Brexit-Folgen: "Politisches Risiko noch nicht quantifizierbar"

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Die Märkte haben auf den Brexit bislang gelassen reagiert. Börsenexperte Markus Koch warnt davor, die Gefahren zu unterschätzen.

Wien. Mit dem Ja der Briten zum Brexit ist ein Risiko schlagend geworden, das die meisten Marktteilnehmer zuvor für äußerst unwahrscheinlich gehalten hatten. Privatanleger, Institutionelle und Wettbüros lagen gleichermaßen daneben. „Das smarte Geld war alles andere als smart“, stellt Börsen-Experte Markus Koch fest.

Es handle sich um ein typisches Black-Swan-Ereignis. Als „schwarze Schwäne“ bezeichnet man unvorhergesehene Ereignisse, gegen die sich niemand abgesichert hat, die aber starke Auswirkungen haben. „Alle haben nur auf Griechenland geschaut und den Brexit nicht ernst genommen.“

Doch hielt sich das Entsetzen, dass das Unwahrscheinliche dann doch eintraf, bislang in Grenzen. Die Börsen gaben zwar nach, es setzten jedoch schon bald Gegenbewegungen ein, weil einige Marktteilnehmer die Kursrückgänge zum Einstieg nutzten.

Ruf nach Veränderung

„Die kurzfristige Reaktion hätte weit schlimmer sein können“, stellt Koch fest. Doch er warnt davor, die Folgen des Brexit zu unterschätzen. Vor allem das politische Risiko sei nicht quantifizierbar. Denn der Brexit sei nur Symptom einer Entwicklung, die sich in der ganzen Welt zeige – nicht zuletzt auch in den USA: weg von der Globalisierung, hin zu Protektionismus und Nationalismus. „Grund ist, dass die Menschen zu Dingen gezwungen werden, die sie nicht wollen – zur Rettung Griechenlands, zu Freiheitseinschränkungen wegen des Kampfs gegen den Terror, zum Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei, zum Mehr-Sparen-Müssen, weil es keine Zinsen gibt.“

Die Folge sei ein Ruf nach Veränderung, egal, ob nach links oder rechts. Auch in den USA zeige sich das: „Donald Trump und Bernie Sanders, die Tea Party und Occupy Wall Street – sie alle haben das Ziel, das Establishment in Washington zu verändern“, stellt der deutsche Börsenexperte, der in den USA lebt, fest. Gegen ein Umfeld, das von Wut geleitet ist, könne man nicht mit Zahlen argumentieren. Deswegen seien auch die Brexit-Umfragen so daneben gelegen. Die Risken an den Märkten würden jedenfalls hoch bleiben. Kritisch werde es, wenn auch andere Länder aus der EU aussteigen wollten.

Wahlen abwarten

Zwar sei nicht auszuschließen, dass der Brexit positive politische Folgen habe und etwa den Populismus in anderen Ländern einbremse. „Ob das passiert oder ob der Brexit ein Vorbote der Dinge ist, die uns noch bevorstehen, diese Frage ist noch nicht beantwortbar“, warnt Koch. Zunächst müsse man die Wahlen in den USA und nächstes Jahr in Deutschland und Frankreich abwarten.

Aber was sollen Anleger bis dahin tun? „Ich würde in den nächsten Wochen sehr vorsichtig sein“, sagt Koch. Der Grund: Normalerweise steigt der Goldpreis dann, wenn der Dollar fällt – und umgekehrt. Infolge des Brexit seien beide gestiegen, weil beide als sichere Häfen gesehen werden. Wenn diese Investoren recht behalten und es zu einer weltweiten Rezession kommt, wäre das sehr gefährlich.

Also raus aus Aktien und rein ins Gold? Dazu rät Koch nicht. Zwar brächten Edelmetalle oder Aktien von Unternehmen, die vor allem in den USA Umsätze erzielten, Stabilität ins Depot. Anleger sollten sich aber generell überlegen, wie hohe Verluste sie gegebenenfalls verkraften können. Der Brexit habe vor Augen geführt, wie schnell Risken schlagend werden können, mit denen keiner rechnet. (b. l.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2016)

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