Anleger meiden den türkischen Markt

(c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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Türkische Aktien und Anleihen sowie die Währung Lira haben sich seit dem Putschversuch stark verbilligt. Nun droht dem Land auch noch eine Herabstufung auf Ramschniveau durch die Ratingagentur Moody's.

Wien. Ein Markt mit großem Potenzial – so hatten viele die Türkei noch vor zwei Wochen gesehen. Nach einem gescheiterten Putschversuch, der darauffolgenden Verhaftungs- und Entlassungswelle und der Verhängung eines Ausnahmezustands schaut die Sache anders aus: Der türkische Aktienindex ISE 100 hat seit Freitag der vorvergangenen Woche um 13 Prozent nachgegeben (auf Eurobasis um 18 Prozent). Kein einziges der 100 Unternehmen im Index konnte in diesem Zeitraum zulegen. Die geringsten Kursverluste (null Prozent auf Lira- und fünf Prozent auf Eurobasis) gab es für die Mediengruppe Dogan Şirketler Grubu, die höchsten Verluste (26 Prozent in Lira und 30 Prozent in Euro) für den Ölkonzern Ipek Dogal Enerji.

Die türkische Lira wertete im gleichen Zeitraum um rund fünf Prozent zum Euro ab, die Risikoprämien von Anleihen (die der Staat oder der Verkäufer zahlen muss, damit Investoren die Papiere noch kaufen) schnellten in die Höhe. Die Rendite zehnjähriger türkischer Staatsanleihen in Lira stieg in diesem kurzen Zeitraum von 8,9 auf knapp 9,8 Prozent (und zwischenzeitlich sogar über zehn Prozent), die Rendite türkischer Papiere in US-Dollar von 3,9 auf 4,5 Prozent. Auch die Kosten für die Absicherung gegen einen Zahlungsausfall schossen in die Höhe.

Herabstufung droht

Wie es nun weitergeht, ist ungewiss, da „politische Risken schwer zu bepreisen sind“, stellt RCM-Fondsmanager Ronald Schneider fest. Insbesondere eine Entscheidung gilt es noch abzuwarten: Die Ratingagentur Moody's prüft eine mögliche Herabstufung der Türkei. Bei Moody's hat das Land gerade noch die Note Baa3. Eine Stufe darunter wäre Ramschniveau.

Die Ratingagentur S&P hat die Kreditwürdigkeit der Türkei in der vergangenen Woche bereits von BB+ auf BB und damit noch tiefer in den spekulativen Bereich herabgestuft. Zudem drohte S&P weitere Schritte an. Eine Herabstufung bedeutet, dass die Renditen türkischer Anleihen noch weiter steigen könnten, was ungünstig für jene Investoren wäre, die bereits solche Anleihen haben – denn steigende Renditen bedeuten fallende Preise. „Eine Herabstufung durch Moody's würde auch den Aktienmärkten nicht gerade helfen“, meint Peter Szopo, Aktienstratege bei der Erste Asset Management. Zumal die türkische Börse sehr bankenlastig sei. Und Banken würden von einer Herabstufung besonders schwer getroffen.

Dass sich Banken als anfälliger erweisen könnten, glaubt auch Ghadir Abu Leil-Cooper von Baring Asset Management. „Wir glauben jedoch nicht, dass sich die Anlagechancen auf dem türkischen Aktienmarkt fundamental geändert haben“, schreibt sie in einem Marktkommentar – und setzt weiter auf „qualitative Wachstumsunternehmen, die unseres Erachtens ein attraktives langfristiges Wachstumspotenzial bieten“. Dazu zählt die Expertin etwa die Erdölraffinerie Tüpraş oder den Autohersteller Ford Otosan.

Besser als der ATX

Seit zehn Jahren haben sich die Aktien im ISE 100 im Schnitt mehr als verdoppelt. Auf Eurobasis gab es immerhin ein Plus von 20 Prozent. Das Papier des Agrarchemieunternehmens Gübre Fabrikalari hat sich in Euro verfünfzehnfacht, seit einem Jahr geht es jedoch nach unten. Der Kurs der Softwarefirma Logo Yazilim verzwölffachte sich.

