"Die Stimmung ist schlechter als die Situation"

(c) Bloomberg (Tomohiro Ohsumi)
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Die Renditen von Anleihen werden noch weiter fallen, glaubt Stefan Kreuzkamp, Chefanleger der Deutschen Asset Management. Dass Anleger in Scharen auf Aktien ausweichen, erwartet er nicht.

Die Presse: Wenn man in Nullzinsphasen sichere real positive Renditen erzielen will, geht das überhaupt?

Stefan Kreuzkamp: In der Eurozone ist es schwierig. Aktuell rentieren fast zehn Billionen Euro an Staatsanleihen negativ. Um auf eine positive Rendite zu kommen, müssen Sie momentan mindestens eine fünf- bis sechsjährige Anlage tätigen.

Werfen Aktien mehr ab?

Wenn man sich das erste Halbjahr 2016 anschaut, war es bisher ein Fixed-Income-Jahr und kein Aktienjahr. Viele Anleger schauen bei Fixed Income (Anleihen) nur auf die Nominalrendite einer Anlage (die niedrig bis negativ ist, Anm.) und vergessen die Kursgewinne. Alle Assetklassen im Fixed-Income-Bereich sind um mehr als drei Prozent gestiegen. Die europäischen Aktienmärkte haben sich negativ entwickelt. Seit fünf, sechs Jahren ist die Wertentwicklung des Fixed-Income-Bereichs höher als 40 Prozent.

Seit Jahren wird das Ende der Anleiherallye prophezeit. Wann kommt es wirklich?

Renditen verharren selten länger auf einem Niveau. Der Großteil der Staatsanleihen rentiert schon negativ. Ich glaube, dass wir ein weiteres Abgleiten in den negativen Bereich beobachten werden, da die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Kaufprogramm fortsetzen wird. Fallende Renditen bedeuten weitere Kursgewinne. Die EZB kauft jetzt auch Unternehmensanleihen, das heißt, dass auch dort die Preise steigen und die Renditen fallen. Wir haben uns bereits Ende vergangenen Jahres für Unternehmensanleihen ausgesprochen.

Wohin führt das? Sehen Sie schon Blasen?

Wenn schon die zehnjährige deutsche Bundesanleihe negativ rentiert, glaube ich, dass wir hier eine Übertreibung haben. Die Eurozone wächst ja. Fundamental ist ein solches Zinsniveau nicht gerechtfertigt. Wenn man sich alte ökonomische Modelle anschaut wie die Taylor Rule – John Taylor hat ein Konzept entwickelt, das versucht, aus der wirtschaftlichen Entwicklung und aus der Inflationsrate heraus einen fairen Zins für eine Volkswirtschaft abzuleiten – dann wäre der aktuelle faire Zins für Deutschland über drei Prozent.

Wenn die Zinsen wieder steigen – was bedeutet das für die Aktienmärkte?

Die Aktienmärkte haben sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Heuer haben die Anleger gesehen, dass Aktien auch volatil sein können. Das ist nichts Neues. Das Gleiche hatten wir im vergangenen Jahr: Nur gingen die Aktienmärkte nach einem fantastischen ersten Quartal zurück. Dieses Jahr fing der Stress am Tag eins an. Die Risikobudgets vieler Portfoliomanager sind von Tag eins an unter Stress geraten. Dadurch müssen sich viele Anleger aus dem Risiko verabschieden und verstärken diese Bewegung. Wir haben uns die Frage gestellt, ob das fundamental gerechtfertigt ist oder ob die Stimmung schlechter ist als die ökonomische Situation. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Stimmung schlecht ist. Die Situation ist gar nicht so schlecht. Die USA sind nahe der Vollbeschäftigung. Höhere Zinsen würden signalisieren, dass die Wirtschaft auf einem guten Kurs ist. Die Aktienmärkte würden das vielleicht kurzfristig negativ bewerten, aber mittelfristig eher positiv.

Sie raten zu keinem Rückzug aus Aktien?

Auf keinen Fall. Wobei Aktie nicht gleich Aktie ist. Wenn Sie fragen, soll ich wahllos Emerging-Markets-Aktien kaufen, würde ich sagen: Tun Sie es nicht. Wenn Sie fragen, kann ich solide Dividendentitel kaufen, würde ich sagen: unbedingt. Sie sind ein Stabilitätsanker in jedem Portfolio.

In Österreich ist die Aktienquote nicht sehr hoch. Wird sich das durch die Nullzinsphase ändern?

Ich sehe das eher nicht. Wir arbeiten auch seit geraumer Zeit daran, den deutschen Sparer zum Investor zu machen. Das ist nicht einfach. Die Aktienquote in Privatkundenportfeuilles ist nach wie vor gering. Das würde sich erst ändern, wenn Banken anfangen, die negativen Zinsen an Kunden weiterzugeben, und damit rechnen wir nicht.

Warum nicht?

Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ihrem Sparbuch zur Bank, lassen die Zinsen nachtragen und sehen eine Abbuchung. Das würde eine Bank kaum machen.

Auch nicht indirekt über höhere Kontogebühren?

Das tun sie bereits. Es ist aber etwas anderes, wenn Sie auf Ihrem Sparbuch eine Abbuchung sehen würden wegen negativer Zinsen.

Die Anleger werden also weiter keine Aktien kaufen?

Über die vergangenen sechs bis sieben Jahre konnte man mit einem gut gemanagten Rentenfonds sechs bis sieben Prozent pro Jahr erzielen. Viele Anleger sagen sich: Warum soll ich ins Risiko gehen und das, was ich in den vergangenen sechs, sieben Jahren erzielt habe, aufs Spiel setzen? Es gibt einige Risken: Brexit, ein Wirtschaftseinbruch in China, ein unkontrollierter Zinsanstieg in den USA, weitere Schwächen in den Emerging Markets. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn sich Anleger auf die Seitenlinie stellen.

ZUR PERSON

Stefan Kreuzkamp ist Chief Investment Officer und Chefanleger der Deutschen Asset & Wealth Management. In dieser Funktion hat er im Dezember des Vorjahres Asoka Wöhrmann abgelöst. Kreuzkamp kam 1998 zur Vermögensverwaltung der Deutschen Bank und war zunächst im Geldmarktfondsmanagement und später im Rentenfondsmanagement tätig. Danach verantwortete er als Chief Investment Officer die Anlageklassen Aktien, Renten und Multi Asset in der Region Europa, Naher Osten und Afrika. [ Ákos Burg ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2016)


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