Brexit ist gelaufen, Unsicherheit bleibt hoch

(c) REUTERS (JON NAZCA)
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Bislang reagierten die Börsen gelassen auf die Brexit-Abstimmung. Einige Experten raten nun aber zur Vorsicht.

Wien. Dass die Aktienmärkte so gelassen auf die Brexit-Abstimmung in Großbritannien reagieren, macht nun doch einige nervös. Die Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle Investments hat Aktien auf „Neutral“ zurückgestuft, nachdem man diese Anlageklasse fünf Jahre lang zum Kauf empfohlen hat. Dass sich britische Aktien bis dato relativ gut halten, führt Aktienstratege Mark Burgess auf die Tatsache zurück, dass man jetzt wisse, wer künftig das Amt des britischen Premierministers ausüben werde, was die Unsicherheit mildere. Auch dass Theresa May die Amtsgeschäfte wesentlich früher als erwartet übernommen habe, verleihe den Märkten kurzfristig Auftrieb.

Doch bleibe angesichts der politischen und konjunkturellen Unsicherheiten den Notenbanken gar nichts anderes übrig, als ihre Geldpolitik äußerst locker zu halten. Da es für Anleihen kaum noch Renditen gibt, verleite das Anleger, auf Aktien auszuweichen, was deren Kurse treibe. „Dennoch wirkt diese Rallye ein Stück weit ungerechtfertigt und nicht durch Fundamentaldaten untermauert“, schreibt Burgess und verweist auf die Wahlen in den USA, mögliche weitere Zerwürfnisse in Europa, die weltweite Schuldenlast, die globalen Überkapazitäten, die hohe Anzahl notleidender Kredite im italienischen Bankensystem und Chinas anhaltende Bemühungen, seine Wirtschaft wieder ins Lot zu bringen.

Im Detail habe man das Engagement in Europa (ohne Großbritannien), Großbritannien und Asien (ohne Japan) auf „Neutral“ gesenkt. In den USA und den Schwellenländern habe man die Position indes von „Untergewichten“ auf ein neutrales Niveau erhöht, da sich diese Regionen nicht unmittelbar im Brennpunkt der ungünstigen Entwicklungen befänden. Nur in Japan halte man an der geringfügigen Übergewichtung fest.

Anleger suchen Sicherheit

James Butterfill, Head of Research bei ETF Securities, stellt bei den Anlegern eine Flucht in sichere Häfen fest: Viele würden das Pfund shorten (auf ein fallendes Pfund setzen) und auf einen Anstieg des Schweizer Franken bauen. Der Brexit habe auch dem Goldpreis Auftrieb verliehen (eine Feinunze hat sich seitdem von 1240 auf 1320 Dollar verteuert), aber noch nicht in dem Ausmaß wie erwartet. Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise erklärt auch den Rückgang der Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen von 0,6 Prozent zu Jahresbeginn auf zuletzt null (und zwischenzeitlich unter null) Prozent mit der Unsicherheit vor und nach der Brexit-Abstimmung. Der Austritt Großbritanniens werde indes die britische Wirtschaft schlimmer treffen als die Eurozone. Heises Basisszenario (70Prozent Wahrscheinlichkeit) ist eine „sanfte Trennung“ mit einem maßgeschneiderten Freihandelsabkommen. Dabei würde die Volatilität auf den Märkten mindestens bis Ende 2016 erhöht und die Geldpolitik der Notenbanken expansiv bleiben. Der Druck auf das Pfund dürfte anhalten, doch im Lauf des Jahres2017 dürfte die Währung wieder ihr aktuelles Niveau erreichen. Schlechter wären die Aussichten im Fall einer „schmutzigen Scheidung“ (20Prozent Wahrscheinlichkeit) mit einem deutlich eingeschränkten Zugang Großbritanniens zum Binnenmarkt und einer starken Begrenzung der Einwanderung. Das würde die britische Wirtschaft jahrelang belasten, das Pfund würde auf mittlere Sicht um zwanzig Prozent abwerten, die Unsicherheit auf den Finanzmärkten könnte jahrelang andauern.

Auch ein „Bremain“ (Bereuen des Brexit, zweites Referendum, Mehrheit für den Verbleib in der EU) wäre kurzfristig kaum positiv für die Finanzmärkte, da sich dadurch die Unsicherheit noch einmal erhöhen würde. Mittelfristig würden die Wachstumsverluste aber wieder aufgeholt, das Pfund würde in einem solchen Fall wieder leicht erstarken. (b. l.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2016)

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