Anlagestrategien: Europa rückt wieder in den Fokus

EZB zur blauen Stunde
EZB zur blauen Stunde(c) APA/dpa/Christoph Schmidt (Christoph Schmidt)
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Bankstrategen raten zu einer Rückbesinnung auf Aktien aus Good Old Europe. Für Mutige böten auch die gebeutelten Schwellenländer eine Investitionsmöglichkeit – hier sollte man aber Devisengeschäften den Vortritt geben.

Wien. „Wenn Blut in den Straßen fließt, kaufen Sie so viel Sie können“, soll Baron de Rothschild gesagt haben. Bei ihm dürfte diese Strategie genauso aufgegangen sein wie bei John Templeton, dem Vaters der Investmentfondsidee. Er folgte ebenfalls dem Rat: „Kaufe auf dem maximalen Höhepunkt des Pessimismus.“

Blut ist auf den Finanzmärkten rund um den Globus in den vergangenen Monaten genügend geflossen, Die Angst vor einer Abschwächung der Wirtschaftsleistung Chinas, verbunden mit dem Platzen des chinesischen Börsenbooms; der Verfall der Rohstoffpreise, der vor allem den Schwellenländern heftig zusetzt; die Unsicherheit um die Zinswende in den USA; und nicht zuletzt beutelte der VW-Skandal alle Autowerte kräftig durch: Dieser giftige Cocktail löste bei vielen Anlegern, gelinde gesagt, große Unsicherheit aus.

Durchtauchen, aussteigen oder – wie eben Rothschild – die Chance zum Einstieg nutzen? Steen Jakobsen, Chefökonom der Saxo Bank, hat dazu eine eindeutige Antwort: „Der perfekte Sturm, der sich derzeit auf den Emerging Markets zusammenbraut, ist zugleich auch eine der größten Chancen seit Jahrzehnten.“ Keine Frage, dass diese Strategie nicht nur Mut, sondern auch eine vertiefte Kenntnis der Schwellenländer erfordert. Oder eine entsprechend kompetente Beratung.

Für Jakobsen lassen sich Chancen am besten über Devisengeschäfte nutzen, denn viele dieser Länder hätten noch nicht genügend Markttiefe, um robuste Aktienmärkte sicherzustellen. Studien hätten ergeben, dass über 80 Prozent aller Erträge in den Emerging Markets durch Devisentransaktionen und nicht durch das Halten von Aktien bzw. Anleihen erwirtschaftet werden, heißt es im aktuellen Marktausblick der Saxo Bank. John Hardy, Devisenstratege der Saxo, geht von Kurserholungen beim Russischen Rubel, dem Brasilianischen Real, der Türkischen Lira und dem Südafrikanischen Rand aus. Allerdings erst nach der US-Zinswende.

Was Aktien der Schwellenländer betrifft, heißt es nicht nur bei der Saxo Bank Hände weg. So etwa raten die Experten von Allianz Invest klar zu einer Übergewichtung europäischer Werte. Die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) werde für eine Outperformance europäischer Aktien sorgen, nennt die Allianz Invest einen Grund, warum Anleger ihren Blick wieder auf Good Old Europe richten sollten. Außerdem profitierten die Länder – und vor allem exportorientierte Unternehmen – vom schwächeren Euro. Und drittens nütze den Industrieländern insgesamt der niedrige Ölpreis, während sich die Schwellenländer im Zangengriff des fallenden Ölpreises und der nahenden Zinserhöhung der US-Notenbank Fed befänden, erklärt Martin Bruckner, Chief Investment Officer der Allianz in Österreich und Vorstandsmitglied der Allianz Investmentbank.

Der Ölpreis dürfte sich auf niedrigem Niveau stabilisieren, während der Euro gegenüber dem Dollar noch nachgeben dürfte, lautet die Allianz-Einschätzung. Vor diesem Hintergrund sollten generell Aktien gegenüber Anleihen und im Speziellen europäische Papiere übergewichtet werden. Die US-Wirtschaft wachse zwar solide, allerdings seien die Aktienmärkte dort höher bewertet.

Auch Jean-Charles Mériaux, Chef des Portfoliomanagements bei DNCA, setzt auf Europa. Die expansive Geldpolitik der EZB und die damit verbundene Abwertung des Euro würden die Wirtschaft in der Eurozone – trotz Griechenland – wieder begünstigen. Beste Anlageklasse und Kaufgelegenheit böten daher europäische Aktien.

Alfred Reisenberger, Investmentstratege der Valartis Bank, beweist Humor in schwierigen Zeiten: „Es ist wie beim Jenga-Spiel. Man zieht nach und nach Bausteine heraus und schaut, wann der Turm umfällt.“ Die wackeligen Bausteine, das sind die Rohstoffpreise auf den Emerging Markets, die zurzeit auf einem Zwölfjahrestief stagnieren. Dazu komme die bisher effektlose Politik der EZB, der ausbleibende Zinsschritt der Fed, China und nicht zuletzt der VW-Skandal. „Dieselgate“, wie Reisenberger die Abgasaffäre nennt, „kommt sehr ungünstig. Wir können es derzeit nicht brauchen, dass VW auch noch ins Gerede kommt.“

Toxische Kombi fordert starke Nerven

Die deutlich negative Kursentwicklung der Börsen im dritten Quartal sei Folge der toxischen Kombination, aber beileibe nicht wirtschaftlich determiniert. „Was wir sehen, ist stark emotionsgeladen“, so Reisenberger. In diesem Umfeld rät er, sich die positiven Wirtschaftsdaten Europas vor Augen zu halten. Die Valartis Bank geht davon aus, dass europäische Firmen die weitgehend nicht wirtschaftlich bestimmten Verwerfungen auch in näherer Zukunft gut überstehen.

Entscheidende Indizes sind laut Reisenberger nicht die geldpolitischen Zyklen, sondern die Unternehmensgewinne. Er verweist auf Bloomberg-Konsensus-Schätzungen, die das Gewinnwachstum europäischer Unternehmen beim Zwei- bis Dreifachen des BIP-Wachstums der EU sehen. Seiner Einschätzung nach werden die Gewinne weiter auf hohem Niveau bleiben und sich 2016 noch beschleunigen.

Europa müsse in Zeiten von Draghis Politik zusehen, dass wieder mehr billiges Geld in den Aktienmarkt fließt. Derzeit sei zu viel in Immobilien und Anleihen geparkt. Die Valartis Bank investiert in europäische Immobilien- und Bankenaktien und „selektiv in Aktien von Industrien, die uns ausgebombt erscheinen“. Auch Rohstoffe könnten wieder eine Chance bekommen.

AUF EINEN BLICK

Die Finanzmärkte befinden sich in einer toxischen Kombination aus der wirtschaftlichen Abschwächung Chinas, dem Preisverfall bei Rohstoffen und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Abschwung der Schwellenländer. Dazu kommt die Unsicherheit der Zinswende in den USA. Zuletzt beutelte der VW-Skandal – vom Valartis-Experten Alfred Reisenberger Dieselgate genannt – auch alle Autowerte.

In diesem Umfeld raten Investmentexperten, den Fokus wieder auf europäische Aktien zu richten. Die europäischen Unternehmen würden vom billigen Öl und dem billigen Euro profitieren, der die Exporte befeuert. Außerdem sollten Aktien gegenüber Anleihen übergewichtet werden, sagt die Allianz Invest.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2015)


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