Zum Vergleich: Der Wiener ATX hat im gleichen Zehnjahreszeitraum 38 Prozent verloren, der fünfzig Werte umfassende EuroStoxx 17 Prozent. Nur der US-amerikanische S&P 500 konnte sich auf Eurobasis verdoppeln.

Und jetzt? Szopo rät langfristig orientierten Anlegern zu keinem generellen Rückzug aus türkischen Aktien. Doch sollten sie ihr Engagement reduzieren und zudem umschichten – weg von Banken, hin zu Exportfirmen, die von der Schwäche der Lira profitieren können. Anleihenexperte Schneider empfiehlt ebenfalls keinen Totalrückzug aus Anleihen. „Es zeigt sich, dass politische Volatilität eher von kurzer Dauer ist.“ Es gelte jedoch, die Moody's-Entscheidung abzuwarten. Mitunter passiere es, dass erwartete Herabstufungen schon vorher im Preis reflektiert werden, dass sich also unter Umständen schon vorher günstige Einstiegsmöglichkeiten für türkische Anleihen ergeben. Die längerfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen seien aber noch kaum vorhersehbar, sagt Szopo. Möglicherweise werde Premier Recep Tayyip Erdoğan auf eine expansivere Geldpolitik drängen, um die negativen Konsequenzen der jüngsten Ereignisse zu kompensieren.

Ziehen Investoren Gelder ab?

Einige Sektoren wie der Tourismus würden wohl in Mitleidenschaft gezogen werden, was das Wirtschaftswachstum, das man zuletzt

mit 3,5 Prozent für heuer und nächstes Jahr prognostiziert hat, wohl um einige Zehntelprozentpunkte geringer ausfallen lassen dürfte. Vorerst gebe es noch keinen Anlass, den langfristigen makroökonomischen Ausblick für die Türkei zu ändern. Szopo ist jedoch vorsichtig: „Die Frage ist, was jetzt weiter passiert.“ Sollte die Unsicherheit zunehmen, könnte es auch tiefer gehende und längerfristige Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum und die Märkte geben.

Eine Gefahr sieht Szopo auch darin, dass Investoren Gelder aus der Türkei abziehen – oder zumindest nicht mehr so viel investieren, was für das Land mit seinem starken Leistungsbilanzdefizit (mehr als vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts) fatal wäre.

Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg haben ausländische Anleger zwischen Jahresbeginn und Ende Mai netto 7,3 Mrd. Dollar in türkische Vermögenswerte investiert, nach einem Nettoabfluss von 3,2 Mrd. Dollar im selben Zeitraum des Vorjahres, wie Daten der Zentralbank zeigten.

„Diese Zunahme der Zuflüsse wird sich jetzt bestimmt umkehren und unvermeidlich für Stress auf den Märkten sorgen“, schrieb Michael Howell, Geschäftsführer bei CrossBorder Capital in London.

Ein Abzug der Investoren würde weiteren Druck auf die türkische Währung ausüben, fürchtet Schneider. Sollten dann auch noch die US-Zinsen steigen, würde sich der Verfall der Lira weiter beschleunigen.

Momentan lasse sich aber noch nicht sagen, dass die Lira außergewöhnlich schwach sei. Die Türkei verzeichne höhere Inflationsraten als etwa die Eurozone oder die USA, berücksichtige man das, sei der Kurs der Lira angemessen.

Russland relativ attraktiver

Die jüngsten Ereignisse – Brexit-Abstimmung der Briten und Putschversuch in der Türkei – hätten die Attraktivität des türkischen Markts innerhalb der Schwellenländer aber schrumpfen lassen. Relativ gesehen attraktiver geworden sei hingegen Russland, meint Szopo. Beide Ereignisse hätten auf den russischen Markt vergleichsweise geringe Auswirkungen. [ iStockphoto ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2016)

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