Die verkehrte Welt der Rentenmärkte

(c) Bloomberg (Michael Nagle)
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Erstmals haben die Renditen zehnjähriger deutscher Bundesanleihen die Nulllinie unterschritten. Die Zurückhaltung der US-Notenbank verschärft die Lage.

Wien. Bis vor Kurzem schien es eine ausgemachte Sache, dass spätestens bei der Nulllinie Schluss ist. Doch jetzt rutschten die Renditen deutscher Bundesanleihen selbst im zehnjährigen Bereich ins Minus. Zur Erklärung: Je stärker die Anleihekurse steigen, desto mehr bezahlt man für den (meist) fixen Kupon. Das drückt sich in einer sinkenden Rendite aus. Allein, wer Anleihen mit einer Minusrendite kauft, bezahlt dem Schuldner paradoxerweise auch noch Geld. Doch „ist der Rückgang der Staatsanleiherenditen ein globales Phänomen“, erklärt Monika Rosen-Philipp, Leiterin Private Banking Research bei der Bank Austria. In den vergangenen Tagen fielen auch die Zehn-Jahres-Renditen bei Anleihen aus Großbritannien, Neuseeland, Australien, Japan und der Schweiz auf historische Tiefstände.

„Seit einer Woche ist wegen der Brexit-Angst der Teufel auf den Anleihemärkten los“, sagt Gutmann-Experte Thomas Neuhold. Die Befürworter eines Austritts holen auf, das sorgt für Nervosität. Die Bank-Austria-Expertin ist indes überzeugt, dass sich in dieser Entwicklung mehr als temporäre Faktoren wie Brexit-Angst oder der eingebremste amerikanische Zinsanhebungsprozess widerspiegeln. „Augenscheinlich preisen Anleger langfristig einen moderateren globalen Wachstums- und Inflationspfad ein.“

Vergangenen Mittwoch ließen die US-Notenbanker die Leitzinsen unverändert zwischen 0,25 bis 0,50 Prozent. Doch wurde überraschend der erwartete Leitzinspfad von den Notenbank-Mitgliedern für 2017 und 2018 nach unten korrigiert, analysiert Deka-Volkswirt Rudolf Besch. Was aber weitere Zinsanhebungen nicht ausschließt. Bei der Deka Bank rechnet man mit einer Bandbreite bis Jänner 2018 von 1,25 bis 1,5 Prozent.

Risiko wird gemieden

Das ändert freilich nichts an der kurzfristig vorherrschenden Ratlosigkeit unter Anlegern: „Bis zum 23. Juni bleiben die Bondmärkte im Euroraum vermutlich vom britischen Referendum paralysiert. Jedes Mal, wenn die Brexit-Sorgen zunehmen, reagieren die Zinsmärkte darauf mit den üblichen Anzeichen für Risikoaversion: niedrigere Renditen in Kernstaaten und höhere Zinsdifferenzen zwischen der europäischen Peripherie und den Kernstaaten“, so Rosen-Philipp. Bei der Bank Austria rechnet man jedenfalls mit einem Verbleib Englands.

Während in Europa also die Kurse von Staatsanleihen aus der Peripherie, aber auch von nachrangigen Bankanleihen kräftig sinken, „halten sich die Kurse von Unternehmensanleihen aufgrund des EZB-Kaufprogramms relativ konstant“, betont Neuhold von der Gutmann KAG und erklärt zudem: „In den großen Währungsblöcken Euro, Pfund und Dollar ist das Währungsrisiko deutlich angestiegen, die Chancen im Euroraum aufgrund der aktuellen Marktpanik werden größer. Man könnte etwa vorsichtig bei Unternehmensanleihen einsteigen.“ Global profitierten des Weiteren auch Anleihen aus den Schwellenländern von jeder Verschiebung der US-Zinsanhebung, so Neuhold, „und verlieren, wenn es zur Anhebung kommt“. Dann verteuern sich deren Dollarschulden, und viele Anleger legen ihr Geld lieber in den USA an.

Luca Paolini, Pictet-Chefstratege, verweist dabei auch auf die durchschnittlich steigenden Bonitäten in diesen Regionen sowie die sinkenden Inflationsraten „im Gegensatz zu den entwickelten Ländern“. Allerdings wird eher zu Hartwährungsanleihen geraten.

Bei Kames Capital sieht man derzeit auch gute Chancen bei inflationsindexierten Anleihen, hier passen sich die Kupons an die aktuelle Inflationsrate an, in den Kursen selbst spiegelt sich die Erwartungshaltung zur künftigen Entwicklung wider. Allein, die aktuellen Deflationsängste seien laut Fondsmanager Euan McNeill übertrieben, „und der Ölpreis hat sich ein gutes Stück erholt“. Da nun auch die Renditen „normaler“ Anleihen abrutschten und Anlegern nach Abzug der Inflation immer weniger übrig bleibe, „sind Inflation-Linker umso günstiger“, fügt McNeil noch hinzu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2016)


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