Die Schwellenländer sind wieder am Ball

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Der brasilianische Aktienmarkt ist noch nicht über den Berg. In den vergangenen Monaten stieg er aber im Sog der allgemeinen Erholung von Schwellenländeraktien kräftig an. Diese haben Aufholbedarf und sind billig.

Wien. Die Fußball-WM ist voll im Gange, die Augen aller sind auf Brasilien gerichtet, und seit ein paar Monaten geht es auch mit dem Aktienindex Bovespa und dem MSCI Brazil nach oben. Langfristig gesehen befinden sich die brasilianischen Börsenbarometer jedoch in einem Abwärtstrend. Und dieser ist noch nicht durchbrochen (siehe Chart).

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Dass die Fußball-WM daran etwas ändert, bezweifeln viele. Dieses Ereignis könnte kurzfristig sogar negative Folgen haben, meint Daniel Isidori, Portfoliomanager des Threadneedle Latin America Fund. „Gewisse Branchen wie Fluggesellschaften und Einzelhändler könnten negativ betroffen sein, weil die Menschen lieber vor ihrem Fernsehbildschirm bleiben“, meint er in einer Aussendung. Doch auch mittelfristig steckt Brasilien in einer strukturellen Krise. „Das bisherige wirtschaftliche Modell auf Basis hoher Rohstoffpreise und einer starken Verbrauchernachfrage scheint erschöpft“, meint Isidori. Die Rohstoffpreise kommen seit Jahren kaum vom Fleck, die Verbrauchernachfrage schwächelt. Hohe Inflationsraten (seit 2010 erhöhten sich die Verbraucherpreise um durchschnittlich sechs Prozent pro Jahr) bei einem geringen Wirtschaftswachstum machen dem Land schwer zu schaffen. Das drückt auf die Aktienpreise.

Der Experte ist dennoch von der starken Untergewichtung brasilianischer Aktien (im Verhältnis zu anderen lateinamerikanischen Papieren) in seinem Fonds zuletzt ein wenig abgegangen. Die Märkte würden derzeit darauf hoffen, dass es bei den Präsidentschaftswahlen in drei Monaten zu einem Machtwechsel samt Reformen kommt.

Das sei eine der Ursachen für die Rallye, die im März begonnen hat. Auch für ausländische Investoren hat das Land zuletzt an Attraktivität gewonnen. Laut HSBC steckten sie im April fünf Mrd. Dollar in den Markt, während Analysten nur mit 3,5 Mrd. Dollar gerechnet hatten.

Dass ein Regierungswechsel im Oktober einen positiven Schock an den Märkten auslösen könnte, meint auch Markus Ackermann, Spezialist für Schwellenländer bei HSBC Global Asset Management, in einem Marktausblick. Dann sollten die derzeit günstig bewerteten brasilianischen Aktien aufholen. Billig seien jetzt vor allem Papiere aus den Branchen Grundstoffe, Energie und Finanzen. „Diese Bewertungslücke könnte geschlossen werden, wenn sich in diesen Branchen eine stärkere Liberalisierung abzeichnet.“

Federico Galassi, Fondsmanager für Pan-Lateinamerika der BBVA Asset Management, hält hingegen eine Wiederwahl der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff mit anschließenden Reformen für ein wahrscheinliches Szenario: Doch auch dann sollte durch eine leichte Zinserhöhung der Anstieg der Inflation gebremst werden. Dank Investitionen in Infrastrukturprojekte sollten sich die Arbeitslosenraten stabilisieren und die Löhne steigen.

Eines steht fest: Wer breit in Lateinamerika investieren will, kommt an Brasilien kaum vorbei. Auf den mit Abstand größten Markt in der Region entfallen 70 Prozent des durchschnittlichen täglichen Handelsvolumens. Besser entwickelt hat sich in den vergangenen Jahren allerdings der MSCI Mexico, der sich in einem langfristigen Aufwärtstrend befindet. Mexiko, das Land mit der zweitgrößten Marktkapitalisierung in der Region, habe die Reformen, die in Brasilien erst anstehen, bereits hinter sich, stellt Galassi fest. Der Haken: Mexikanische Aktien sind bereits relativ teuer.

Generell sind Schwellenländeraktien jedoch günstiger bewertet als solche aus den Industrieländern. Der breit gefasste MSCI World Index werde gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (erwartete Gewinne) mit einem Aufschlag von 40 Prozent gegenüber dem Schwellenländerindex MSCI Emerging Markets Index gehandelt, stellt Fondsmanager Mark Mobius in einem Kommentar von Franklin Templeton Investments fest. Das ist hoch– auch wenn Schwellenländermärkte als schwankungsanfälliger gelten. Mit den wirtschaftlichen Fundamentaldaten sei das jedenfalls nicht zu erklären, meint Mobius. Die Schwellenmärkte zeichneten sich durch höheres Wachstum, eine geringere Verschuldung und höhere Devisenreserven aus. Hinzu komme, dass die Reformaussichten in den Emerging Markets seit vielen Jahren nicht mehr so vielversprechend waren wie heute, schreibt Mobius.

Verlorene drei Jahre

Der Börsenboom in den vergangenen Jahren, der etwa an der New Yorker Wallstreet oder in Frankfurt starken Niederschlag fand, ging an den Schwellenländern bis dato vorüber. Auf Dreijahressicht haben sie kaum gewonnen. Papiere aus Osteuropa haben deutlich nachgegeben. Im zweiten Quartal erholten sich die meisten Schwellenländermärkte jedoch deutlich. Vor allem die osteuropäischen Märkte, denen zuvor die Ukraine-Krise zugesetzt hatte, schossen hoch. „Die Outperformance der Schwellenmärkte kann durchaus das ganze Jahr anhalten“, meint Mobius.

Auch im historischen Vergleich günstig

Auch Analyst Ryan Larson von Research Affiliates sieht nun gute Chancen für eine Erholung, wie die Agentur Bloomberg schreibt. Auf Sicht von drei Jahren hinken die Schwellenländer den USA um 63 Prozent hinterher. Ähnliche Differenzen wurden nach der Asienkrise 1997 und der Russlandkrise 1998 verzeichnet. Danach ging es mit den Emerging-Markets-Papieren steil nach oben.

„Aktien der Schwellenländer könnten vor einer bedeutenden Aufwärtsbewegung stehen“, meint Larson. Er verweist auch auf fundamentale Treiber wie die potenziell stärkere Gewinndynamik der Firmen und die geringe Bewertung im Vergleich zu den US-Titeln. Zur Bewertung verwendete Larson das Shiller-KGV, das die inflationsbereinigten Gewinne der vergangenen zehn Jahre heranzieht und in Relation zum Aktienkurs setzt. (Dieses gilt als aussagekräftiger als das normale KGV, das etwa in einem Jahr, in dem die Gewinne stark einbrechen, besonders hoch aussieht.) Dieser Wert liegt für die Schwellenländer bei 14 und für die USA bei 25, wie aus Bloomberg-Daten hervorgeht. [ iStockphoto ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2014)

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