Schlimmstes Aktienquartal seit vier Jahren

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Chinaflaute, Zinsängste und VW-Skandal waren ein Cocktail, der den Anlegern im Sommer gar nicht schmeckte. Aktien sind nun billiger, doch raten Experten, bei der Schnäppchenjagd gezielt vorzugehen.

Wien. Wer einer alten Börsenregel gefolgt ist und im Mai verkauft hat, hat gut daran getan. Wer im September in den Markt zurückgekehrt ist, wie der Spruch ebenfalls nahelegt, weniger. Nach dem fulminanten Jahresauftakt war schon das zweite Vierteljahr für die Märkte nicht berauschend. Die Hoffnung mancher, im dritten Quartal könnten die Kurse wieder zu ihren Höchstständen aus den ersten Monaten aufschließen, wurde bitter enttäuscht.

Die Angst vor einer Abschwächung in China, der Verfall der Rohstoffpreise, die Unsicherheit wegen der geplanten US-Zinserhöhung und zuletzt der Abgasskandal um Volkswagen bescherten der Frankfurter und der New Yorker Börse das verlustreichste Quartal seit vier Jahren. Im Sommer 2011 hatten Ängste vor einer Eskalation der Euro-Schuldenkrise und einem Zerfall der Eurozone die Aktienmärkte nach unten gerissen.

Rohstofftitel stürzten ab

Nun kam es ähnlich schlimm. Die VW-Aktie etwa hat sich in den drei Monaten mehr als halbiert. Die ohnehin gerupften deutschen Versorger, die unter dem Atomausstieg leiden, gaben um weitere 47 Prozent (RWE) und 36 Prozent (E.On) nach. Der DAX rutschte um fast zwölf Prozent ab und lag zuletzt um mehr als ein Fünftel unter seinem im April eingestellten Allzeithoch.

Rohstoffwerte drückten die Londoner Börse tief ins Minus: Glencore hat sich in nur einem Quartal auf Eurobasis um zwei Drittel, Anglo American um 42 Prozent verbilligt. Kaum eine der bedeutenden Börsen konnte sich dem Abwärtstrend entziehen, besonders schlimm erging es den Marktplätzen in Shanghai und Hongkong.

Kann man jetzt auf Schnäppchenjagd gehen? Anlageexperten beteuern, dass Aktien attraktiver sind als Anleihen, was angesichts der niedrigen Zinsen und einer Dividendenrendite von zuletzt mehr als drei Prozent bei europäischen Aktien wohl nicht ganz unrichtig ist. Allerdings nur, wenn die Wirtschaft nicht einbricht und die Unternehmen ihre Dividenden nicht deutlich kürzen müssen.

Zinsen dürften niedrig bleiben

Gemessen an Kriterien wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sind Aktien im historischen Vergleich nicht günstig. Jakob Frauenschuh, Direktor des Asset Managements der Schoellerbank, verweist in einem Analysebrief darauf, dass die KGVs in den Siebzigerjahren im einstelligen Bereich lagen, nicht bei 20 und darüber wie heute. Doch seien damals die Zinsen auf Rekordhöhen gestiegen, zehnjährige US-Staatsanleihen boten Renditen von bis zu 15 Prozent. Dagegen sahen Aktien nicht wirklich attraktiv aus. Heute ist das anders. Der Experte zitiert den Investor Warren Buffett: „Bei normalen Zinsen sind Aktien zu diesen Preisen eher teuer. Aber wenn wir in zehn Jahren noch immer so niedrige Zinsen haben, sind Aktien extrem billig.“ Die Frage laute, ob sich die Volkswirtschaften überhaupt wesentlich höhere Zinsen leisten könnten. Für Europa laute die Antwort nein, doch auch die USA müssten vorsichtig sein. „Bemerkenswerterweise ist es gerade eine pessimistische Sicht auf Wachstum und Inflation, die zu Aktien rät“, meint Frauenschuh. In einem solchen Umfeld sollte man aber von Small Caps, Rohstofftiteln und Aktien aus den Emerging Markets, eher die Finger lassen und Qualitätsaktien mit starken Wettbewerbsvorteilen bevorzugen.

Auch bei der Wiener Privatbank zieht man Aktien den Anleihen vor. Derzeit hält Wolfgang Matejka, Chief Investment Officer der Wiener Privatbank, Titel aus den europäischen Peripheriestaaten, die wieder auf Wachstum geschaltet haben, für interessant. Unter den Sektoren sieht er gute Chancen für Infrastruktur- und Bauaktien. „Hier gibt es keine Krise, vielmehr wird der Investitionsstau aktiv angegangen.“

Was Sie beachten sollten bei . . . Aktien

Tipp 1

Streuen I. Ob die Aktienkurse den Boden erreicht haben oder noch weiter nach unten rutschen werden, kann niemand vorhersagen. Deswegen ist es ratsam, nicht das ganze Vermögen in Aktien zu stecken. Neben Anleihen kann auch ein Teil in griffbereitem Bargeld nicht schaden. Dieses bringt zwar keine Zinsen, erlaubt einem aber, beim Investieren flexibel zu sein.

Tipp 2

Streuen II. Innerhalb des Aktieninvestments sollte man nicht alles auf eine Karte setzen. Sonst läuft man Gefahr, von einer unternehmensspezifischen Krise – wie dem kürzlich ausgebrochenen VW-Abgasskandal – überdurchschnittlich schlimm getroffen zu werden. Sicherer sind Fonds oder mehrere Einzeltitel unterschiedlicher Regionen und Branchen.

Tipp 3

Auswahl. Ob man eher defensive Aktien (Nahrungsmittel, Pharma) oder zyklische (Autohersteller, Rohstoffwerte) bevorzugt, hängt von der persönlichen Konjunkturerwartung ab. Wenn man sich diesbezüglich nicht sicher ist – was ja auch die Experten nicht sind –, tut man gut daran, sowohl in Zykliker als auch in defensive Titel zu investieren.

Tipp 4

Anlagehorizont. Wer Aktien mehrere Jahre lang hält, sollte auf fundamentale Kriterien (Wachstumsaussichten, stabile Gewinnsteigerungen) achten. Unmittelbar ist man auch bei solchen Aktien vor Kursrückgängen nicht gefeit. Umgekehrt erleben gerade stark abgestürzte Aktien kurzfristig oft steile Kurssprünge. Das bedeutet nicht, dass sie langfristig attraktiv sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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