Versteckte Chancen an türkischer Börse

(c) APA/AFP/ADEM ALTAN
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Trotz anhaltender politischer Turbulenzen ist die türkische Wirtschaft bislang gut unterwegs. Für türkische Aktien spricht der derzeit hohe Bewertungsabschlag im Vergleich zu anderen Börsenplätzen.

Wien. Die Türkei kommt auch 2016 nicht zur Ruhe: Egal, ob die wieder eskalierende Kurdenproblematik, die zumindest zum Teil damit zusammenhängende Anschlagserie der vergangenen Monate, der Putschversuch vom Juli und die seitdem kursierende Verhaftungswelle oder das Vorgehen gegen unabhängige Medien – ein negatives Ereignis jagt, so scheint es, das andere. Ganz zu schweigen von der Rolle des Landes im Syrien-Konflikt, dem Kampf gegen den Islamischen Staat im Irak, dem 2017 anstehenden Referendum über eine neue Präsidialverfassung oder den angespannten Beziehungen zur EU.

Das Umfeld für Investoren ist angesichts der politischen Turbulenzen der vergangenen Monate alles andere als vertrauenerweckend. Die wirtschaftliche Entwicklung ist dagegen weitgehend stabil: Trotz der Aussicht auf ein negatives Wirtschaftswachstum im dritten Quartal erwarten Analysten, dank einer starken ersten Jahreshälfte, dass das Bruttoinlandsprodukt zum Jahresende um rund drei Prozent wachsen wird. Auch die Börse hat sich im bisherigen Jahresverlauf ganz ordentlich entwickelt. Der wichtigste Aktienindex, ISE 100, steht mit 5,30 Prozent im Plus.

„Die türkische Regierung engagiert sich stark in der Stabilisierung und Stimulierung der türkischen Konsumnachfrage“, sagt Sebastian Kahlfeld, Manager des DWS Türkei der Deutschen Asset Management. Auch seien Infrastrukturprojekte, die bereits in der Vergangenheit weit oben auf der Agenda der Regierung standen, weiter Kernbestandteil des Wirtschaftsprogramms. Daher sei auch das Geschäftsklima als stabil zu betrachten. Nachsatz des Experten: „Ohne diese Maßnahmen würden andere Aspekte, wie die geringe Anzahl an Touristen in diesem Jahr, jedoch stärker ins Gewicht fallen.“

„Was den Reformprozess betrifft, hat sich wiederholt gezeigt, dass die Wirtschaft ein Schlüsselfaktor in der Politik von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist“, sagt auch Crina-Amalia Ripfl, Managerin des Espa Stock Istanbul. Sie verweist unter anderem auf die Erhöhung der Mindestlöhne um 30 Prozent, die über den verstärkten Konsum das Wirtschaftswachstum unterstützt hat. Positiv auf die Wirtschaft sollte sich auch ein Gesetz auswirken, das derzeit vorbereitet werde und die Verlängerung von Ratenzahlungen auf Kreditkartenschulden vorsehe.

Langfristige Geschäftsmodelle im Fokus

Für Ripfl spricht neben der relativ stabilen wirtschaftlichen Entwicklung auch der Bewertungsabschlag gegenüber anderen Märkten für türkische Aktien. „Der Leitindex weist einen Abschlag von rund 40 Prozent gegenüber den durchschnittlichen Bewertungen in den Schwellenländern auf, und damit so viel wie zuletzt während der Finanzkrise 2008“, so die Fondsmanagerin. Allein Bankaktien würden mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (Aktienkurs/Gewinn je Aktie) von sechs und einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,75 gehandelt. Das Positive dabei: Möglicherweise seien die jüngsten negativen Ereignisse in den Kursen bereits eingepreist, so Ripfl. „Trotz einzelner Faktoren wie beispielsweise der Konsumschwäche ist der türkische Aktienmarkt dennoch breit diversifiziert“, nennt Kahlfeld ein weiteres Argument für den Markt. Zudem würden Exportwerte, die einen nennenswerten Beitrag der großen Marktindizes ausmachen, von der Abschwächung der Türkischen Lira profitieren. „Darüber hinaus gibt es viele Unternehmen in der zweiten und dritten Reihe, die über wachstumsorientierte Geschäftsmodelle in Nischen verfügen und sich teilweise von der Gesamtlage abkoppeln können“, sagt Kahlfeld. Anlegern empfehlen die Experten, sich in der Türkei auf langfristig attraktive Geschäftsmodelle zu konzentrieren, die operativ stabil sind und von wirtschaftlichen Trends profitieren können. Dazu kommen unter anderem eine geringe Verschuldung sowie die hohe Dividendenausschüttungen der Unternehmen. Chancen sehen die Experten zurzeit vor allem bei Gesundheits-, Infrastruktur- und Exporttiteln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2016)

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