Die Angst der Märkte vor dem Brexit

(c) Bloomberg (Jason Alden)
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Falls sich die Briten im Juni für einen Austritt aus der EU entscheiden, hätte das neben ökonomischen vor allem politische Folgen. Die Unsicherheit würde zunehmen - und genau das mögen die Börsen gar nicht.

Wien. Es könnte knapp werden am 23. Juni. Einer Umfrage des ICM-Instituts zufolge würden sich derzeit 44 Prozent der Briten gegen einen Austritt ihres Landes aus der EU aussprechen, 43 Prozent sind für den sogenannten Brexit. Der Rest ist unentschlossen.

Die Nerven liegen blank – nicht nur in Großbritannien selbst, wo sich Londons Bürgermeister, Boris Johnson, ein Austrittsbefürworter, und Jeffrey Evans, der der Londoner City vorsteht, heftige Wortgefechte liefern. Evans wirft Johnson vor, „unwillkommene und schädliche Signale an Investoren“ auszusenden. Die City, die einen der wichtigsten Börsenplätze weltweit beherbergt, fürchtet, dass im Fall eines EU-Austritts ihre Bedeutung massiv schrumpfen könnte.

Unternehmer in Sorge

Auch ist Großbritannien mit seinem hohen Leistungsbilanzdefizit auf ausländische Investoren angewiesen. Andererseits könnte ein schwächeres Pfund – allein die Möglichkeit eines Brexit hat die britische Währung in den vergangenen Monaten nach unten gedrückt – die Exportwirtschaft des Landes stützen. Laut einer Deloitte-Umfrage sehen britische Finanzvorstände in einem Brexit jedoch die derzeit größte Gefahr für ihr Unternehmen, noch vor einer Konjunkturschwäche im Euroraum und einem Abflauen der Nachfrage in Großbritannien. Die Angst vor dem Referendum schränke demnach bereits jetzt die Risikobereitschaft der Unternehmen ein, bei Investitionen oder Kapitalerhöhungen herrscht größere Zurückhaltung als sonst.

Die Unsicherheit findet auch auf dem Arbeitsmarkt ihren Niederschlag: Einem Bericht des Berufsverbands für Personalvermittlung zufolge schrecken Unternehmen zunehmend davor zurück, Mitarbeiter unbefristet einzustellen, und setzen stattdessen auf befristete Verträge. Als Ursache führt man die Unsicherheit wegen der Volksabstimmung über einen Austritt aus der EU an.

Ein EU-Austritt würde Großbritannien mehr schaden als dem restlichen Europa, meinen die Experten des Münchner Ifo-Instituts. Doch auch die anderen Länder bekämen es zu spüren, wenn der Freihandel gestoppt und wieder Zollschranken errichtet würden. Doch auch wenn die Beziehungen Großbritanniens zur EU so geregelt würden wie mit der Schweiz, könnte es Jahre dauern, bis die Verträge aufgestellt sind.

Doch hätte ein Austritt nicht nur ökonomische, sondern vor allem politische Auswirkungen. „Der weltweite politische Einfluss der EU würde sinken, und die EU-kritischen Stimmen in anderen Ländern wären gestärkt, was weitere Abstimmungen oder gar Austritte zur Folge haben könnte“, fürchten die Experten der Raiffeisen Bank International.

Ariel Bezalel, Fondsmanager bei Jupiter Asset Management, hält indes die langfristigen ökonomischen Auswirkungen eines Brexit für weniger gravierend, ein schwächeres Pfund könnte sogar die Exporte der Insel stützen. Doch hätte ein solcher Schritt das „Potenzial, einen globalen Schock auszulösen, der für erhebliche Volatilität bei Risikoaktiva sorgen würde“. Risikoaktiva: Das sind unter anderem Aktien und Hochzinsanleihen.

