Analysten sind keine Hellseher

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Die Aktienmärkte waren 2016 vielfach von politischen Ereignissen geprägt. Deren Auswirkungen wurden von Börsenexperten nicht immer richtig eingeschätzt.

Wien. Eines hat sich in diesem Jahr auf jeden Fall bewahrheitet. Die Aktienmärkte waren volatil – und werden es im kommenden Jahr vermutlich auch noch bleiben. Das haben die Analysten zum Jahreswechsel 2015/2016 ziemlich genau vorhergesehen. Mit dieser Prognose lagen sie richtig – dafür sind sie in manchen anderen Fällen danebengelegen.

So geschehen etwa zu Jahresbeginn 2016. Damals wurden Anleger weltweit auf dem falschen Fuß erwischt. Was war geschehen? Gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres rasselte die chinesische Börse nach unten. Der Handel musste zweimal vorzeitig beendet werden. Zu diesem Zeitpunkt lief eine mehrmonatige Regelung aus, die Großinvestoren den Verkauf von Aktien verbot. Dies aber ging in dem Getöse unter, vielmehr rückten gesunkene Konjunkturerwartungen und die Angst vor einem veritablen Crash der Volkswirtschaft in den Fokus. Schon 2015 war es mehrfach zu Abstürzen an der chinesischen Börse gekommen. Viele dachten damals wohl, dass das Thema damit erledigt sei.

Comeback der Schwellenländer

Dass die Schwellenländer, zu denen auch China zählt, in diesem Jahr teils fröhliche Urständ feiern würden, hatte so kaum jemand auf der Rechnung. Viele zogen nämlich Aktien aus den Industriestaaten gegenüber Papieren aus den Emerging Markets vor. Der Grund dafür waren unter anderem miserable Konjunkturdaten und schwache Rohstoffpreise, die den Ländern zusetzten.

Brasilien und Russland wurden in der Vergangenheit aber so stark abverkauft, dass sich vielen eine attraktive Einstiegsmöglichkeit bot. Wer diese nutzte, konnte in Brasilien auf Eurobasis einen Gewinn von 65 Prozent einstreifen. Der Anstieg der Rohstoffpreise in diesem Jahr verhalf auch Russlands Aktienmarkt zu einem Comeback, das Plus betrug hier 57 Prozent. Selbst Chinas Börse konnte sich von ihrem Jahrestief erholen. Nach dem Absturz ging es um 16 Prozent (in Euro) bergauf. Seither rückten aber ohnehin andere Themen in den Fokus.

Keiner hielt Brexit für möglich

Dazu zählt etwa der Austritt Großbritanniens aus der EU. Zugegeben, in ganz Europa hatte wohl kaum jemand geglaubt, dass dieses Ereignis Realität werden würde. Einige warnten im Vorfeld vor dramatischen Folgen für die Londoner Finanzwelt und einem Zerfall der EU.

Beides ist bisher nicht eingetreten, doch ist fraglich, wie es in den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU weitergehen wird. Die britische Premierministerin, Theresa May, will den Brexit bis März 2017 einleiten. Eine Rezession der britischen Volkswirtschaft wird sich heuer vermeiden lassen, doch dürfte sich das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr abschwächen.

Analysten hatten im Vorfeld des Brexit-Referendums vor schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten gewarnt und eine Abwertung des Pfund in Aussicht gestellt. Beides ist eingetreten. Wiewohl die Turbulenzen an der Börse nicht von langer Dauer waren. Der Pfund-Schwäche konnte dafür nicht Einhalt geboten werden (wenn auch die Währung in den vergangenen Wochen wieder etwas stärker wurde). Allein heuer hat das Pfund gegenüber dem Dollar 16 Prozent verloren.

Exportorientierte Unternehmen freut dies, wie auch den britischen Aktienmarkt. Das konnten die Analysten ganz gut vorhersagen, Mittelständlern prophezeiten sie dagegen Schwierigkeiten. Die schwache Währung hat den Leitindex FTSE 100 auf ein neues Allzeithoch getrieben. Im bisherigen Jahresverlauf gab es auf Pfundbasis ein Plus von zwölf Prozent (auf Eurobasis minus ein Prozent). „Wir haben vom Brexit Schlimmeres erwartet“, sagt dazu Markus Ploner, Geschäftsführer von Spängler Iqam Invest.

Trump schnell überwunden

Kaum war der Brexit halbwegs überstanden, richteten sich die Augen auf die USA. Dass nicht Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton, sondern Donald Trump das Rennen um das Weiße Haus macht, hatte ebenso niemand vorhergesehen. Die Märkte mögen bekanntlich keine Unsicherheiten, eingepreist war ein Wahlsieg des Immobilientycoons jedenfalls nicht.

Dennoch stellte sich der zunächst von allen erwartete Schock an den Märkten hinterher als kurze Irritation heraus. Wohl auch, weil Trumps erste Rede an die Öffentlichkeit von versöhnlicheren Tönen geprägt war. Am späteren Vormittag war der Spuk an den Märkten vorbei. Schneller als gedacht kam es nach Trumps Sieg dann auch zu Kursverlusten an den Anleihenmärkten in den westlichen Industriestaaten. Sinkt die Rendite einer Anleihe, dann steigen ihre Kurse, und umgekehrt. Allein in den USA flossen binnen kurzer Zeit zwei Billionen Dollar aus den Bondmärkten ab, Gewinner waren zweifelsohne die Aktienmärkte. Der Leitindex Dow Jones setzte seither zu einem neuen Höhenflug an.

Späte Zinserhöhung

Schon seit Längerem hatten Experten zu kurzlaufenden Anleihen geraten, weil sie das Risiko bei Anleihen mit langen Laufzeiten (aufgrund von Zins- und Inflationsrisiken) als zu hoch empfanden. Auch von einer Blase auf den Anleihemärkten war seit einiger Zeit die Rede. Der Druck, der sich in Europa durch die Interventionen der Europäischen Zentralbank aufgebaut hat, scheint nun vorerst nachgelassen zu haben, ebenso wie die mehr als 30-jährige Rallye an den Bondmärkten.

Allseits erwartet wurde dafür die Zinserhöhung der US-Notenbank Fed in der Vorwoche (siehe Bericht unten), nachdem sie von einem solchen Schritt im September Abstand genommen hatte. Das Comeback europäischer Märkte hat sich dagegen trotz der Geldschwemme der Europäischen Zentralbank noch nicht eingestellt, obwohl es seit Jahren mehrfach prophezeit wurde. Der breite Aktienindex Euro Stoxx pendelt seit Jahresbeginn um die Nulllinie. Mal sehen, ob es 2017 zu einer Trendwende kommt. [ istockphoto.com ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2016)

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