Taschner: "Geld müssen Sie ausgeben, dafür ist es da"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Mathematiker spricht über die Faszination von runden Zahlen und erklärt, warum nicht jeder Mathematiker gut mit Geld umgehen kann und warum es zwangsläufig immer wieder Krisen gibt.

Die Presse: Der DAX hat kürzlich die 9000-Punkte-Marke überschritten, „Die Presse“ feiert ihre 20.000. Ausgabe– warum faszinieren runde Zahlen die Leute mehr als etwa 9134 oder 19.784?

Rudolf Taschner: Weil man so leicht mit ihnen rechnen kann. 10.000 mal sieben kann ich leicht ausrechnen. Bei 9837 mal sieben ist das komplizierter. Eine runde Zahl erlaubt ein schönes Rechnen. Das ist der tiefere Grund, warum die Kinder in der Schule immer aufzeigen und fragen: „Bitte, wird das Ergebnis schön sein?“ Ich befürworte, dass bei Schularbeiten immer runde, schöne Zahlen herauskommen. Das gibt einem das Gefühl, dass Mathematik einen ästhetischen Charakter hat. Kleine Zahlen sind schön. Zahlen mit vielen Nullen dahinter sind auch schön. 20.000 – da hat man das Gefühl, es ist groß.

Abgesehen davon, dass Zahlen schön sind– in Ihrem Buch stellen Sie die These auf, dass Mathematiker erfolgreicher sind...

Leute, die mit Zahlen umgehen können, sind erfolgreicher. Das ist ein Unterschied. Pythagoras hat Leute, die mit Zahlen umgehen konnten und sie verwerteten, verachtet. Händler haben seiner Meinung nach die Zahlen missbraucht. Mit kleinen Zahlen verbindet man aber eine Vorstellung– ich verdiene 3000 Euro, 4000 Euro oder 12.000 Euro, dann bin ich reich. Aber Bill Gates hat wie viele Millionen oder Milliarden Euro? Sobald die Zahl groß wird, wird sie unvorstellbar. Man kann damit nichts verbinden. Trotzdem fasziniert sie.

Das heißt, Faszination für Mathematik und Rechnen können gehen nicht unbedingt miteinander einher?

Nein, man sollte vielmehr fasziniert sein von Mathematik. Rechnen kann auch der Computer. Ich verrechne mich auch immer.

Sind Mathematiker besser im Umgang mit Geld?

Gauß war das. Der große Mathematiker der Neuzeit ist als sehr reicher Mann gestorben. Er hat sein Geld geschickt anlegt. Es gibt auch Beispiele von Mathematikern, die kein Interesse haben für Geld. Etwa der russische Mathematiker Perelman, der eines der Eine-Million-Dollar-Probleme gelöst hat. Es gibt sieben Probleme, die aufgestellt worden sind zur Jahrhundertwende, und für jedes Problem, das man löst, bekommt man eine Million Dollar vom Clay-Institut. Perelman hat eines gelöst, hätte sich eine Million Dollar verdient, will sie aber nicht haben. Er lebt in St. Petersburg mit seiner Mutter im Plattenbau und schaut sich Opern an. Das Geld interessiert ihn nicht.

Und Sie?

Ich interessiere mich schon für Geld. Für Geldanlage weniger– das wäre in meinem Fall auch eher akademischer Natur.

Warum haben Sie Mathematik studiert?

Aus Interesse. Nicht, weil man reich wird.

Ursprünglich haben Sie Schriften über sehr komplexe Themen publiziert, zuletzt aber immer mehr populärwissenschaftliche.

Ja, aber alle heiligen Zeiten mache ich auch noch etwas Kompliziertes. Daneben betreibe ich öffentliche Wissenschaft.

Warum? Ist der Handlungsbedarf bei uns so groß?

Ich wollte immer eine Art Aufklärer sein. Ich freue mich, wenn ich etwas verstehe. Dann will ich andere daran teilhaben lassen. Geteilte Freude ist doppelte Freude, geteiltes Geld ist halbes Geld. Aber der Handlungsbedarf ist in jedem Land so groß, nicht nur bei uns. Die Leute sind froh, wenn sie Mathematik hinter sich gebracht haben, weil sie in der Schule zuweilen schlecht gelehrt wird. Es gibt zu viel Rechnen und zu wenig Mathematik. Und man rechnet die falschen Sachen.

Was wären die richtigen Sachen?

