Börse: Der Mai ist da - ein Grund zur Sorge?

(c) Bloomberg (Victor J. Blue)
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Die nächsten Börsenmonate könnten schwierig werden. Statistisch gesehen sind die Sommermonate schwach. Doch gibt es andere Gründe zur Sorge.

Wien. „Sell in May and go away, but remember to come back in September“ (Verkaufe im Mai und steig im September wieder ein), lautet eine alte Börsenregel. Und sie ist statistisch durchaus evident. Die Monate von Oktober bis April sind im Schnitt bessere Börsenmonate als jene von Mai bis September – sowohl in den USA als auch in Europa: Seit 1960 übertraf die DAX-Entwicklung in den Monaten Oktober bis April (plus 1,1 Prozent pro Monat) jene von Mai bis September (plus 0,1 Prozent). Das zeigt eine Erhebung der deutschen DZ Bank, die kürzlich veröffentlicht wurde.

Beim US-amerikanischen Aktienindex S&P 500 ergibt sich ein ähnliches Muster: In den Monaten Oktober bis April ging es seit 1960 um durchschnittlich 1,2 Prozent pro Monat nach oben, in den Monaten von Mai bis September bewegte sich der Index im Schnitt gar nicht.

Die Ursache ist unklar, historisch könnte es damit zu tun haben, dass sich die Börsianer in den heißen Sommermonaten nicht in der Stadt aufhielten. Inzwischen könnte es sich auch um eine selbst erfüllende Prophezeiung handeln. Fakt ist auch: In den Jahren 2010 bis 2016 war die Saisonalität so stark ausgeprägt wie nie zuvor: Von April bis Oktober kletterte der DAX um durchschnittlich 2,4 Prozent, in den restlichen Monaten gab es im Schnitt eine Bewegung von plus/minus null. Auch beim S&P 500 war der Unterschied zwischen 1,4 Prozent (Oktober bis April) und minus 0,7 Prozent (Mai bis September) so groß wie in keinem Jahrzehnt davor.

Ausreißer verzerren das Bild

Gründe dafür waren jedoch Ausreißer, die die Statistik verzerrten: 2011 kochte die Angst vor einem Streit um die US-Schuldenobergrenze hoch, 2015 kam es zu einer „Korrektur nach dem Draghi-Klimax“: Der DAX war in den ersten Monaten des Vorjahres infolge der Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi, eine Billion Euro in den Markt pumpen zu wollen, steil emporgeschnellt, im August folgte – im Zuge der China-Schwäche – eine umso schärfere Korrektur.

Die DZ Bank hat die Entwicklung des DAX mit jener des DAXplus Seasonal Strategy Total Return Index verglichen, der die DAX-Entwicklung in den Monaten Oktober bis Juli nachbildet und im August und September aussetzt. Dieser schnitt in den vergangenen zehn Jahren besser ab als der DAX, was aber ausschließlich auf die beiden Sommer-Crashs von 2011 und 2015 zurückzuführen sei. „Ob Zufall, Glück oder Erfolg der Strategie – der Investor konnte sich freuen“, schreiben die Experten der DZ.

Doch wird man sich heuer wieder freuen können, wenn man die Sommermonate an den Börsen auslässt? Der turbulente Start ins Börsenjahr 2016 habe in vielerlei Hinsicht nicht den gewohnten Verlaufsmustern entsprochen, sagen die DZ-Experten. „Nach der Kursentwicklung der vergangenen Wochen ist wieder recht viel Optimismus eingepreist, was sich aus unserer Sicht als trügerisch herausstellen könnte.“ Nach dem Ende der Berichtssaison Mitte Mai dürfte es den Märkten zudem an Impulsen fehlen. Auch schwebe die Gefahr des Brexit (Austritt Großbritanniens aus der EU) über den Märkten. Doch gebe die aktuelle Zentralbankenpolitik „solide Leitplanken vor, sodass es keinen Crash geben wird“.

„Nur nette Anekdote“

Derzeit bewegt sich der DAX bei 9870 Punkten. Die DZ Bank erwartet zur Jahresmitte einen Stand von 9800 Zählern. Zum Jahresende dürften es 10.300 Einheiten sein. „Demnach könnte sich die beliebte Börsenwahrheit auch im aktuellen Börsenjahr bewahrheiten.“ Grundsätzlich vertreten die Experten aber die Meinung, „dass die Sell-in-May-Regel nicht viel mehr als eine nette Anekdote und nicht dazu geeignet ist, langfristig auf dem Aktienmarkt Erfolg zu haben“.

Auch Börsenexperte Markus Koch rät davon ab, sein Anlageverhalten nach der Saison auszurichten. Er selbst verkaufe sowieso nie alles, wie er der „Presse“ kürzlich erzählte. „Es kann sein, dass ich einmal ein bisschen etwas verkaufe, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass ich mit wehenden Fahnen rausgehe und sage: Der Mai ist da.“

Auch für Thomas Steinberger, Geschäftsführer von Spängler IQAM Invest, sollte der Mai für Anleger nicht zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Investmententscheidung werden. „Es gibt immer Jahre, in denen die Regel zutrifft, und dann gibt es welche, in denen das nicht so ist.“ Die fundamentale Lage an den Aktienmärkten betrachtet der Experte derzeit als eher schwierig. „Ich glaube nicht, dass es heuer noch sehr viel besser werden kann.“ Das Wachstum in Europa sei bescheiden, auch aus den USA seien keine großen Sprünge zu erwarten. Hinzu kommen Umsatzrückgänge bei Unternehmen, die sich wohl früher oder später in niedrigeren Gewinnen niederschlagen würden. „Es ist schwer zu sehen, wo die neuen Höchststände herkommen sollen.“ Aufgrund der niedrigen Zinsen hält er Aktien dennoch für attraktiv. Schließlich kaufe man damit einen Anteil an einem Unternehmen. „Eine langfristige Perspektive halte ich dabei für entscheidend.“ [ iStockphoto ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2016)

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