Was der VW-Skandal für den DAX bedeutet

(c) APA/dpa/Julian Stratenschulte
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Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen hat nicht nur dem Konzern geschadet. Der gesamte deutsche Aktienmarkt wurde in Mitleidenschaft gezogen. Dabei geht es den Autowerten schon länger schlecht.

Wien/Berlin. Dieses Ereignis hat wohl niemand auf seiner Rechnung gehabt: Der deutsche Volkswagenkonzern manipuliert seine Software, um bei Abgastests in den Vereinigten Staaten zu bestehen, und die US-Behörden kommen darauf. Dieses Faktum an sich ist schon nicht schön, doch bleibt es nicht dabei. Es sind nicht nur Fahrzeuge in den USA davon betroffen, sondern gleich elf Millionen Autos weltweit – auch in Europa. VW-Chef Martin Winterkorn musste in der Vorwoche deshalb bereits seinen Hut nehmen. So wie es aussieht, könnten zudem weitere Hersteller in die Bredouille geraten.

Dem größten europäischen Autohersteller VW drohen künftig nicht nur Klagen in Milliardenhöhe, der Skandal könnte auch Auswirkungen auf die gesamte deutsche Wirtschaft haben. „Die Autoindustrie ist technologisch eine der Schlüsselbranchen, es ist die Leitindustrie schlechthin in Deutschland“, sagt Industrieexperte Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Wichtige Branche

Umsatzeinbußen bei VW treffen folglich nicht nur den Autobauer selbst, sondern ebenso angehängte Zulieferbetriebe. Immerhin arbeiten zwei Prozent aller deutschen Erwerbstätigen im Autosektor, der im Vorjahr wiederum für eine Exportleistung von 370 Mrd. Euro (oder 18 Prozent aller Ausfuhren) verantwortlich war. Damit liegt der Zweig vor den Bereichen Maschinenbau und Chemieproduktion.

Die Entwicklung im Frankfurter Leitindex DAX zeigt, was die Anleger von der Causa halten: Noch zu Jahresbeginn ist der DAX bei 9805 Punkten gelegen, bevor er im April ein Rekordhoch von 12.374 Zählern erreicht hat. Inzwischen hat sich die Lage dramatisch verändert. Der Leitindex stand am Freitagabend mit 9689 Punkten nur knapp über jenem Stand, den er vor einem Jahr innehatte.

Die Schwäche der chinesischen Wirtschaft hat wie eine Bombe in der deutschen Börse eingeschlagen, nun kommt der VW-Skandal hinzu. „Die technische Lage an den Aktienmärkten sieht nicht gut aus“, sagt DWS-Deutschland-Fondsmanager Tim Albrecht. „Der Markt handelt weit unter der 200-Tage-Linie, in Bezug auf die Saisonalität haben wir ebenfalls einige unangenehme Wochen vor uns“, so Albrecht. Ausländische Investoren sind für den deutschen Aktienmarkt von immenser Bedeutung. Vor nicht allzu langer Zeit pumpten sie massiv Geld in den Markt, nun kam es zu starken Abflüssen. „Der Markt hat sicher überreagiert“, sagt Albrecht. Die Investoren sind aber einfach nervös. Eines muss Anlegern klar sein: „Wenn die Regulierungsbehörden nachsehen und entdecken, dass es sich bei VW bloß um die Spitze des Eisbergs handelt, könnte es unangenehm werden“, so Albrecht weiter.

Die deutsche Autoindustrie hatte ihren Wendepunkt an den Aktienmärkten allerdings nicht erst jetzt, sondern schon im heurigen Frühjahr. Geschuldet war die Talfahrt der drei großen Konzerne Daimler, VW und BMW jedoch keinem Skandal, sondern der lahmenden chinesischen Wirtschaft und den Turbulenzen an deren Kapitalmärkten.

Wie wichtig ist China?

Warum? Alle drei Unternehmen haben in den vergangenen Jahren sehr stark auf das Wachstum in der Volksrepublik gesetzt. Verbraucher in den ohnehin gesättigten europäischen Märkten sahen sich infolge der Finanzkrise nicht in der Lage oder Stimmung, Geld für einen Neuwagen auszugeben.

Daher orientierten sich die Hersteller stärker an Nordamerika und China, wo höhere Wachstumsraten zu erwarten waren. Schätzungen zufolge stammen zwischen 20 und 40 Prozent der Gewinne deutscher Autohersteller aus dem Reich der Mitte, wie Matthias Born, Portfoliomanager für europäische und deutsche Aktien bei Allianz Global Investors, sagt. Schwächt sich das Wachstum ab, spüren zyklische Sektoren wie die Autobranche Bremsspuren viel deutlicher. Gleichzeitig spielt China für den deutschen Export nicht die größte Rolle. Lediglich sieben Prozent aller Ausfuhren gehen in den chinesischen Markt, so Born. Erst kürzlich haben die USA Frankreich als größten Handelspartner Deutschlands abgelöst. „China ist also wichtig, aber nicht am wichtigsten“, sagt Born.

Noch ist die deutsche Industrie aber nicht unter die Räder gekommen, wiewohl es Unsicherheitsfaktoren gibt. Die Schwellenländer sind einer davon. Der Commerzbank zufolge macht sich deren geringere Dynamik zunehmend bemerkbar. Demnach sind die Auftragseingänge außerhalb des Euroraums im Juli deutlich gefallen. „Offensichtlich fällt es den deutschen Unternehmen zunehmend schwer, die Probleme in den Schwellenländern durch zusätzliches Geschäft in den USA zu kompensieren“, schreiben die Commerzbank-Experten.

Aufwärts oder Abwärts?

Doch angesichts der Alternativen ist fraglich, ob man gänzlich an Aktien vorbeikommt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des DAX liegt derzeit bei zwölf. Und damit um 1,5Punkte unter jenem des Euro Stoxx 50, so die Analysten der Commerzbank. Dies sei der größte Bewertungsabschlag für den DAX in den vergangenen zehn Jahren. Gleichzeitig liege die Dividendenrendite bei 3,3Prozent (April: 2,5 Prozent). Man sehe in den kommenden Wochen gute Chancen für eine Stabilisierung des Index – trotz des anhaltenden Gegenwinds aus den Emerging Markets.

Zuletzt zeigte sich die deutsche Konjunktur jedenfalls im Aufwind. Der wichtige Ifo-Index klärte sich im September überraschend auf, obwohl zunächst ein Rückgang erwartet worden war. Die Firmenchefs sahen ihre aktuelle Lage zwar etwas schlechter, die Aussichten beurteilten sie aber optimistischer als im Vormonat.
[ fotolia ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2015)

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