Ulrich Seidl: „Habe den Stundenlohn einer Putzfrau“

Ulrich Seidl
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Interview. Regisseur Ulrich Seidl spricht über die „Supermarktkette“ Hollywood und seine ausgeglichenen Budgets und erklärt, warum man als Filmemacher keine Angst haben darf.

Die Presse: Herr Seidl, sind Sie nach ihren letzten drei Filmen, der sogenannten „Paradies"-Trilogie, auch in Ihrem finanziellen Paradies angekommen?
Ulrich Seidl: Nein. Mit den drei Filmen haben wir zwar international unglaubliche Erfolge gefeiert. Aber verdient habe ich daran nichts.

Gar nichts?
Nein, als Filmproduzent muss man fünf Prozent des Budgets selbst beisteuern, und dieser Betrag muss am Ende auch wieder reinkommen. Mit den Erlösen kann man gerade das abdecken, was man ausgegeben hat.

Und wie kann man dann Filme vorfinanzieren, wenn man mit dem letzten Film kein Geld verdient hat?
Das ist die gute Frage. Wenn man als österreichischer Filmproduzent solche Filme macht wie ich, verdient man quasi kein Geld damit.

Wovon leben Sie dann?
Ich lebe von meinen Honoraren als Regisseur und Autor.

Und die sind gut?
Für mich sind die nicht so gut, weil ich ja auch selbst produziere und die Produktionszeit meiner Filme sehr lang ist. Um es provokant zu sagen: Ich habe wahrscheinlich den Stundenlohn einer Putzfrau.

Das heißt, Geld war keine Motivation für Sie, eine eigene Produktionsfirma zu gründen?
Geld ist nicht meine Motivation, Filme zu machen. Und wenn es das wäre, dann müsste ich andere, kommerzielle Filme machen.

Schließen Sie das kategorisch aus?
Nein, ich habe ja auch schon Werbefilme gemacht.

Sie könnten ja auch einen Kassenschlager produzieren.
So etwas kann man sich nicht vornehmen. Nehmen wir an, die Menschen wüssten, wie man einen Kassenschlager macht - dann wären sie die größten Kaiser. Jeder Produzent will Geld verdienen, aber das heißt nicht, dass man die richtige Nase dafür hat.

Wie schwierig ist es, die Finanzierung für einen Film aufzustellen?

Für mich ist es nicht schwierig. Das ist die gute Seite. Die „Paradies"-Trilogie ist in internationaler Koproduktion entstanden. Es kommt Geld aus Österreich, Deutschland und Frankreich und von der EU. Das ist ein Konstrukt aus Verträgen und Verhandlungen, die das Ganze letztendlich wahnsinnig kompliziert machen und verteuern. Man muss als Produzent heute ununterbrochen Rechtsanwälte beschäftigen. Wenn ich einen Film mache, weiß ich, dass ich ihn finanzieren kann. Nur der Weg dorthin ist oft nicht leicht. Und bei den meisten Filmen ist es so, dass das Geld oft viel später kommt, als man geplant hat. Dann ist der Dreh bereits organisiert, aber es sind weder die Verträge unterzeichnet, noch ist Geld geflossen.

Das heißt, Sie müssen zwischenfinanzieren?

Ja, das muss ich. Es ist aufgrund der Finanzkrise und der Unwissenheit der Banken aber quasi unmöglich geworden, solche Zwischenfinanzierungen zu bekommen, wenn man nicht in derselben Höhe bürgt. Aber wenn das so ist, brauche ich auch die Bank nicht mehr.

Und wie machen Sie das dann?
Bei meinem letzten Film habe ich das über eine französische Bank und einen französischen Partner gemacht. Die Banken in Österreich erkennen die Förderungsverträge nicht an. Aber bevor ein Projekt gedreht werden darf, muss es ausfinanziert sein.

Haben Sie dann nicht permanent Angst, dass das Geld von vorn bis hinten nicht reicht?
Dann dürfte ich das Geschäft nicht machen. Wenn man Angst hat, muss man es sein lassen.

