Wer hat Angst vor dem nächsten Börsencrash?

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Die Risken auf den Aktienmärkten sind hoch. Experten raten dennoch, zu investieren. Denn auf den Bondmärkten sind die Risken noch größer.

Wien. Der Herbst ist eine gefährliche Jahreszeit für die Börsen. Sechs der zehn verlustreichsten Tage in der Geschichte des Frankfurter DAX entfallen auf den Oktober. Die drei schlechtesten Börsentage im US-amerikanischen Dow Jones fanden ebenfalls allesamt in einem Oktober statt. Und auch unter den 30 schwächsten Börsenmonaten in der Geschichte des Dow Jones sind September (fünfmal) und Oktober (sechsmal) überrepräsentiert.

Betrachtet man den globalen Aktienindex MSCI World der vergangenen zehn Jahre (s. Grafik), so erfolgten Knicks meist in der zweiten Jahreshälfte – wenn auch nicht immer im September und Oktober. 2011, als die Euro-Schulden-Krise zu eskalieren drohte, brachen die Kurse schon im Juli und August ein. Im Vorjahr, als die Sorge um China zunahm, ging es ebenfalls schon im Sommer nach unten.

Holpriger Start ins neue Jahr

Und heuer? Der September hat den Anlegern vorerst ein leichtes Plus beschert. An den letzten beiden Handelstagen der vergangenen Woche ging es leicht nach unten, weil die Europäische Zentralbank (EZB) entgegen den Erwartungen vieler Anleger ihre Geldpolitik nicht noch weiter gelockert hat. Kaum jemand zweifelt jedoch daran, dass noch weitere Maßnahmen folgen werden. DIW-Chef Marcel Fratzscher erwartet, dass die EZB noch im Dezember eine Verlängerung des Anleihenkaufprogramms über März 2017 hinaus bekannt geben wird.

Doch auch, wenn vonseiten der Notenbanker zumindest in Europa kein Gegenwind droht: Ist es nicht schon längst wieder Zeit für eine Korrektur angesichts der zahlreichen Risken, die über den Märkten schweben – von einer drohenden harten Landung der chinesischen Wirtschaft über politische Unsicherheiten bis hin zu einer Zinsanhebung in den USA?

Peter Steffen, Portfolio-Manager bei Ethenea Independent Investors: „Einen besonders langen Bullenmarkt haben wir nicht hinter uns.“ Heuer sei es im Jänner und Februar deutlich bergab gegangen. Europas Aktienmärkte haben die Delle noch immer nicht ganz wettgemacht. „In den USA geht es dank des schwachen Dollar besser.“ Die Erholung in den Emerging Markets habe damit zu tun, dass diese Anfang 2016 auf einem sehr tiefen Niveau gelegen seien.

Die Risken für den Aktienmarkt seien jedoch beträchtlich. Eine der größten Gefahren sieht er in einem Wiederaufflammen der China-Sorgen, die schon im Vorjahr für eine Delle gesorgt haben: Der starke Anstieg des Dollar im Vorjahr habe der Weltwirtschaft zugesetzt und die Rohstoffpreise einbrechen lassen. Vor allem das exportstarke China, dessen Währung stark an den Dollar gekoppelt war, hatte mit dem Anstieg seiner Währung zu kämpfen. Als im Sommer die Angst vor einer harten Landung in China eskalierte, sahen sich die Chinesen veranlasst, dem Druck stattzugeben und ihre Währung abzuwerten. „Die Sorge, dass es zu einem Abwertungswettbewerb kommen könnte, erweist sich vorerst als unbegründet. Der Yuan hat sich leicht abgeschwächt, ist aber noch immer zu teuer“, sagt Steffen.

Konsumgüteraktien teuer

Dennoch, das Risiko für den Aktienmarkt bleibe hoch, weshalb der Fondsmanager des Ethna-Dynamisch auch dazu rät, auf Werte mit stabilem Geschäftsmodell und geringem China-Exposure zu setzen. Hier böten sich etwa US-Telekom-Firmen an, die nicht teuer bewertet seien. Bei den normalerweise ebenfalls als defensiv angesehenen Pharmaaktien sei im Vorfeld der US-Wahlen Vorsicht angebracht. Die Kurse der Unternehmen könnten aufgrund des zunehmenden politischen Drucks, der nach Preiserhöhungen auf sie zugekommen ist, weiterhin volatil bleiben, bis mehr Klarheit herrscht.

Viele Konsumgüteraktien seien indes nicht mehr billig, da die Anleger angesichts der Niedrigzinsen diese Aktien als sichere Alternative gesehen und die Kurse hochgetrieben haben. Im Fall einer starken Zinserhöhung – die Steffen derzeit nicht erwartet – würden diese Aktien kurzfristig leiden, da die relative Attraktivität im Vergleich zu Staatsanleihen schrumpfen würde. Langfristig seien die Geschäftsmodelle der Firmen aber unabhängig vom Zinsniveau attraktiv.

Wenn die USA die Zinsen anheben, sollte das keine allzu drastischen Auswirkungen auf die Aktienmärkte haben. „Sie werden die Zinsen ja nicht auf fünf Prozent erhöhen, sondern auf 0,5 bis 0,75 Prozent.“ Steigende Zinsen hätten zudem positive Auswirkungen auf die Banken und die Versicherer.

Doch soll man angesichts der Risken mit einem Einstieg nicht auf die nächste Delle warten? Steffen hält Aktien trotz der Risken für eine bessere Idee als vermeintlich sichere Staatsanleihen. Bei europäischen und japanischen Staatsanleihen mit Null- oder Negativrendite versuchten zwar viele noch, über geschicktes Timing einen Gewinn zu erzielen (indem sie die Anleihen während der Laufzeit mit Gewinn zu verkaufen trachten). „Wenn man jedoch plant, diese Anleihen bis zur Endfälligkeit zu halten, ist ein Verlust garantiert.“

Timing gelingt nur selten

Bei einem überraschenden, stärker als erwarteten Anstieg der Inflation würden Anleihen mehr als Aktien von Unternehmen leiden, die ihre Preise rasch anpassen können (etwa Konsumgüterhersteller).

Auch Thomas Gebert rät in seinem Buch „Was zu tun ist, wenn es so weit ist: Kapitalschutz in unsicheren Zeiten“ von der Strategie ab, bis zur nächsten Krise zu warten, um Aktien zu kaufen. Er rechnet vor: Hätte jemand 1962 in Aktien investiert, hätte er sein Vermögen ver-27-facht. Hätte er beschlossen, Aktien immer dann zu kaufen, wenn sich die Kurse von ihrem jüngsten Hoch halbiert haben, und sie immer fünf Jahre später – nach der Dauer einer typischen Hausse – zu verkaufen, hätte er zunächst 39 Jahre warten müssen: bis 2001. Damals gab der DAX erstmals mehr als 50 Prozent nach. In weiterer Folge hätte sich sein Einsatz mit der Strategie auf das 3,7-Fache gesteigert. Auch Variationen der Strategie (Kauf nach 30-prozentigem Rückgang, Ausstieg nach drei Jahren) brachten kaum bessere Ergebnisse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2016)

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