Allianz-Experte: "Bondmärkte waren überbewertet"

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Allianz-Kapitalmarktexperte Stefan Scheurer erklärt, wie die Europäische Zentralbank zu Marktverwerfungen beiträgt und warum man ab und zu Gewinne mitnehmen sollte.

Die Presse: An den Märkten ist es in den vergangenen Wochen zu stärkeren Schwankungen gekommen. Womit müssen wir in nächster Zeit rechen?

Stefan Scheurer: Wir haben in den vergangenen Wochen neue Allzeithochs in Europa gesehen, getrieben von der Geldschwemme unter anderem der Europäischen Zentralbank. Irgendwann kam dann aber der Punkt, an dem sich Investoren die Frage gestellt haben, wie lang es an den Märkten noch so weitergehen kann.

Gab es einen bestimmten Grund, warum das Thema aufkam?

Aus meiner Sicht gab es mehrere Themen, die in der Luft gelegen sind. Auf der einen Seite gibt es nach wie vor geopolitische Unsicherheiten wie den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland oder die Lage im Nahen Osten. Auf der anderen Seite steht die Frage im Raum, ob die Wachstumsziele in Europa oder den USA erreicht werden können. Hinzu kam die Berichtssaison der Unternehmen. Die Gewinne waren solide, hätten aber gestützt durch den niedrigen Eurokurs besser ausfallen können. Viele haben sich angesichts der Gemengelage dann dazu entschieden, Gewinne mitzunehmen. Zudem wird die Illiquidität derzeit stark unterschätzt.

Wie meinen Sie das?

Im zweiten Halbjahr 2014 haben wir bereits vereinzelt Liquiditätsprobleme gesehen, etwa bei US-Hochzinsanleihen. Damals ist der Ölpreis stark gesunken, was die Energiefirmen vor Probleme gestellt hat. Plötzlich wollten alle raus aus einem Markt, in den wegen der vergleichsweise hohen Renditen zuvor noch alle geströmt waren. Ähnliches haben wir kürzlich an den Staatsanleihemärkten in Deutschland oder zuletzt auch in Japan gesehen. Gleichzeitig muss man sagen, dass die Bondmärkte schon extrem überbewertet waren.

Warum ist es zu einem Abverkauf an den Bondmärkten gekommen?

Das kann man nicht an einem bestimmten Punkt festmachen. Es kann sich um technische Signale gehandelt haben, ein bestimmter Auslöser muss nicht dabei gewesen sein. Was man aber schon sieht: Historisch gesehen kommt es drei bis sechs Monate vor einer Zinserhöhung in den USA zu einer Reaktion an den Bondmärkten. Wir sind also in einem historischen Muster drin. Der Markt preist diese Zinserhöhung zunehmend ein. Die meisten, wie auch wir, gehen im September von einem ersten psychologischen Schritt der Fed aus. Zugegebenermaßen ist der Renditeanstieg an den Anleihenmärkten normalerweise eher gemäßigt. Weil weltweit aber so viel Geld vorhanden ist, kommt es nun zu stärkeren Verwerfungen.

Lässt der Einfluss der Europäischen Zentralbank an den Anleihemärkten nach?

Allmählich ja, und das, obwohl die EZB monatlich 60 Mrd. Euro in den Markt pumpt. Die Käufe der EZB führen dazu, dass das Angebot minimiert wird. Deutschland hat einen Haushaltsüberschuss, deswegen wird in diesem Jahr auch die Zahl der Neuemissionen von deutschen Staatsanleihen zurückgehen. In Japan sehen wir bereits, dass der größte Pensionsfonds seine Anleihen gleich direkt an die Zentralbank verkauft. Andernfalls hätte die japanische Notenbank ein Problem, die Ziele ihres Anleihekaufprogramms zu erfüllen.

Wohin führt die Geldpolitik der EZB?

Wie man sieht, zu gewissen Marktverwerfungen. Mitte April hatten rund 35 Prozent der gesamten ausstehenden Staatsschulden in Europa negative Renditen. Durch den Anstieg der Staatsanleiherenditen liegt der Anteil mittlerweile bei 25 Prozent. Investoren müssen sich derzeit fragen, ob sie Staatsanleihen kaufen oder ihnen fernbleiben wollen. Steigen die Zinsen, gibt es das Risiko von Kursverlusten. Gleichzeitig zwingt die Regulierung Investoren dazu, vermeintlich sichere Anleihen zu kaufen, weil Risiko bestraft wird.

Erwarten Sie über kurz oder lang einen Crash an den Börsen?

Es kann nicht immer nur bergauf gehen, das ist klar. Man muss also mit offenen Augen durchs Leben gehen. Wir haben seit der Finanzkrise dreistellige Wertzuwächse gesehen. Niemand wird daran gehindert, Gewinne mitzunehmen.

Wie sollten sich Anleger nun verhalten?

Anleger sollten gemäß ihrem Risikoprofil ihre Investitionsentscheidungen treffen. Am besten ist es, breit aufgestellt zu sein. Denn dann kann man Abwärtsbewegungen in einer Anlageklasse durch Aufwärtsbewegungen in einer anderen abfangen. Klumpenrisken sind zu vermeiden. Ein aktives Management war und wird in nächster Zeit zunehmend wichtiger werden. In den vergangenen Wochen hat man gesehen, dass viele Investoren Geld aus passiven Produkten abgezogen haben und aktives Management bevorzugen. Aus unserer Sicht gibt es in Europa durchaus noch Möglichkeiten, Dividenden können ein stabilisierender Faktor für Aktienerträge in Zeiten niedrigen Wachstums sein, auch halten wir langfristig Schwellenländer und deren Währungen für attraktiv.

Leiden die Schwellenländer normalerweise nicht unter einer Zinserhöhung?

Die Schwellenländer haben sich extrem gewandelt, das ist nicht vergleichbar mit der Situation Mitte der 1990er-Jahre zu Zeiten der Asienkrise. Man muss sich nur Indien ansehen. Dort gibt es Zinsen zwischen sieben und acht Prozent. Die neue Regierung hat sich Reformen vorgenommen und ist damit auf einem guten Weg. Gleichzeitig muss man in Asien aber auch aufpassen. Die Verschuldung bei Privathaushalten und Unternehmen ist in den Schwellenländern angestiegen. Das muss man beobachten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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