Die Bullen werden langsam müde

(c) Bloomberg (Michael Nagle)
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Auch wenn man an der Wiener Börse wenig davon merkt - die US-Aktienmärkte befinden sich im zweitlängsten Bullenmarkt seit 100 Jahren. Dieser ist trotz zwischenzeitlicher Korrekturen noch nicht zu Ende, doch wachsen die Risken.

Wien. Wie lang kann der Bullenmarkt an der Börse noch anhalten? Die Frage mag für österreichische Anleger eigenartig erscheinen, da der Wiener Leitindex ATX 2008 in einen Bärenmarkt gerutscht ist, aus dem er seitdem nicht mehr herausgekommen ist. In den USA sieht die Sache anders aus: Dort befindet sich der Markt im „zweitlängsten Bullenmarkt seit hundert Jahren“, stellte Raiffeisen-Analyst Peter Brezinschek kürzlich bei einem Pressegespräch in Wien fest.

Ein Bullenmarkt hält per definitionem so lang an, bis es um 20 Prozent oder mehr nach unten geht. Ab dann spricht man von einem Bärenmarkt. Doch seit März 2009, also seit nunmehr 87 Monaten, geht es mit dem US-Aktienindex S&P 500 fast ununterbrochen nach oben. Das bedeutet, dass der Index in diesem Zeitraum nie um 20 Prozent oder mehr nachgegeben hat.

Noch länger, nämlich fast zehn Jahre, dauerte der Bullenmarkt von 1990 bis 2000. In diesem Zeitraum konnten Anleger in den USA ihr Vermögen verfünffachen. Der gegenwärtige Bullenmarkt hat den Anlegern bislang „nur“ eine Verdreifachung gebracht.

Hausse währt schon sehr lang

Doch auch das liegt bereits weit über dem Schnitt: Ein durchschnittlicher Bullenmarkt in den vergangenen 100 Jahren dauerte 57 Monate und brachte 155 Prozent Gewinn. Bleibt also die Frage: Neigt sich der gegenwärtige Bullenmarkt in den USA langsam dem Ende zu? Und könnte ein Abbrechen der Gewinnserie auch andere Börsen, die von Bullenmärkten weit entfernt sind, beeinträchtigen? Der US-Bullenmarkt befinde sich in einer Reifephase, meint Brezinschek und verweist auf die hohe Anzahl an Börsengängen sowie an Fusionen und Übernahmen. Letztere hätten in Prozent der globalen Marktkapitalisierung den höchsten Stand seit 2008 erreicht. So etwas passiere meist in der Nähe der Zyklushöchststände und sei daher ein warnendes Zeichen.

Doch obwohl der Bullenmarkt schon weit fortgeschritten sei, fehle noch der finale Aufschwung. Denn momentan – genau genommen seit Mitte der Vorjahrs – befinden wir uns in einer Konsolidierungsphase mitten im Bullenmarkt – und zwar der bereits zweiten: Eine erste Konsolidierung hat es 2011/12 gegeben, als viele Marktteilnehmer um den Fortbestand der Eurozone gefürchtet haben und in den USA der Streit um die Schuldenobergrenze hochgekocht ist. Von 2012 bis 2015 ging es wieder nach oben, bis im Vorjahr die Sorgen um China, der Ölpreisverfall und die Ängste wegen einer US-Zinswende für einen Knick sorgten.

Noch keine Euphorie

Und jetzt? Im Februar hat eine Erholung eingesetzt, neue Höchststände haben sich an der Wall Street seitdem aber nicht eingestellt. Von Euphorie ist wenig zu merken. Genau das halten viele Experten für ein Zeichen, dass die Hausse weitergehen wird. „Es gibt zu viele Bären im Vergleich zu Bullen, und es ist zu viel Geld nicht investiert“, sagte Tom Mangan, Senior Vice President bei James Investment Research in Xenia, Ohio, im März zu Bloomberg. Damals haben die Märkte sich gerade von ihren Februar-Zwischentiefs erholt, seitdem sind sie kaum vom Fleck gekommen.

Bevor der „finale Aufschwung“ einsetzt, dürfte es im dritten Quartal ein wenig rumpeln, fürchtet Brezinschek. Zumindest, bis die Unsicherheit bezüglich der US-Zinspolitik oder eines möglichen Brexit (Austritt Großbritanniens aus der EU) verdaut ist. Einen Crash wie 2008 sollte es aber nicht geben, weil die Notenbanken die Märkte mit Geld fluten und die Dividendenrenditen von Aktien mehr als doppelt so hoch sind wie die Anleiherenditen von Unternehmen mit „Investmentgrade“-Rating (guter Bonität).

Nicht überall sind die Bullen am Werk: In Wien hat der ATX nie mehr die Höchststände aus dem Jahr 2007 erreicht. Seit dem Tief im Jahr 2009 hat er um 60 Prozent zugelegt. Bis 2011 war es dem Index sogar gelungen, sich zu verdoppeln, bevor ihn Probleme in Osteuropa und die Euro-Schuldenkrise wieder nach unten drückten. Brezinschek erklärt die schwache Performance mit der Branchenzusammensetzung: Banken, Versicherungen und Energieversorger sind stark gewichtet, während es keine Pharma- und Konsumtitel sowie kaum Technologiewerte gibt. Letztere haben die Rallye an anderen Börsen angeheizt.

Doch auch anderswo ist der Bullenmarkt abgerissen. Der deutsche DAX ist im Vorjahr in einen Bärenmarkt gerutscht und notiert noch immer um fast ein Fünftel unter seinem Höchststand. Ein ähnliches Schicksal erlitt der Eurostoxx 50, dem es schon zuvor weniger gut ergangen war. Seit 2009 war er mit einem Plus von 65 Prozent kaum besser als der ATX. Auch einzelne Branchenindizes sind in Bärenmärkte gerutscht, also um mehr als 20 Prozent gefallen. Der S&P 500 Energy Index, der die Entwicklung US-amerikanischer Energie- und Ölfirmen widerspiegelt, hat seit Mitte 2014 um ein Drittel nachgegeben, zwischenzeitlich hatte er sich sogar halbiert.

Hat Öl die Talsohle durchschritten?

Hier warten Marktteilnehmer nun auf das Ende des Bärenmarkts. Der Energiesektor sollte die Talsohle erreicht haben, meint Niall Gallagher, Investment Director bei GAM, in einer Aussendung. „Unsere Analysen zeigen, dass Angebot und Nachfrage nach Öl 2016/2017 wieder ins Gleichgewicht kommen werden.“ Denn wenn der Ölpreis falle, gingen Kapitaleinsatz und Betriebsausgaben zurück, und das führe zu einer geringeren Produktion – so lang, bis das Angebot schwächer als die Nachfrage sei. In der Metall- und Bergbauindustrie werde es jedoch bei Stahl, Eisenerz und vielen anderen Rohstoffen langfristig Überkapazitäten geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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