Deutschland: Der trickreiche Weg zum Börsenboom

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Das Nachbarland verzeichnet mit einem Volumen von rund sieben Mrd. Euro das beste Börsenjahr seit 2007 - doch Unternehmen mussten viel Kreativität aufwenden, um auf dem Börsenparkett nicht zu stolpern.

Frankfurt. So viel Geld wie heuer haben deutsche Unternehmen seit acht Jahren nicht mehr mit Börsengängen eingesammelt. Mit dem letzten Kandidaten, dem Ingenieurdienstleister Edag, könnte mit 16 Neuemissionen die Schwelle von sieben Mrd. Euro übertroffen werden. Fast ein Wunder, so verrückt wie die Börsen vor allem im Herbst spielten. Hätten sich alle Pläne erfüllt, hätte es mehr als 20 Börsenneulinge in Deutschland gegeben – mit einem Emissionsvolumen von fast 13 Mrd. Euro. 2007, im Boom vor der Finanzkrise, lag es bei 7,85 Mrd. Euro.

Doch nach einem Erfolgsjahr fühlt sich 2015 für die Investmentbanker dennoch nicht an. Viele Kandidaten schafften es nur mit Mühe über die Ziellinie, andere wie Bombardier sagten die Emission sogar ab. Die Banker mussten sich einiges einfallen lassen. Flexibilität heißt das Zauberwort, für die Unternehmen, ihre Eigentümer und die Banker. Kaum eine Neuemission ging wie geplant durch.

Bei so starken Kursschwankungen wie im September hätte es nach dem Lehrbuch gar keine Emissionen geben dürfen. Und doch schafften Schwergewichte wie die Bayer-Tochter Covestro, der Autozulieferer Schaeffler und die Reederei Hapag-Lloyd das IPO. „Banker, Unternehmen und ihre Eigentümer haben ihre Enttäuschung über niedrige Bewertungen überwunden und teilweise große Zugeständnisse gemacht“, sagt Gernot Wagner, der als Anwalt bei White & Case Emissionen begleitet.

Hapag-Lloyd verkaufte seine Aktien für die Hälfte des Werts, den Banker vorher für realistisch hielten. „Viele Banken stellen die Lage zu positiv dar, um den Auftrag zu bekommen“, kritisiert ein Insider. Wie schon beim Kabelanbieter Tele Columbus kauften einige Altaktionäre beim Börsengang sogar zu, um die Emission zu stützen.

Börsenaufsicht weniger streng

Die Investmentbanker haben die ganze Klaviatur genutzt: den Preis senken, die Zeichnungsfrist verlängern, das Volumen verkleinern. Für Aufsehen in der Branche sorgte ein Kniff, der letztlich gar nicht nötig gewesen wäre. Die Kleinanzeigenbörse Scout24 hätte es wohl auch so geschafft. Die Banker waren trotzdem kreativ: Sie erfanden eine „Aufstockungsoption“, mit der sich das Volumen abhängig von der Nachfrage kurzfristig von 800 Mio. auf 1,6 Mrd. Euro verdoppeln ließ. Mehr noch: Im Prospekt versteckt behielt sich Scout24 eine Senkung oder sogar eine Erhöhung der Preisspanne vor – ohne den üblichen Nachtrag zum Prospekt.

Die Rechtsberater waren skeptisch - auch wenn das Vorgehen in den USA gang und gäbe ist. Die Banker probierten es einfach, und die Börsenaufseher winkten den Prospekt durch. „Auch die Aufsicht sieht heute einiges lockerer als früher“, sagt Anwalt Wagner. Wird das Schule machen? „Ich glaube schon“, meint Christoph Heuer, der für Goldman Sachs die Scout24-Emission mitorganisiert hat. „Aber nicht für jede Emission.“

Ob noch ausgefallenere Spielarten kommen? Die Preisspanne erst während der Zeichnungsfrist festzusetzen (im Fachjargon Decoupling) wäre eine Chance, um die Zeit vom Start bis zur Erstnotiz zu verkürzen. Vier Wochen sind ein Problem, wenn das Auf und Ab an den Märkten groß ist. Heuer zweifelt: „Mit einem Prospekt ohne Preisspanne macht man das Unternehmen zum Spielball kurzfristig orientierter Investoren.“ Banker fühlten heute ohnehin deutlich früher bei wichtigen Anlegern vor. Das sorge früh für Nachfrage.

Den unkonventionellsten Börsengang legte der Wälzlager-Hersteller Schaeffler hin. Vorstandschef Klaus Rosenfeld hat die Aktion zur geheimen Kommandosache erklärt, aus Furcht vor Infolecks. Die Aktien waren nur wenige Tage zu zeichnen, die Investoren bekamen nicht einmal Analystenstudien zu sehen, Privatanleger waren ausgeschlossen. In zwei Wochen war alles vorbei – ohne VW-Skandal wäre es noch schneller gegangen. „Das kann man nur machen, wenn man so bekannt ist wie Schaeffler“, sagt ein Banker. (Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2015)

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