Jubel an der Wolga: Börse macht wett, was die Wirtschaft verhaut

Bulle und Baer - bull and a bear
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Russische Aktien waren heuer Top-Performer. Bald könnte noch ein Schub kommen. Ein Dämpfer jederzeit auch.

Wien. Unverhofft kommt oft. Während sich Ökonomen in Russland darüber zerfleischen, ob die Wirtschaft, die 2015 um 3,7 Prozent geschrumpft ist und im ersten Quartal weiter kontrahierte, schon im dritten Quartal wieder wächst oder doch eher erst 2017, können Anleger auf ein unerwartet erfreuliches erstes Quartal zurückblicken: Russische Aktien haben das Jahr mit dem höchsten Quartalsgewinn seit 2012 gestartet. Nachdem sie im vorausgehenden Dreivierteljahr schwer enttäuscht hatten, gehörten sie also Anfang 2016 zu den Top-Performern.

Das hat vor allem mit dem Ölpreis zu tun, der sich nach der eineinhalbjährigen Talfahrt zuletzt etwas erholte und im Fall der Sorte Brent zum Quartalsende auf über 40 Dollar je Barrel sprang. Zuvor freilich war er bis 19. Jänner auf bis zu 28 Dollar abgesackt und hatte den Rubel auf historische Tiefststände von 83,6 Rubel je Dollar und 91,2 Rubel je Euro gerissen. Letztlich hat der Rubel im ersten Quartal um 7,3 Prozent zum Dollar und 3,9 Prozent zum Euro zugelegt.

Investitionen in Rubel lohnten sich demnach besonders – selbst beim konservativen Sparen. Der Wechselkurs, so Analysten, sei zum wichtigeren Parameter geworden als der Leitzinssatz, der inflationsbedingt seit August stabil bei elf Prozent liegt.

Gegenbewegung nach dem Tief

Jedenfalls hat der auf Rubel basierende Leitindex MICEX das Quartal mit 1871 Punkten und damit nahe am Allzeithoch von 1970 Punkten aus dem Jahr 2007 beschlossen. Davon ist der in Dollar denominierte Index RTS freilich weit entfernt, notierte er zum Quartalsende doch bei 876 Punkten (Allzeithoch 2008 bei 2488 Punkten). Seit Jahren tendiert er nach unten und hat auf Dreijahressicht 40 Prozent an Wert verloren. Im ersten Quartal freilich zog er um 14 Prozent nach oben.

Es waren nicht nur die großen Ölaktien, die vom Ölpreis profitierten und um zehn bis 20 Prozent zulegten. Auch Konzerne aus dem Strom- und Stahlsektor liegen weit vorn, dazu der Diamantenkonzern Alrosa und natürlich die börsenotierte Moskauer Börse selbst. Insgesamt schlossen zwei Drittel aller Werte positiv. Im Westen werden russische Aktien als Hinterlegungsscheine (ADR oder GDR) ausländischer Banken gehandelt – und bilden die Tendenz der russischen Börse ab. War schon das erste Quartal in seiner Gesamtheit beeindruckend, so die Gegenbewegung nach den Tiefs vom 19. Jänner umso mehr. Wer diesen Zeitpunkt zum Einstieg erwischte, konnte mit den namhaftesten Titeln zwischen 30 und 50 Prozent gewinnen.

Dass die Gegenbewegung nun auch im zweiten Quartal anhält, ist unter Analysten jedoch keinesfalls ausgemacht. „Russland-Rallye spaltet die Meinungen“, titelte dieser Tage die Nachrichtenagentur Bloomberg. Das zweite Quartal sei traditionell nicht das beste für den Aktienkauf, sondern eher für Gewinnmitnahmen geeignet, warnt Stanislav Kleschtschev, Chefanalyst der Bank VTB 24. Wie die meisten meint freilich auch er, dass alles vom Ölpreis abhängen werde.

Strohhalme für die Zukunft

Russland legt große Erwartungen auf den Ölgipfel am 17. April in Doha, wo sich die führenden Ölproduzenten über eine Begrenzung des Fördervolumens einigen wollen.

Dennoch ist dies nur einer der Strohhalme, während sich an den anderen Ursachen für die Krise – darunter den westlichen Sanktionen – vorerst wenig ändert. Die Bevölkerung beginnt mittlerweile sogar bei den Konsumausgaben zu sparen. Die Zentralbank bleibt vorsichtig, was die Senkung des Leitzinses betrifft. Ein wahrer Aufschwung könne nur durch die „ganze Palette von Strukturreformen“ erzielt werden, meinte Zentralbank-Chefin Elvira Nabiullina dieser Tage. Dass sich hier vor den Parlamentswahlen im Herbst, ja vor den Präsidentenwahlen 2018, viel tut, wird zunehmend in Zweifel gezogen.

Umso mehr wird der Effekt einer möglichen Aufhebung der Sanktionen in den Vordergrund gespielt. Falls nicht nur die europäischen, sondern auch die US-Sanktionen fallen, würden die Aktien der jetzt sanktionierten Konzerne um bis zu 50 Prozent nach oben schnellen, meinte dieser Tage Andrej Kostin, Chef der zweitgrößten Bank VTB. Darauf bauen Investoren noch nicht. Kurzfristigen Empfehlungen stehen langfristige Warnungen gegenüber – obwohl russische Aktien nach wie vor zu den günstigsten im Schwellenländervergleich gehören. Im volatilen Umfeld wird daher auch hier zu Dividendentiteln geraten: Sberbank oder der Ölkonzern Lukoil. Kirill Jakovenko von Alor Broker nennt noch die Vorzugsaktien des Ölkonzerns Surgutneftegaz, die Mobilfunkgesellschaft MTS und den Nickelproduzenten Norilsk Nickel, die eine Dividendenrendite von über zehn Prozent erwarten ließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2016)

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