Setzt Sie die Doppelrolle Produzent und Künstler unter Druck?
Ich weiß, davon wird immer wieder gesprochen, als ob die Künstler das Geld rausschmeißen und der Produzent tadelt. Aber das ist ein Märchen. Ich habe als Regisseur immer verantwortlich gehandelt und nie Budgets überzogen.

Das heißt, Sie können gut mit Geld umgehen?

Ich kann verantwortungsvoll mit Geld umgehen. Gut mit Geld umgehen ist vielleicht etwas anderes.

Ist das auch privat so?
Das würde ich so sagen: verantwortungsvoll ja, aber was ist gut? Heißt es, dass man so viel Geld hat, dass es selbst für einen arbeitet?

Oder man mehr Einnahmen als Ausgaben hat. Das können viele nicht.
Das ist auch bei mir so. Man möchte immer mehr Geld haben. Bei mir kommt ja noch die Unsicherheit hinzu. Ich habe ja kein Monatsgehalt, sondern Honorare. Und ich weiß nie, wann das nächste Honorar kommt. Und trotzdem geht es immer weiter.

Wie können wir uns das vorstellen?
Wenn jemand weiß, er verdient im Jahr so und so viel, kann er planen. Ich kann das nicht. Es ist plötzlich viel da, dann wieder gar nichts.

Und wenn dann einmal viel Geld da ist, was machen Sie damit?
Also ich spare sicher nicht auf einen größeren Urlaub. Und wenn, dann sind Urlaube bei mir oft auch mit Recherchen verbunden.

Aber wenn Überschüsse da sind, legen Sie dann Geld auf die Seite? Leisten Sie sich einen Luxus?
Ich weiß nicht, was Luxus ist.

Wenn Sie größere Beträge auf dem Konto haben, müssen Sie dann aufpassen, dass Sie das Geld nicht zum Fenster hinauswerfen?
Ja sicher, aber das ist ja ganz normal. Ich bin kein kalkulierender Mensch, der auf Sicherheit aus ist. Manchmal geht die Welt nobel zugrunde. Manchmal leistet man sich etwas, obwohl man weiß, wenn man jetzt vernünftig wäre, könnte man es sich nicht leisten.

Und was wäre das bei Ihnen?
Das fängt beim Essen an. Man muss nicht immer darauf schauen, was es kostet.

Wenn man an den Anfang Ihrer Karriere geht, ist es heute einfacher als früher?
Viel einfacher, weil ich spätestens seit meinem Film „Hundstage" einen Namen habe. Da müsste ich schon zwei, drei schlechte Filme machen, um Probleme mit Finanzierungen zu haben.

Haben Sie je Angst, dass der nächste Film schlecht sein könnte?
Nein. Aber das kann natürlich passieren. Als Künstler hat man ja keine Garantie dafür. Bei manchen Künstlern geht es immer nur bergauf, andere haben ihren Zenit schon erreicht. Das weiß man nie.

Ist es als Österreicher unmöglich, mit Filmen, wie Sie sie machen, zum Millionär zu werden.
Ja, das ist unmöglich.

Was heißt dann Erfolg?
Renommee, erfolgreich in dieser Sparte des Arthouse-Kinos zu sein.

Aber nicht monetär.
Nein. Arthouse-Filme kann man nicht mit kommerziellen vergleichen. Da gibt es eine riesengroße Supermarktkette namens Hollywood, die alles verdrängt hat. Und daneben ein paar Einzelhändler, die sich mit jedem Film beweisen müssen. Hollywood-Filme haben ein Riesenbudget für PR und Verkauf, das ist viel einfacher. Dort gibt es auch Flops, aber andere, erfolgreiche Filme wiegen das auf.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, das Thema Geld in einem Film zu verarbeiten?
Nein, nicht explizit. Aber das Thema Existenz spielt bei mir ja immer eine Rolle.

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