Wobei etablierte Firmen wie Halliburton, Schlumberger und Baker Hughes die sinkenden Gewinnmargen noch am ehesten verkraften würden, zumal bei diesen Gesellschaften die kostspielige Ausrüstung von Tiefseeprojekten nur einen kleinen Anteil vom Gesamtgeschäft ausmache.

Auch bei einem Investment in reine Ölproduzenten würde Loacker bis zum dritten Quartal warten. „Sie brauchen einen weit höheren Preis, um profitabel zu wirtschaften.“ Dazu zählen EOG, einer der größten US-Schieferproduzenten, und die norwegische Statoil. Anleger, die auf Nummer sicher gehen möchten, können auch Ölpipeline-Gesellschaften wie Kinder Morgan näher betrachten. Mit dem börsengehandelten Fonds ETFS US Energy Infrastructure MLP GO UCITS ETF kann man auf einen ganzen Korb an US-Infrastruktur (Transport, Lagerung) setzen.

Was Sie beachten sollten bei... Ölaktien

Tipp 1

Schwankungen. Erratische Kursschwünge sind beim Ölpreis keine Seltenheit. Rückschläge von 50 Prozent und mehr sind rasch möglich, wie die jüngste Vergangenheit wieder einmal gezeigt hat. Genauso schnell kann es dafür aber mit dem Preis wieder nach oben gehen. Und das sollten Anleger bei einem Brancheninvestment keinesfalls unterschätzen.

Tipp 2

Streuung. Der Kauf einzelner Ölaktien kann riskant sein, vor allem, wenn es sich nicht um etablierte Konzerne handelt. Gerade bei einem tiefen Ölpreis plagen sich viele kleine Unternehmen, wirtschaftlich zu agieren, Projekte werden auf Eis gelegt. Mit einem Branchenfonds lässt sich hingegen eine vernünftige Streuung erzielen.

Tipp 3

Politikum. Der Ölpreis reagiert nicht nur auf eine Veränderung der globalen Nachfrage, die vor allem von der Transportindustrie angekurbelt wird. Vielmehr lassen auch große Förderländer, vor allem Saudiarabien, gern ihre Muskeln spielen, um Einfluss auf die Preisentwicklung zu nehmen. Das sollten Anleger ebenfalls im Auge behalten.

Tipp 4

Zweiteilung. Die zwei wichtigsten globalen Preisnotierungen sind in Europa die Nordseemarke Brent, in den USA das sogenannte WTI (West Texas Intermediate). Aufgrund der großen Menge an Schieferöl wird der WTI-Preis meist mit einem Abschlag zum Brent-Preis gehandelt. Letztendlich bewegen sich aber beide Notierungen grundsätzlich im Einklang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2015)

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