Griechenland-Krise: "Crash erwarten wir derzeit nicht"

(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
  • Drucken

Schon vor der jüngsten Griechenland-Krise sei der Schwung aus europäischen Aktien heraußen gewesen, meint Chief Global Macro Strategist Joe Kalish von Ned Davis Research.

Die Presse: Herr Kalish, schon vor der jüngsten Griechenland-Krise hat Ihr Haus die Gewichtung europäischer Aktien in Ihrem globalen Portfolio gesenkt. Ein Zufall, oder hatten Ihre Analysemodelle bereits erste Warnsignale geliefert?

Joe Kalish: Das war kein Zufall. Die Indikatoren (etwa Marktbewegungen, Fundamentaldaten sowie die allgemeine Marktstimmung, Anm.) deuten zunehmend auf eine Überbewertung europäischer Aktien hin. Einen Crash erwarten wir trotz der jüngsten Griechenland-Krise aber nicht. Einigen unserer kurzfristigen Stimmungsindikatoren für Aktienmärkte zufolge sollte das Risiko auf diesem Niveau begrenzt sein.

Weshalb die Vorsicht in Europa?

Noch im zweiten Halbjahr 2012, als EZB-Chef Mario Draghi verkündete, den Euro um jeden Preis zu retten, war die Skepsis gegenüber Europa hoch. Das Abwarten der Ergebnisse der EZB-Bankenstresstests vergangenen Oktober sorgte für weitere Zurückhaltung. Doch dann ist das Vertrauen an die europäischen Börsen zurückgekehrt. Das jüngste EZB-Anleihekaufprogramm und bessere Wirtschaftsdaten haben den Optimismus angefacht. Zuletzt waren die Märkte in Relation zu jenen in den USA – aber auch in Japan – nicht mehr günstig bewertet. Die Griechenland-Krise bestätigt dabei, dass wir mit unserer Einschätzung richtig gelegen sind.

In den USA setzen Sie allen voran auf Konsumaktien.

Der Rücksetzer der US-Wirtschaft im ersten Quartal war auf kurzfristige Faktoren zurückzuführen, etwa auf das schlechte Wetter, die Hafenstreiks sowie den starken Dollar, der die Exporte dämpfte. Inzwischen rückt aber die erste US-Zinserhöhung näher, da die Wirtschaft wieder anspringt. Allein die Zahl der Beschäftigten sowie das Konsumentenvertrauen steigen, wobei der Konsum ja die wichtigste Stütze der US-Konjunktur ist. Hinzu kommt, dass heute viel weniger auf Kredit gekauft wird als früher.

Vor einem Monat haben Sie die Japan-Quote erhöht. Ist die Rallye nicht schon gelaufen?

Der Trend ist noch intakt und wird vom Tiefzinsumfeld kräftig unterstützt. Zudem liegt die durchschnittliche Gewinnrendite der Aktien (Gewinn gemessen am Kurs, Anm.) bei fünf Prozent. Derzeit ist der Abstand der Gewinnrendite von Aktien im Vergleich zu den Renditen zehnjähriger japanischer Staatsanleihen mit 4,5 Prozentpunkten relativ hoch, somit sehr interessant.

Da muss es aber noch weitere Gründe für ein Japan-Investment geben...

Es wächst der Druck auf japanische Konzerne, die auf einer Menge Cash sitzen, das Geld durch Aktienrückkäufe oder Dividenden an Aktionäre zu retournieren sowie Löhne und Investitionen zu erhöhen. Und der Bankensektor ist in einer besseren Verfassung als in den vergangenen 25 Jahren, die Kreditvergabe hat neue Hochstände erreicht, der Zahlungsverzug ist minimal. Das macht Aktien dieser Branche interessant.

Auch die Schwellenländer fehlen nicht, wobei Sie in Indien quasi das neue „China-Wunder“ sehen.

Chinas Wachstum schwächt sich weiter ab, heuer dürfte es rund sieben Prozent erreichen. Doch hat die Wirtschaft eine Größe von gut zehn Billionen Dollar erreicht, da wird es schwierig, an frühere Wachstumsraten anzuschließen. Zudem wird die Wirtschaft zunehmend vom Binnenkonsum angetrieben. Der Schwerpunkt verlagert sich also auf Dienstleistungen, womit insgesamt die Produktivität sinkt. Indiens Wirtschaft steht heute hingegen an jenem Punkt, an dem China vor rund zehn Jahren gestanden ist. Das jährliche Wachstumspotenzial wird für die kommenden Jahre auf acht Prozent geschätzt. Die neue Regierung unter Narendra Modi ist bemüht, Reformbestrebungen umzusetzen und das Inflationsziel von vier Prozent zu erreichen. Dann können die Zinsen gesenkt und der Konsum angekurbelt werden.

Der indische Aktienmarkt, der Sensex, hat aber bereits Rekordstände erreicht.

Das KGV auf Basis der kommenden zwölf Monate ist mit rund 16zwar leicht über dem Schnitt der Schwellenländer. Aber in den USA liegt es bei 16,5, wobei die Wachstumsrate nicht einmal halb so hoch wie jene Indiens ist. Aus dieser Sicht gibt es Potenzial.

Sie sind auch für Anleihen aus den Schwellenländern optimistisch, ausgerechnet aufgrund steigender Ölpreise. Das sehen die meisten Experten eher als Gift für viele dieser Länder.

Im Emerging Markets Dollar Bond Index von Barclays sind rund die Hälfte der Schuldner ölexportierende Nationen. Allein Brasilien und Russland machen rund ein Viertel des Index aus. Wenn also der Ölpreis steigt, nehmen auch die Einnahmen zu. Zudem legt der Preis meist aufgrund einer anziehenden Konjunktur zu. Und ein steigendes Wirtschaftswachstum kommt letztendlich ja allen Emerging Markets zugute.

ZUR PERSON

Joe Kalish ist Chief Global Macro Strategist bei der Ned Davis Research Group. Diese bietet Forschung für institutionelle Anleger an. Die Ergebnisse fließen in die Aktienstrategien von Ned Davis ein. Zuvor studierte Kalish an der University of Maryland und an der New York University. Seit 1999 greift die Kathrein Privatbank auf die Expertise von Ned Davis Research in der Vermögensverwaltung zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.