Zum Beispiel die Zinseszinskurve. Dann versteht man, wie es zu Krisen kommt. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte, die auch in meinem Buch vorkommt: Wir haben Weihnachten, das kleine Kind ist da, und Josef legt für ihn einen Sesterz bei der Bank von Bethlehem an. Dort gibt es 3,5 Prozent pro Jahr– fest verzinst. Jetzt kommt diese Formel ins Spiel: Sie nehmen die Zahl 70 und dividieren sie durch die Prozentzahl, dann wissen Sie, wie viele Jahre es dauert, bis sich der Wert verdoppelt hat. 70 dividiert durch 3,5 ist 20. Nach zwanzig Jahren sind aus einem Sesterz zwei Sesterzen geworden. Nach 40 Jahren hat es sich vervierfacht, nach 60 Jahren verachtfacht und so weiter. Heute fährt jemand nach Bethlehem, findet das Sparbuch, die Summe ist inzwischen eine Zahl mit 30 Nullen, er geht zur Bank von Bethlehem und will das Geld abheben. Was ist das Problem?

Die Bank von Bethlehem gibt es nicht mehr?

Das vielleicht auch. Aber nehmen wir an, es gibt sie noch. Das Problem ist: Es gibt keine Sesterzen mehr. Die Bank kann einen Zettel ausdrucken, auf dem eine Zahl mit 30 Nullen steht, und sagen, das seien Sesterzen. Es gibt auch keine Taler, Florin, Heller mehr. Gäbe es sie noch, müsste es Quintillionen geben. Deswegen gibt es immer wieder Krisen. Früher gab es Kriege, und alles war weg. Jetzt gibt es Währungsreformen und Krisen.

Ist es also gescheiter, Geld auszugeben, als zu sparen?

Geld müssen Sie ausgeben, dafür ist es da. Dagobert Duck gibt es nicht aus, weil er es liebt. Ein normaler Mensch liebt das Geld nicht. Die Reichen legen es eben an, damit es vermehrt wird. Aber warum wird es vermehrt? Karl Marx hat gesagt, der Mehrwert entsteht, weil man bei der Investition die Arbeitszeit unzulässig vermehrt. Aber der Punkt ist, dass es sich um eine andere Zeit handelt, zu der man investiert und zu der man verkauft. Ich muss den richtigen Zeitpunkt erwischen, dann bekomme ich den Mehrwert. Rothschild hat auf die Frage, warum er so reich geworden ist, gesagt: „Ich habe immer ein bisschen zu früh verkauft.“ Das ist gescheiter als ein bisschen zu spät. Also Zeit ist Geld. Und Zeit ist auch ein mathematischer Begriff.

Dann verstehen Mathematiker also doch viel von Geldanlage.

Aber nur in der Theorie. Es sind auch Historiker keine Politiker, obwohl sie wissen, was man falsch gemacht hat. Ich kann Ihnen erklären, was bei der Tulpenkrise falsch gelaufen ist. Aber von der nächsten Tulpenkrise weiß ich nichts. Wenn ich Geld hätte, würde ich meine Frau bitten, es anzulegen, denn sie kann das besser. Es gibt aber Tricks, wie man Geld anlegen soll.

Welche sind das?

Man muss diversifizieren, und man braucht möglichst unabhängige Produkte. So erreicht man, dass der Verlust nicht allzu groß wird. Aber das machen nicht alle. Sehr reiche Leute haben ihr ganzes Geld dem Madoff gegeben.

Manche Hedgefonds lassen Computer nach mathematischen Modellen Trends ausfindig machen und Anlageentscheidungen treffen. Ist das eine gute Idee?

In wirtschaftlich stabilen Zeiten ist das nicht so schlecht, da kann man eine Zeit lang dem Trend vertrauen. Aber wenn die Zeiten volatil werden, ist es gefährlich, dem Trend zu vertrauen. Black und Scholes, die ein Modell entwickelt haben, wie man Optionen berechnet, haben dafür den Nobelpreis bekommen. Den haben sie nach ihrem mathematischen Modell angelegt und das ganze Geld verloren. Die besten Mathematiker haben oft kein gutes Händchen. Da hat der Psychologe Gigerenzer eher recht, der sagt, der Bauchentscheidung zu vertrauen sei viel besser.

ZUR PERSON

Rudolf Taschner (*1953) ist Mathematiker und Physiker und seit 1977 an der Technischen Universität Wien tätig. Zusammen mit seiner Frau und TU-Kollegen gründete er das Projekt „math.space“ im Museumsquartier. Dieses soll das Thema Mathematik mit seinen verschiedensten kulturellen Aspekten einem breiten Publikum näherbringen. Taschner ist Verfasser zahlreicher Schriften. Heuer erschien das Buch „Die Zahl, die aus der Kälte kam“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2013)

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