"Das Investitionsklima wird sich ändern"

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Unternehmen halten sich mit Investitionen noch zurück, aber das Interesse an der Kapitalbeschaffung über die Börse steigt. Denn billiges EZB-Geld fließt vorwiegend in den Finanzmarkt.

Wien. Während in Deutschland trotz eher volatiler Börsen eine IPO-Welle rollt – vor allem Mittelständler drängen an die Börse –, ist es hierzulande noch eher ruhig. Dabei sind die Voraussetzungen für einen Börsengang derzeit gar nicht so schlecht: Die Kurse sind dank der Niedrigzinspolitik der Notenbanken vergleichsweise hoch. Und genau das ist ja für einen hohen Emissionserlös entscheidend.

Deutlich gesteigertes Interesse an der Börse bemerken Fachleute aber auch in Österreich. Zwar seien die Unternehmen vorsichtig und hielten sich mit Investitionen eher noch zurück, konstatiert Birgit Kuras, Vorstandsmitglied der Wiener Börse AG. „Aber das wird nicht immer so bleiben, das Klima wird sich wieder ändern.“ Und ein Börsengang müsse ohnehin langfristig vorbereitet werden.

Die Wiener Börse veranstaltet zweimal jährlich Workshops für potenzielle Börsenkandidaten. Und verzeichnete da zuletzt rege Nachfrage. Kuras: „Wir wissen, dass es einige Unternehmen gibt, die sehr konkret einen Börsengang überlegen.“ Wie viele von ihnen den Sprung tatsächlich wagen werden, lasse sich seriös freilich noch nicht abschätzen.

Kapitalbasis verbreitern

Das Umfeld spricht derzeit für Kapitalbeschaffung über die Ausgabe von Aktien. Zwar sind die Zinsen historisch niedrig, Kredite also billig. Allerdings wurden den Banken auch die regulatorischen Schrauben angezogen, wodurch sie die Kriterien für Kreditvergaben deutlich anziehen mussten. Die Geldwirtschaft leidet noch unter den Nachwirkungen der Finanzkrise, ist gerade erst dabei, Kapital wieder aufzubauen, und zeigt sich deshalb vergleichsweise risikoavers. Das ist speziell bei der Innovationsfinanzierung durchaus ein Problem.

Mit anderen Worten: Geld ist durch die lockere Geldpolitik der Notenbanken mehr als ausreichend vorhanden. Es findet aber leider nur schwer dort hin, wo es wirklich gebraucht wird.

Wo die über die Banken nicht hinausgekommenen Zentralbankmilliarden wirklich hinwandern, kann man an der Entwicklung der wichtigen Indizes, auch der des Wiener ATX, ablesen: auf den Aktienmarkt, das einzige Segment, wo man in diesem Zinsumfeld noch Geld verdienen kann.

Und dort kann man es als Unternehmer abholen – mittels IPO. Das hat noch den Vorteil, dass man künftig mit Eigenkapital arbeitet – die Kapitalbasis des Unternehmens also beträchtlich verbreitert wird.

An der Börse aufgenommenes Geld ist eben kein Kredit und muss deshalb auch nicht verzinst werden. Vor allem: Es reduziert die Abhängigkeit von der Hausbank. Man kann es als Akquisitionswährung verwenden, wenn man im Zuge der Expansion beispielsweise einen Konkurrenten übernimmt; die Aktie ist also eine Art Expansionsturbo. Und man verschafft sich damit einen permanenten Zugang zu Kapitalmarktfinanzierungen.

Eigentlich seltsam, dass da größere Mittelständler nicht sofort zugreifen. Allerdings: Der Börsengang hat natürlich auch ein paar vermeintliche und ein paar echte Nachteile. Vor allem familiengeführte Unternehmen – speziell die klassischen, von Patriarchen geführten Betriebe – empfinden die Aufgabe der „Alleinherrschaft“ als großes IPO-Hindernis. Schließlich gibt man im Gegenzug zur Kapitalhereinnahme Unternehmensanteile ab. Und muss sich damit anfreunden, künftig hausfremden Miteigentümern Rechenschaft schuldig zu sein. Das ist auch dann ungewohnt, wenn man selbst noch Anteile genug hält, um seine Vorstellungen durchzusetzen.

Öffentlichkeit wird geschaffen

Das Ganze hat natürlich nicht nur eine psychologische Seite, sondern auch eine organisatorische. Denn die Publizitätspflicht ist umfassend und relativ genau normiert. Man muss also innerhalb des Unternehmens die Strukturen schaffen, um diesen Pflichten nachkommen zu können. Das fängt bei der Einführung einer Bilanzierung nach internationalen Standards an und hört bei den in bestimmten Situationen verpflichtend vorgeschriebenen Ad-hoc-Meldungen noch lang nicht auf.

Der Lohn der Mühe ist allerdings auch beträchtlich: Die mit der Börsenotierung verbundene Pflicht zur Information schafft für das Unternehmen eine Öffentlichkeit, die es sich sonst teuer erkaufen müsste. Und das ist nicht nur für Unternehmen, die sich an Endkonsumenten wenden und deshalb Werbung benötigen, wichtig. Denn Börsenpräsenz erregt nicht nur die Aufmerksamkeit von Investoren, sondern auch von potenziellen Kunden.

Börsen-Chefin Kuras: „Beim Aufbau von internationalen Lieferanten- und Kundenbeziehungen ist eine Börsennotiz sehr hilfreich, da sie Vertrauen schafft. Die permanente Präsenz in der Öffentlichkeit stärkt außerdem die Marke.“

Und noch etwas, für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ganz Entscheidendes liefert die Börsennotiz: Sie erleichtert, wie bereits börsenotierte Unternehmen immer wieder betonen, die Rekrutierung von qualifizierten Mitarbeitern. Der Kurszettel wirkt also wie eine Art Zertifizierung.

In Österreich, wo die mittelständische Wirtschaft sehr stark ist, gäbe es eine ganze Reihe von Börsenkandidaten. Auch abseits der zahlreichen noch in (teilweisem) Bundes- oder Landesbesitz stehenden größeren Unternehmen, deren Privatisierung den heimischen Kapitalmarkt beleben und den betroffenen Unternehmen nützen würde– die jedoch politisch zurzeit nicht gewollt ist.

Freilich ist nicht jeder Mittelbetrieb für die Börsennotiz geeignet. Eine gewisse Größe (die Untergrenze ist ein mittlerer zweistelliger Millionenumsatz) sollte schon vorhanden sein. Denn die Börsennotiz kostet natürlich auch etwas, und die permanente Öffentlichkeit erfordert Ressourcen. Und natürlich bedarf es intensivster Vorarbeiten. Das Unternehmen benötigt eine „Börsenstory“, die Anleger dazu bringt, Geld zu investieren. Und es muss sich auf einen längeren Weg (siehe unten stehende Grafik) einstellen, bis der Firmenname auf dem Kurszettel prangt.

Es ist auch keine schlechte Idee, vorher schon ein bisschen zu üben: Unternehmen, die bereits vor dem Börsengang Eigenkapitalfinanzierungen (etwa Venture Capital oder Private Equity) in Anspruch genommen haben, seien wesentlich besser als andere auf die Anforderungen des Kapitalmarkts vorbereitet, meinen Experten. Wobei diese Art der Fremdfinanzierung auch hilfreich ist, wenn man im Vorfeld auf eine börsenfähige Größe expandiert. (ju)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2015)

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