Halbwissen bei Anlegern führt zu falschen Entscheidungen

(c) Bloomberg (Michael Nagle)
  • Drucken

Anleger machen Fehler. Ob das daher kommt, dass sie irrational handeln oder dass sie bestimmte Risken systematisch falsch einschätzen, ist umstritten. Klar ist jedoch: Bestimmte Fehler wiederholen sich.

Wien. Im Gegensatz zur klassischen Ökonomie, die davon ausgeht, dass alle Marktteilnehmer rational handeln, geht die Verhaltensökonomik (Behavioral Finance) davon aus, dass sich Anleger keineswegs rational verhalten: Sie kaufen, wenn die Preise hoch sind, verkaufen in Panik, wenn die Preise im Keller sind, hegen Vorurteile, sind unaufmerksam, nehmen viele Umstände einfach nicht wahr und lassen sich noch dazu von Emotionen leiten. Wenn das so ist, wirft das zwei Fragen auf: Lassen sich solche Fehler vermeiden? Und kann man gar aus der Tatsache, dass Anleger immer wieder die gleichen Fehler machen, Prognosen für Aktienerträge ableiten?

Kleinanleger sollten Letzteres nicht versuchen, meinte Terrance Odean, Professor an der University of California in Berkeley, kürzlich bei einem Vortrag auf Einladung des WU Gutmann Center (einer Kooperation zwischen dem Department of Finance, Accounting and Statistics der WU und der Bank Gutmann) in Wien. Denn Selbstüberschätzung und das starre Festhalten an bestimmten Investmentideen führten fast immer dazu, dass Anleger zu viel handelten und in weiterer Folge geringere Erträge einführen als reine Buy-and-Hold-Investoren, also Anleger, die Aktien jahrelang auf dem Depot halten, stellt der Experte für Verhaltensökonomik fest. Da Frauen weniger zur Selbstüberschätzung neigten als Männer, erzielten sie im Schnitt höhere Erträge.

Doch wie kommt es zu dieser Selbstüberschätzung? Anleger neigen häufig zu Selbstüberschätzung, wenn sie unvollständige Informationen haben, also Halbwissen. Sie erinnern sich an die starke Kursentwicklung von Google (heute: Alphabet) in den vergangenen Jahren und überschätzen den Erfolg von Technologieaktien. Die Misserfolge zahlreicher Start-ups in den Nullerjahren blenden sie aus.

Risken oft ausgeblendet

Sie imitieren erfolgreiche Investmentstrategien anderer, was zu Herdenverhalten und Blasenbildung führt. Hinzu kommen Emotionen, die dazu verleiten, an Irrtümern festzuhalten. Wer von einer Investmentstory überzeugt ist, blende häufig alle Risken aus und halte viel zu lang an seiner falschen Überzeugung fest.

Diesen Fehlern könne man übrigens nicht entgehen, wenn man sich beim Investieren auf mathematische Modelle verlasse, warnt Odean. Denn gerade solche Investoren seien anfällig dafür, unerkannte Risken einzugehen – was man auch immer wieder an den Fehlschlägen von Hedgefondsstrategien sehe. Auch Profi-Investoren täten sich schwer damit, ihr Modell zu hinterfragen, wenn ein Ereignis eintritt, das ihrem Modell zufolge eigentlich nicht eintreten dürfte, erzählt Odean. Dann erklärten sie sich das Ereignis lieber damit, dass eben etwas sehr, sehr Unwahrscheinliches passiert sei.

Doch hilft einem wenigstens langjährige Erfahrung, solche Fehler zu vermeiden? Leider nein, meint Odean. Gerade Investoren, die lange Zeit erfolgreich waren, tendierten zu Selbstüberschätzung. Jedenfalls verhielten sich Anleger nicht rational, wie in ökonomischen Standardmodellen oft angenommen werde.

Ein wenig anders sieht das Sheridan Titman, Professor an der University of Texas in Austin, der ebenfalls kürzlich einen Vortrag in Wien hielt – auf Einladung von Spängler IQAM Research, einer Kooperation zwischen Spängler IQAM Invest, TU Wien und WU Wien. Aktienerträge sind seiner Meinung nach auch deswegen prognostizierbar, weil Anleger Aktien systematisch falsch bewerten.

Das tun sie aber nicht, weil sie „irrational“ handelten, sondern weil sie „weiche Informationen“ nicht richtig einordnen können.

Auch rational denkende Menschen machten Fehler, die etwa daher rühren, dass sie sich an bestimmte historische Ereignisse erinnerten und glaubten, dass sich diese Ereignisse wiederholen, stellte Titman fest.

So hätten die Anleger 1929 die Auswirkung der Weltwirtschaftskrise unterschätzt, denn es sollte in den folgenden Jahren noch viel schlimmer kommen. Auch Anfang der Neunzigerjahre, als der japanische Nikkei einbrach, erfolgte zunächst eine Unterreaktion, da es in den Folgejahren noch viel schlimmer kommen sollte.

Soft Facts überbewertet

Als nun die Finanzkrise 2008 ausbrach, erinnerten sich viele Anleger zumindest noch an den Japan-Crash – und überreagierten. Viele warfen ihre Aktien auf den Markt und stiegen 2009, als sich die Kurse erholten, viel zu spät wieder ein.

Das war falsch, aber keineswegs irrational, meint Titman. Auch verfügten Anleger oft über „weiche Informationen“, die sie tendenziell überbewerteten. Wenn sie etwa im Hinterkopf haben, wie schnell der Wandel in der Technologie vonstattengehe (etwa bei Handys), könne das dazu führen, dass sie in bestimmten Marktphasen den Effekt der „kreativen Zerstörung“ überschätzen, wenig profitable Firmen mit starker Wachstumsstory kaufen und profitable, werthaltige Unternehmen links liegen lassen. [ iStockphoto ]

Was Sie beachten sollten bei . . . der Aktienauswahl

Tipp 1

Nicht ständig handeln. „Hin und her macht Taschen leer.“ Viele Experten sind der Ansicht, dass häufiges Kaufen und Verkaufen die Gewinne schmälern. Dies hängt auch damit zusammen, dass bei jeder Transaktion Kosten anfallen, die bei der Renditeerwartung berücksichtigt werden sollten. Als Kleinanleger auf jede Bewegung des Marktes zu reagieren, ist nicht sinnvoll.

Tipp 2

Zu feste Überzeugungen. Von einer einmal gefassten Überzeugung lassen sich Anleger nur ungern wieder abbringen. Eher halten sie den Markt für irrational als die eigene Theorie für falsch. Verhaltensökonom Terrance Odean rät, jede Investmentidee auf alle möglichen Risken zu hinterfragen. Wenn einem gar keine einfallen, ist erst recht Vorsicht geboten.

Tipp 3

Herdenverhalten. Anleger tendieren dazu, auf fahrende Züge aufzuspringen. Das ist nicht grundsätzlich unvernünftig, da Trends dazu neigen, sich fortzusetzen. Je mehr Anleger jedoch das Verhalten anderer imitieren, desto unattraktiver wird das Investment und desto weniger gibt es für jene zu gewinnen, die als Letzte auf den Zug aufspringen.

Tipp 4

Überbewerten. Anleger tendieren dazu, bestimmte „weiche“ Informationen, etwa über technische Innovationen, überzubewerten. Das führt in bestimmten Phasen dazu, dass sie lieber wenig profitable Firmen mit großer Wachstumsstory kaufen als profitable Value-Firmen. Erstere sind daher oft überbewertet, Letztere unterbewertet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.