Heini Staudinger: „Wir pfeifen auf den Gewinn“

Heini Staudinger
Heini StaudingerMATTHIAS AUER
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Waldviertler-Chef Heini Staudinger erzählt, warum er privat keinen Cent besitzen will. Für das Recht, seine Firma über Privatkredite zu finanzieren, ginge er auch ins Gefängnis.

Die Presse: Herr Staudinger, Sie hatten in Ihrem Leben schon sehr wenig und sehr viel Geld. Was ist Ihnen persönlich denn lieber?

Heini Staudinger: Ich habe schon im Jahr 2003 aufgehört, privat Geld zu besitzen. Ich habe kein Bankkonto, kein Sparbuch, keinen Bausparvertrag, keine Lebensversicherung, kein Wertpapier. Wenn ich Geld brauche, gehe ich ins Geschäft und sage: „Bitte gebt mir ein paar hundert Euro.“ Dann unterschreibe ich einen Zettel mit „Danke, Heini“.

Wie viel nehmen Sie sich da im Monat?

Ich brauche häufig keine 50 Euro in der Woche, weil ich alles in der Firma habe, was ich brauche. Kaffee, Essen, ein geheiztes Zimmer. Auch Bücher können wir über die Firma kaufen. Dann brauche ich noch Geld, um einmal in der Woche in die Sauna zu gehen und ein paar Mal ins Kaffeehaus, weil ich dort mehr Ruhe habe als daheim. Ich habe alles, was ich brauche, im Überfluss. Was ich mache, spüre ich nicht als Verzicht, sondern als Befreiung.

Ist es wahr, dass Sie ohne einen Cent in der Tasche zum Unternehmer geworden sind?

Meine Eltern haben eine Greißlerei geführt, da habe ich viel gelernt. Ins Schuhgeschäft eingestiegen bin ich, als ich die Earth Shoes entdeckt habe. Die wurden von einer dänischen Firma hergestellt. Ich fuhr per Anhalter nach Kopenhagen. Vor dem Gespräch mit der Firma habe ich meinen Schlafsack im Park versteckt, damit die nicht merken, dass ich nichts habe. Dann habe ich um 300.000 Schilling bestellt, obwohl ich kein Geld gehabt habe. Ich habe damals schon das ganze Geld von Freunden geborgt und nicht von der Bank.

Mittlerweile haben Sie den Banken ja komplett abgeschworen, was Ihnen nicht zuletzt Probleme mit der Finanzmarktaufsicht brachte. Warum wollen Sie kein Geld mehr von Banken?

Meine Bank hat mir im Jahr 1999 den Kreditrahmen von zwölf Millionen Schilling auf sieben Millionen gekürzt. Das war meines Erachtens reine Willkür, weil wir wenige Monate später das Jahr mit fünf Millionen Schilling Gewinn abgeschlossen haben. Das Unternehmen war also sehr wohl kreditwürdig. Tausende österreichische Kleinunternehmer machen dieselbe Erfahrung, dass die Bank willkürlich den Kreditrahmen kürzt, Kredite fällig stellt und Firmen damit in große Bedrängnis bringt.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich habe den Rat bekommen, private Investoren ins Boot zu holen. Ich bin heute noch dankbar, dass ich es nicht gemacht habe. Denen geht es nur um maximale Rendite. In unserem Fall hieße das: In drei Monaten schmeißen wir die Hälfte unserer Schremser Mitarbeiter hinaus. Die Schuhe bekommen wir in fast gleicher Qualität aus ungarischen Betrieben und machen um 300.000 Euro mehr Gewinn.

Warum tun Sie das nicht?

Weil wir es nicht wollen. Wir pfeifen auf den Gewinn. Wir wollen hier arbeiten, in Schrems im Waldviertel. Wir wollen hier leben. Ich finde richtig, was Seneca gesagt hat: „Nie ist zu wenig, was genügt.“ Ein Nuller in der Bilanz bedeutet: Wir können alle Löhne zahlen, wir können die Heizung und das Telefon zahlen und haben uns nicht zusätzlich verschulden müssen.

Schaffen Sie den Nuller derzeit?

Wir haben im Waldviertel 1995 die letzte negative Bilanz gehabt. 1994 habe ich hier angefangen. Bei meiner Handelsfirma GEA hatten wir eine einzige Minusbilanz. Die Nulllinie reicht mir. Aber natürlich kann man mit Gewinn leichter und lustvoller arbeiten. In diesem Sinn kann ich sagen, dass wir im letzten Jahrzehnt sehr lustvoll gewirtschaftet haben.

Das Motto „Nie ist zu wenig, was genügt“ verfolgen Sie ja auch in Ihrem Unternehmen. Angeblich bezahlen Sie Ihre Mitarbeiter nicht sonderlich gut.

