Sorgen um China: Jüngste Erholung sei nur künstlich

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Ein Experte fühlt sich durch die Indexbewegungen in Shanghai an den Börsencrash in New York von 1929 erinnert. Nach dem steilen Absturz hat sich Chinas Börse dank der Interventionen der Regierung ein wenig erholt. Doch viele fürchten, dass das nicht von Dauer ist.

New York. Chinesische Aktien werden in den kommenden Wochen weiter nachgeben, erwartet Tom DeMark. Der Gründer von DeMark Analytics in Scottsdale, Arizona, sieht ein Handelsmuster wie während des Börsenkrachs von 1929 in den USA. DeMark zufolge wird der Aktienindex Shanghai Composite bis auf 3200 Punkte fallen (derzeit steht er bei etwa 3790 Zählern).

Das wäre ein Rückgang um 38Prozent gegenüber dem Hoch vom 12.Juni. Die Indexbewegungen seit März entsprächen jenen des Dow Jones Industrial Average im Jahr 1929, der damals in weniger als drei Monaten bis zu 48 Prozent verloren hat. Die chinesische Wertpapieraufsicht hat zwar Spekulationen zurückgewiesen, dass die Politik ihre Stützungsmaßnahmen für den Aktienmarkt zurückziehen werde. Dennoch wächst die Angst, dass diese nicht von Dauer sein werden, wenn sich die Konjunktur abkühlt. „Die Würfel sind gefallen“, sagte DeMark. „Man kann den Markt nicht manipulieren. Es sind Fundamentaldaten, die die Märkte bestimmen.“

„Künstliche Rallye“

Der Shanghai Composite hat sich von seinem Tief am 8.Juli bei 3500Punkten etwas erholt, nachdem die Behörden außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen haben, um den Aktienmarkt zu stützen. Mehr als 1400 Unternehmen wurden vom Handel ausgesetzt, geplante Börsengänge verschoben, und die staatliche Finanzierungsgesellschaft China Securities Finance erhielt umgerechnet 435 Mrd. Euro für Interventionen auf dem Markt.

DeMark zufolge werden die Interventionen die jüngste Rallye jedoch nicht aufrechterhalten können. „Märkte erreichen ihre Tiefs bei schlechten Nachrichten, nicht bei guten“, erklärte er. „Man wartet, bis der letzte Verkäufer verkauft hat. Beim vergangenen Tief gab es gute Nachrichten. Die Rallye ist daher künstlich.“

Im Februar 2013 hatte DeMark prognostiziert, dass der Shanghai Composite nachgeben würde. Einen Tag darauf begann der Index seinen Rückzug von 20 Prozent gegenüber seinem Neunmonatshoch. Vier Monate später erwies sich DeMarks Ankündigung einer Bodenbildung bei chinesischen Aktien als richtig: Der Index erreichte innerhalb von Tagen ein Vierjahrestief und begann wieder zu steigen.

Bis Anfang August 2014 prognostizierte DeMark einen Rückgang beim Shanghai Composite nach einer Rallye um etwa zehn Prozent. Doch diesmal stieg der Index weiter, um mehr als 130 Prozent bis Mitte Juni. DeMark will den Markt neu beurteilen, sobald der Shanghai-Index die Marke von 3200 erreicht, womit er seine Gewinne dieses Jahres fast komplett abgegeben hätte.

Seiner Ansicht nach können seine Indikatoren Kauf- und Verkaufssignale gerade dann am besten erzeugen, wenn der Markt „manipuliert“ ist. Denn durch Interventionen sei das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Aktien offensichtlicher und leichter zu erkennen.

Kritik an Stützungen

Indes wird die Kritik an den Stützungsmaßnahmen lauter. „In den vergangenen Jahren sind die Investoren überall von den Notenbankern verhätschelt worden, was den Währungshütern den Ausstieg erschwert“, sagt Frederic Neumann, Ko-Leiter der Konjunkturanalyse für Asien bei HSBC in Hongkong. „Ein unnachgiebiger Ansatz, der möglicherweise zu einem weiteren Kursrutsch führt, würde helfen, im Lauf der Zeit eine gesunde Politik zu etablieren. Aber es besteht die Versuchung, dem Schmerz aus dem Weg zu gehen.“

Die chinesische Notenbank hat angekündigt, sie werde „ausreichend Liquidität“ zur Verfügung stellen, um dem strauchelnden Aktienmarkt zu helfen. Wie chinesische Investoren dieser Liquidität entwöhnt werden sollen, ist eine knifflige Frage. Die Herausforderung, die Stabilität des Aktienmarkts in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wiederherzustellen, fällt zeitlich mit Tendenzen in der größten Volkswirtschaft zusammen, erstmals seit 2004 auf einen Zinserhöhungszyklus einzuschwenken. „Die US-Notenbank Fed ist seit dem dritten Quartal vergangenen Jahres eine Quelle der Volatilität; nun sind es China und die USA“, sagt Tim Condon, Leiter der Asien-Analyse in Singapur bei der ING Groep. (Bloomberg/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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