Unsicherheit in Europa

Denn nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU könnten Anti-Establishment-Bewegungen in ganz Europa Aufwind bekommen, schreibt Bezalel in einem Marktkommentar. Es könnte sich die „existenzielle Frage nach der Zukunft des europäischen Projekts“ stellen. Und eines mögen die Börsen überhaupt nicht – Unsicherheit.

Das Britische Pfund befindet jetzt schon auf Sinkflug. Allein seit Jahresbeginn hat es zum Dollar um knapp fünf Prozent und zum Euro um mehr als acht Prozent nachgegeben. Ein Pfund kostet derzeit 1,4 Dollar. Anfang März war es kurzfristig unter diese Schwelle und damit auf ein neues Fünfjahrestief gefallen. Einer Bloomberg-Umfrage vom Februar zufolge glauben 29 von 34 befragten Ökonomen, dass die britische Währung im Fall eines Brexit innerhalb einer Woche auf oder unter 1,35 Dollar absacken würde, das wäre das niedrigste Niveau seit 1985. Sieben Experten erwarten sogar einen Einbruch der britischen Währung unter die Marke von 1,20 Dollar. Die britische Notenbank würde auf ein Austritts-Votum mit einer Zinssenkung reagieren, meint Enrique Diaz-Alvarez, Chief Risk Officer von Ebury Partners, einem Brokerhaus mit Sitz in London. Er hat den Euro-Pfund-Wechselkurs im zweiten Quartal 2015 einem Bloomberg-Ranking zufolge am korrektesten vorhergesagt.

Der Schwäche des Britischen Pfunds verdanken es Aktionäre aus Großbritannien allerdings, dass ihre Aktien nicht noch viel mehr an Wert verloren haben: Der FTSE-100 hat seit Jahresbeginn (auf Pfund-Basis) fast nichts verloren, lediglich Bankwerte wie Barclays oder die Royal Bank of Scotland hat es mit Abgaben von mehr als 30 Prozent schlimmer erwischt. Jupiter-Fondsmanager Bezalel setzt dennoch auf Bankaktien: Man ziehe britische Banken ihren Pendants in der Eurozone vor, „da wir sie – im Großen und Ganzen – für die gesündesten Banken in Europa halten“. Zu den von ihm bevorzugten Banktiteln zählen Lloyds, RBS, Nationwide, Coventry und Barclays.

Doch überlagert bei dem rohstofflastigen FTSE-100 derzeit ein andere Thema die Brexit-Angst: die Erholung der Rohstoffwerte. Die Unternehmen, deren Aktionäre seit Jahresbeginn am meisten verdienen konnten, waren Anglo American, Randgold und Glencore. Auch der Silberminenkonzern Fresnillo fand sich unter den Top-Performern. Das riss den großen Index nach oben. Der breiter gefasste FTSE-250 gab hingegen sogar auf Basis des schwachen Pfunds um 3,5 Prozent nach.

Rohstoffe ziehen Index hoch

Ohne Rohstofferholung gäbe es auch für den Großkonzerne-Index Verluste. Indes glauben einige, dass bei britischen Aktien der Brexit schon ein wenig vorweggenommen ist, es im Fall des Falles also nicht mehr viel schlimmer kommen würde. Anders bei Aktien aus anderen europäischen Ländern, die von diesem Thema bisher noch weniger tangiert wurden: „In Mitleidenschaft gezogen würden nicht nur britische Unternehmen, sondern auch kontinentaleuropäische“, sagte Analyst Vincent Cassot von der Société Générale zu Bloomberg.

Als Absicherung gegen Brexit-Risiken (die man freilich nicht als zentrales Szenario sehe) rät er zu Put-Optionen auf den europäischen Aktienindex Euro Stoxx 50 und den britischen FTSE. Denn während Investoren mögliche negative Auswirkungen auf britische Aktien bereits fürchten, werde das Risiko für europäische Aktien und den Euro unterschätzt, der ebenfalls zum Dollar verlieren sollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2016)

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