Bei uns gibt es netto mindestens 1000 und maximal 2000 Euro. Das gilt für alle im Unternehmen. Der Tausender netto ist in der Schuhindustrie gar kein schlechter Lohn. Uns ist klar, dass das kein Lohn zum Reichwerden ist. Dafür gibt es Käse, Gemüse, Eier für alle Mitarbeiter gratis. Zweimal in der Woche gibt es Psychotherapie, zweimal kommen Masseure.

Kommen wir zum aktuellen Clinch mit der FMA. Stein des Anstoßes ist der Sparverein, den Sie vor Jahren gegründet und damit drei Millionen Euro eingenommen haben. Wie funktioniert das Modell?

Wer uns Geld borgen möchte, legt das bei uns aufs Firmenkonto. Wir unterschreiben einen Vertrag, in dem die Spielregeln drinstehen. Zum Beispiel, dass wir vier Prozent Zinsen zahlen, dass es eine dreimonatige Kündigungsfrist gibt. Für uns ist das komfortabler als mit der Bank.

Sie verstoßen damit allerdings auch gegen geltendes Recht. Die FMA ermittelt gegen Sie, weil solche Geschäfte eigentlich nur Banken machen dürfen. Sie sollen den Anlegern die drei Millionen Euro zurückzahlen.

Das ist absurd. Uns haben über zweieinhalbtausend Leute Geld geliehen. Es ist schwer vorstellbar, dass nicht mindestens die Hälfte erfahren hat, wie sehr sich die FMA um den Schutz ihres Geldes bemüht. Nicht eine Person wollte einen Cent zurück. Im Gegenteil. Über tausend weitere Menschen möchten uns noch mehr Geld borgen.

Laut Gesetz darf ein Unternehmen aber nun einmal nicht gewerbsmäßig Kredite vergeben.

Ich habe null Respekt vor diesem Gesetz und bin nicht willens, mich daran zu halten. Es ist eine weltfremde Forderung der FMA, dass wir innerhalb weniger Wochen drei Millionen Euro an unsere Anleger zurückgeben sollen. Das wäre nur möglich, wenn ich die drei Millionen Euro auf einem Sparbuch hätte. Wir haben das Geld aber im Warenlager, das von der Bank nicht mehr finanziert wird, und auch in den Gebäuden.

Sie könnten also nicht zurückzahlen, wenn alle Anleger ihr Geld zurückfordern sollten?

Das kann keine Bank in Österreich. Das kann niemand. Ich könnte es, müsste mir dafür aber von den anderen tausend Leuten Geld borgen, die das angeboten haben.

Es gibt ja legale Alternativen für Ihr Modell, etwa Genossenschaften oder Anleihen. Warum weichen Sie nicht darauf aus?

Beide Modelle sind relativ teuer. Ich will nicht für alles zwanzigseitige Verträge unterschreiben.

Andererseits schützen diese zwanzigseitigen Verträge manchmal die Anleger vor Verlusten. Es ist ja nicht immer der liebe Heini aus dem Waldviertel, dem die Leute ihr Geld geben. Es könnte genauso gut der nächstbeste Betrüger sein, der das Geld nimmt und sich dann in die Südsee absetzt.

Dafür gibt es das Strafgesetzbuch. Jeder Betrüger kann belangt werden.

Wenn man ihn noch erwischt. Die Aufgabe der FMA ist es aber auch, Anleger im Voraus zu schützen. Zeigen Sie den Anlegern eigentlich Ihre Bilanz?

Wir haben bisher Umsätze und Gewinnerwartung bekannt gegeben. Ab heuer werden wir aber auch die Bilanzen an alle Anleger verschicken.

Wenn Sie die drei Mio. nicht zurückzahlen, droht Ihnen eine Strafe von bis zu 50.000 Euro. Werden Sie zahlen?

Sicher nicht. Wenn die Strafe kommt, gehen wir vor das Verfassungsgericht, weil uns das Gesetz in der Ausübung unseres Geschäftes behindert. Es sind ja 130 Mitarbeiter mit ihren Familien mitbetroffen. Wenn es hart auf hart kommt, würde ich auch ins Gefängnis gehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die FMA das wirklich durchzieht. Wenn sie es machen, schießen sie sich ins eigene Knie.

Auf einen Blick

Heini Staudinger stieg 1980 ins Schuhgeschäft ein. Der damals 27-jährige Sohn eines deutschen Greißlers brachte die „Earth Shoes“ aus Dänemark nach Österreich und gründete die Handelsfirma GEA. 1994 bezahlte er einen Schilling für die vom damaligen Sozialminister Alfred Dallinger gegründete marode Schuhwerkstatt in Schrems. Seit 1996 schreibt Waldviertler Gewinne. Seit zehn Jahren kommt der Betrieb ohne Bankkredit aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2012)

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