Raus aus dem Pfund, rein in sichere Häfen

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Die Entscheidung der Briten für einen Ausstieg aus der EU hat die britische Währung, den Euro und die Börsen abstürzen und Gold steigen lassen. Manche sehen Kaufchancen, andere warnen vor langfristigen Auswirkungen.

Wien. Am Freitag konnten die Anleger weltweit erleben, was passiert, wenn ein Risiko, das man eigentlich schon ad acta legen wollte, plötzlich doch schlagend wird: Mit ihrer Abstimmung für einen Austritt aus der EU haben die Briten die Vermögen zahlreicher Anleger – zumindest auf dem Papier – schrumpfen lassen: Die in den ersten Tagen der vergangenen Woche eingefahrenen Gewinne wurden zu einem Gutteil wieder ausradiert.

Bankaktien schmieren ab

Besonders schlimm erwischte es britische Bankaktien, doch auch in anderen europäischen Ländern fanden sich Banken, Auto- und Stahlwerte ganz unten auf den Kurszetteln. ATX und DAX büßten rund sieben Prozent ein, der EuroStoxx 50 fast neun. Die spanische und die italienische Börse verloren um die zwölf Prozent. Die britische Börse erwischte es mit einem Minus von drei Prozent nur auf den ersten Blick weniger schlimm: Denn der FTSE 100 enthält nur weltweit agierende Großkonzerne; der Mittelwerte-Index FTSE 250 büßte sieben Prozent ein. Da das britische Pfund zum Euro jedoch ebenfalls stark nachgab, betrug der Verlust auf Eurobasis mehr als zwölf Prozent. Zum Dollar stürzte das Pfund gar auf ein 31-Jahres-Tief ab.

Der Euro gab indes zum Dollar und zum Franken nach. Stärkster Gewinner war der Goldpreis, der auf Eurobasis um fast sieben Prozent zulegen konnte.

Für Inhaber von breit aufgestellten Portfolios (in denen sich nicht nur Finanztitel, sondern auch Goldminenaktien befinden) kam es vorerst nicht ganz so schlimm. Mit einem Schwarzen Freitag assoziieren die meisten wohl Ärgeres.

Doch welche Auswirkungen der Brexit tatsächlich auf die Aktienmärkte hat, wird sich erst zeigen. Die Reaktionen auf die Kursrückgänge fielen höchst unterschiedlich aus. Einige sehen bereits Einstiegschancen. „Wir nutzen nun die niedrigen Kurse, um wieder Positionen im Aktienmarkt aufzubauen“, zitiert die Agentur Bloomberg die Analysten Christian Kahler und Michael Bissinger von der DZ Bank. Die Reaktion der Kapitalmärkte, insbesondere des Frankfurter DAX, erscheine „deutlich übertrieben“. Denn die Gewinnentwicklung der Unternehmen stabilisiere sich, auch der Mangel an Anlagealternativen spreche für Aktien. Vorerst erwarten die Experten zwar eine „volatile Phase an den Finanzmärkten“. Wenn die Unsicherheit durch den Brexit schwinde, sollten wieder Mittel in die Aktienmärkte fließen.

Jahrelange Instabilität?

Maxime Alimi, Investmentstratege bei AXA IM, hält es hingegen für „voreilig, nach dem vom Brexit-Votum ausgelösten Ausverkauf bei Aktien nach Kaufgelegenheiten Ausschau zu halten“, auf jeden Fall sollte man die Reaktion der Notenbanken abwarten. Denn der Brexit bringe das Risiko EU-weiter politischer Instabilität mit sich, vor allem in Italien, Ungarn und den Niederlanden. Britische Banken stünden vor vielen Jahren der Unsicherheit.

Und Arif Husain, Leiter Festverzinsliche bei T. Rowe Price, schätzt laut Bloomberg die Gefahr einer weltweiten Rezession auf mehr als 50 Prozent. „Wer glaubt, der Brexit sei ein britisches Problem, verkennt die weltweiten Auswirkungen. Man vergisst dabei den Einfluss von Griechenland – und Griechenland ist wesentlich kleiner als Großbritannien und zudem kein Finanzzentrum.“

Stefan Kreuzkamp von der Deutschen Asset Management rechnet kurzfristig mit Volatilität, die man aber „selektiv als Einstiegsgelegenheiten nutzen“ werde. Er fürchtet jedoch langfristigere Auswirkungen auf die Finanzmärkte: „Die EU verliert mit Großbritannien sein marktfreundlichstes großes Mitglied. Die Länder, die wie Großbritannien der Idee des freien Marktes anhängen, machen sich nun wohl zu Recht große Sorgen.“

Mark Phelps vom US-Vermögensverwalter AB (Alliance Bernstein) hält die Reaktion der britischen Börse für nicht übertrieben: „Aus makroökonomischer Sicht erwarten wir, dass das Bruttoinlandsprodukt in Großbritannien in den nächsten zwölf bis 18 Monaten moderat sinken wird, um dann einen niedrigeren Wachstumskurs fortzusetzen.“ Dementsprechend würden die Unternehmensgewinne in Großbritannien in einer Zeitspanne von fünf Jahren um etwa drei bis fünf Prozent zurückgehen. Das liege „nahe unter der Marktbewegung des heutigen Tages“ .

Allerdings sollte einigen Unternehmen auch das niedrige Pfund entgegenkommen: Ihre im Ausland erwirtschafteten Erträge, umgerechnet in Britische Pfund, könnten deutlich höher sein.

Druck auf die Peripherie

Für Europa erwarten die Experten von Fidelity, dass der Druck auf Aktien kurzfristig zunimmt, vor allem auf solche von Unternehmen mit großen Einnahmen, Handelsbeziehungen und Anlagen in Großbritannien.

An den Anleihemärkten könnten die Renditen der als sicher geltenden Anlagen (etwa deutscher Staatsanleihen) weiter sinken und die Renditen bzw. Spreads von Unternehmensanleihen steigen; wie bei Aktien wäre der Finanzsektor am stärksten betroffen. Auf längere Sicht könnte das Brexit-Votum den Euroskeptikern Auftrieb geben und Bedenken über die EU im Allgemeinen schüren. Das würde den Druck gerade auf Vermögenswerte in den Peripherieländern erhöhen. [ iStockphoto ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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