Volkswagen-Aktien: Tabu oder Chance?

(c) Imago/STPP
  • Drucken

In zwei Tagen hatten VW-Aktien zwei Fünftel ihres Wertes verloren. Gestern kauften Schnäppchenjäger wieder zu. Der Rest bleibt der ganzen Branche gegenüber zu Recht vorsichtig.

Frankfurt. Der massive Verkauf von VW-Aktien nach manipulierten Abgastests in den USA hat am Mittwoch zumindest vorerst ein Ende gefunden. Die Vorzugspapiere, die am Vormittag noch bis auf 95,51 Euro und damit auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gefallen waren, erholten sich im Lauf des Tages doch deutlich um über zehn Prozent, um sich am späten Nachmittag vorerst bei 112 Euro bzw. plus 5,6 Prozent einzupendeln. Die Reaktion auf den Rücktritt von VW-Chef Martin Winterkorn stand bei Redaktionsschluss noch aus.

Es sind vor allem risikofreudige Anleger, die wieder zugriffen – in der Hoffnung auf ein Schnäppchen. Nach den zwei Tagen Kapitalabsturz, in denen das Imagedesaster einmal verdaut werden musste, war eine Gegenreaktion nach oben wahrscheinlich geworden. Seit Wochenbeginn allerdings haben die Aktien immer noch rund ein Drittel an Wert verloren. Heißt: In nicht einmal drei Tagen wurden etwa 23 Mrd. Euro vernichtet.

Ratlosigkeit bei Analysten

Ist nun tatsächlich Ruhe eingekehrt und die Talsohle erreicht? Experten winken ab. Ihnen zufolge nämlich lasse sich das ganze Ausmaß der Affäre um manipulierte Abgaswerte noch nicht überblicken.

„Die Strafzahlungen werden schmerzhaft sein“, schreibt Analyst Tim Rokossa von der Deutschen Bank. Obwohl der Wolfsburger Autobauer Manipulationen eingeräumt habe, sei die bisher im Raum stehende Maximalsumme von 18 Mrd. Dollar (16,1 Mrd. Euro) womöglich nicht das Ende der Fahnenstange. „Die Geschichte der Fahrzeugrückrufe lehrt uns, dass die erste Beichte selten die letzte ist“, betont Rokossa.

JPMorgan-Analyst Jose Asumendi bezifferte die Schadenssumme im schlimmsten Fall auf 40 Mrd. Euro. Er sorgt sich allerdings nicht so sehr um den Rückruf von Dieselmotoren in den USA, sondern vor allem um die Auswirkungen in Europa, wo die weitaus meisten Dieselautos fahren. Laut Adam Hull von der Berenberg Bank müssten die Motoren künftig wohl aufwendiger konstruiert werden, damit sie die Abgasgrenzwerte einhalten.

Vor diesem Hintergrund kürzte Deutsche-Bank-Experte Rokassa seine VW-Ergebnisschätzungen für 2015 bis 2017 um 35 Prozent. Er stufte die Aktie auf „Hold“ von „Buy“ zurück. JPMorgan-Analyst Asumendi empfiehlt nun „Neutral“ statt „Overweight“. Berenberg-Experte Hull, Michael Punzet von der DZ Bank und LBBW-Analyst Frank Biller kassierten ihre Empfehlungen komplett und wollen die weitere Entwicklung vorerst einmal abwarten.

Mitgefangen, mitgehangen

Nach Ansicht von Analystin Kristina Church von der Barclays Bank müssen aber auch die Konkurrenten mit zusätzlichen Belastungen rechnen. Die geplante Verschärfung der Emissions- und Testrichtlinien könnte schneller umgesetzt werden als bisher geplant.
Für Anlagestratege Roland Kaloyan von der Société Générale (SocGen) ist eine deutliche Kurserholung bei BMW, Daimler & Co. aus einem weiteren Grund nicht in Sicht. Der Abgasskandal hänge auch über ihnen wie ein Damoklesschwert.

Entsprechend büßte der Index für die europäischen Autobauer und Zulieferer seit Montag um zeitweise 15 Prozent ein und notierte am Mittwoch 1,4 Prozent höher.
Indes könnten Zulieferer wie Continental oder Valeo langfristig von der VW-Affäre profitieren, so Barclays-Analystin Church. Sollten Abgasrichtlinien verschärft werden und die Zahl der verkauften Dieselmotoren zugunsten von Turbobenzinern und Hybridaggregaten zurückgehen, steige der von den Zulieferern stammende Anteil an den Antrieben. (ag./red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.