Der Markt hat immer recht– doch wie lange?

Anlagestrategien. Soll man an der Börse tun, was alle tun– oder genau das Gegenteil davon? Beide Strategien versprechen Erfolge– aber jeweils nur in bestimmten Phasen. Doch es gibt Möglichkeiten, sie zu kombinieren.

Wien. Warren Buffett gilt als weltbester Investor. Das Vermögen des 83-Jährigen wird auf mehr als 60 Mrd. Dollar geschätzt. Zu seinem Reichtum brachte er es, indem er konsequent eine „Value-Strategie“ verfolgte: Er kaufte Aktien von Unternehmen, deren innerer Wert seiner Meinung nach unter dem Börsenkurs lag– und wartete, mitunter jahrelang, bis der Markt ihm recht gab und der Kurs stieg. Eine andere Strategie ist das „Growth Investing“. Dabei setzt man nicht auf unterbewertete Firmen, sondern auf solche mit hohen Gewinn- und Wachstumsaussichten.

Trends ausreizen...

Schließlich gibt es noch Investoren, die primär versuchen, Trends zu erkennen und auf diese aufzuspringen („Momentum Investing“). Sie tun häufig das Gegenteil von dem, was Value-Investoren machen. Denn Letztere kaufen Papiere, die vom Markt links liegen gelassen werden, Momentum-Investoren erwerben hingegen Aktien, die in den vergangenen Jahren besonders stark hochgeschossen und damit bei den Marktteilnehmern gerade sehr beliebt sind.

Das ist freilich eine gefährliche Strategie: Wenn die Stimmung für bestimmte Aktien, Regionen oder Branchen besonders gut ist, bedeutet das, dass die Investoren ihr Geld bereits in diese Papiere hineingesteckt haben– und das Potenzial nach oben begrenzt ist. Das böse Erwachen für Momentum-Investoren kommt, wenn der Trend sich umdreht.

Ganz falsch ist diese Strategie aber nicht. Denn mitunter dauert es lange, bis sich ein Trend umdreht: So wurde schon Jahre vor der Finanzkrise vor einer Immobilienblase in den USA gewarnt. Wer auf diese Warnungen hörte, versäumte eine jahrelange Aktienrallye. Value-Investoren brauchen hingegen viel Geduld, bis ihre Zeit kommt. Doch nicht jeder kann es sich leisten, Jahre und Jahrzehnte zu warten, bis der Markt ihm endlich recht gibt.

Die Experten von Spängler-IQAM-Invest versuchen, eine Value-Strategie mit der Berücksichtigung von Sentiment-Faktoren zu kombinieren. In Zeiten, in denen die Stimmung besonders gut ist (und ein Rückgang wahrscheinlicher wird), kauft man eher Aktien, die geringere Schwankungen aufweisen, also eher größere, stabilere Titel. Denn solche fallen in Krisenzeiten weniger stark. Liegt hingegen das Sentiment deutlich unter dem langjährigen Schnitt, ist eine Verbesserung wahrscheinlich. Dann kaufe man Aktien, die in Aufschwungzeiten bessere Performances aufweisen, also Titel mit attraktiver Bewertung (hohem Value) und eher kleinere Titel, erklärt Thomas Dangl, Mitglied der wissenschaftlichen Leitung der Spängler-IQAM-Invest.

Um das Sentiment zu ermitteln, zieht man fünf Indikatoren heran: Erstens schaut man sich an, wie aktiv an den Märkten gehandelt wird. Eine Erhöhung des Handelsvolumens bedeute optimistischere Erwartungen. Zweitens schaut man sich an, was es kostet, sich gegen Marktverluste abzusichern: Je optimistischer die Stimmung, desto billiger ist die Absicherung. Drittens gilt es zu beachten, ob Aktien mit hoher Volatilität (und damit größerem Risiko) teurer sind als solche mit geringen Schwankungen. Sind sie teurer, ist das ein Indiz für eine gute Stimmung. Viertens zieht man Umfragen von Unternehmen und Konsumenten heran. Schließlich wird berücksichtigt, wie sich der Aktienmarkt im vergangenen Jahr entwickelt hat. Nach diesen Kriterien liegt das Sentiment für den US-Aktienmarkt derzeit leicht über dem historischen Schnitt. In Europa ist es ebenfalls gut, von übertriebener Euphorie ist aber noch weniger zu spüren, die Stimmung noch im neutralen Bereich.

Ob gute oder schlechte Stimmung, die Experten investieren jedenfalls in Aktien. „Wir versuchen nicht, den Investmentgrad zu steuern“, sagt Dangl. Bei dieser Strategie würde man etwa in Cash umschichten, wenn man mit fallenden Aktienkursen rechnet. Derartiges „Timing“ sei jedoch nicht Ziel der Strategie. Denn dass die Stimmung äußerst gut ist, bedeute noch lange nicht, dass das Platzen einer Blase unmittelbar bevorsteht. Ein Sentiment kann jahrelang übertrieben gut sein, bevor es zu einem Crash kommt.

...oder Billiges kaufen

Wer beim ersten Anzeichen einer sehr guten Stimmung sofort aus dem Markt aussteige, verzichte auf Geld.

Doch ebenso riskant sei es, ausschließlich auf Kriterien wie nachhaltige Dividendenrendite, Kurs-Buchwert-Verhältnis oder Kurs-Gewinn-Verhältnis zu achten und nach diesen Kennzahlen günstige Aktien zu kaufen. Denn nach solchen Kriterien könnten Aktien oft sehr lange unverhältnismäßig billig oder teuer sein.

Was Sie beachten sollten bei ... Aktien

Tipp 1

Kennzahlen. Es gibt Kennzahlen, die anzeigen, ob Aktien teuer oder billig sind: etwa das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV), das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) oder die Dividendenrendite. Ein im historischen Vergleich oder Branchenvergleich niedriges KBV oder KGV kann bedeuten, dass eine Aktie billig ist. Ob zu Recht oder zu Unrecht, sagt es jedoch nicht aus.

Tipp 2

Einstiegspreis. Grundsätzlich ist es eine gute Idee, unterbewertete Aktien zu kaufen. Oft gibt es aber einen guten Grund dafür, dass Aktien scheinbar billig sind. Doch selbst, wenn sich die anderen Marktteilnehmer tatsächlich irren und einen Titel zu Unrecht meiden, muss man sich oft auf eine lange Wartezeit einstellen, bis man recht bekommt.

Tipp 3

Analysten. Vor dem Aktienkauf nur Kennzahlen wie KGV, KBV oder Dividendenrendite anzusehen, reicht also nicht. Meinungen von Analysten können bedingt weiterhelfen– wenn man sie richtig liest: Dabei sollte man weniger auf das Kursziel oder die Empfehlung („Kaufen“, „Verkaufen“ etc.) achten als darauf, wie der Analyst seine Einstufungen begründet.

Tipp 4

Timing. Den richtigen Kaufzeitpunkt zu finden, ist äußerst schwierig. Wer einfach dem Trend folgt, verliert, wenn sich der Trend umdreht. Gegen den Markt zu wetten, ist aber noch schwieriger. Keinesfalls sollte man ins fallende Messer greifen. Wenn eine Aktie– scheinbar grundlos– abstürzt, sollte man eine deutliche Bodenbildung abwarten, bevor man sie kauft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2014)

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