Schüller: "Geld soll oft für Frustrationen entschädigen"

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Geld ist nicht alles, findet Universitätsseelsorger und Ex-Generalvikar Helmut Schüller. Mit der "Presse" spricht er über den Stress, den Armut verursacht, die Last, die Reichtum bedeuten kann, und über falsche Prioritäten.

Die Presse: Papst Franziskus hat der Kirche einen Weg der Armut verordnet. Finden Sie das gut?

Helmut Schüller: Armut ist ein Schlüsselwort für uns. Die Bibel ist voll von Hinweisen darauf, dass es keinen Glauben an den Gott der Bibel ohne Sorge um andere Menschen geben kann. Die Frage ist, was unter Solidarität mit Armen verstanden wird. Der eine Weg ist, die Armen mit dem zu versorgen, was sie brauchen. Der andere Weg ist, den Strukturen auf den Grund zu gehen, die Armut erzeugen. Stichwort Befreiungstheologie. Der große brasilianische Bischof Dom Hélder Câmara hat einmal gesagt: „Wenn ich den Armen Brot gebe, sagt ihr, ich bin ein Heiliger. Wenn ich frage, warum die Armen arm sind, sagt ihr, ich bin ein Kommunist.“ Und da wissen wir noch nicht genau, wo die Reise hingeht.

Nützt es den Armen, wenn die Kirche weniger Prunk und Reichtum zeigen darf?

Materiell gesehen nicht. Wenn man alles verkaufen würde, bekämen viele Leute Geld. An der Situation von vielen würde sich aber oft nichts ändern, da nicht immer nur Geld die Ursache von Armut ist. Umgekehrt gilt: Wenn man etwas hat, ist es auch eine Last, weil man immer Angst hat, es zu verlieren. Da könnte man Lasten loswerden. Aber es geht auch um die Frage, wie man das Geld einsetzen soll.

Aber nichts zu haben, ist doch auch eine Last.

Ja das ist eine Last, ein Stress. Das habe ich aus der Caritas-Zeit mitgenommen. Wenn man okkupiert ist vom Nachdenken darüber, wo man das Nötigste herbekommt, wie man Schuhe für die Kinder bekommt, das ist eine Last.

Gibt es einen guten Mittelweg?

Wir sind hier in der Wirtschaftsuniversität. Im Spirit dieses Hauses würde ich sagen, je weniger Aufwand man hat, um etwas zu erreichen, desto günstiger ist man dran. Die Kunst besteht darin, mit geringen Mitteln ein Leben zu haben, das einen ausfüllt. Wenn man nicht weiß, was einen glücklich macht, kann man noch so viel haben, es wird immer zu wenig sein. Denn dann hat man ständig Angst, dass man das Geld verliert. Zuerst sollte die Frage kommen: Was will ich eigentlich im Leben? Und dann kann ich auch sagen, was ich dafür brauche. Ein Studierender hat zu mir gesagt, dass er hier studiert, um mit einem guten Einkommen ins Berufsleben einzusteigen. Da habe ich ihn gefragt: Warum wissen Sie, dass Sie ein gutes Einkommen brauchen? Diese Fragen werden oft in der falschen Reihenfolge gestellt. Das ist das Drama des Menschen.

Sie wollten nie viel verdienen?

Mir war klar, als ich mich für den Priesterberuf entschieden habe, dass ich mich in der unteren Einkommensschicht bewegen werde. Ich bekomme im Augenblick 14-mal im Jahr 2100 Euro brutto. Ich bin niedrig eingestiegen und werde niedrig aussteigen. Damit habe ich das für mich abgehakt und kann das Ganze entspannter sehen.

Als Caritas-Chef haben Sie doch recht gut verdient, oder?

Nein, gar nicht, ich hatte dasselbe Gehalt und eine Leiterzulage.

Und dass Sie als Manager viel gearbeitet und wenig Geld bekommen haben, hat Sie nicht gestört?

Also 70 oder 80 Stunden habe ich nie gearbeitet, denn dann hätte etwas nicht gestimmt mit meiner Art zu führen. Ich tue mir überhaupt schwer mit der Bewertung von Arbeit. Seltsamerweise werden in unserer Gesellschaft bestimmte Arbeiten, die als wichtig angesehen werden, schlecht bezahlt. Bei einer Altenpflegerin sagt jeder, das ist so wichtig, aber die verdienen sehr wenig. Ich weiß sofort, was zusammenbricht, wenn eine Pflegeschwester aufhört, aber ich weiß nicht, was bei einem Konzern zusammenbricht, wenn ein Vorstandsdirektor aufhört. Das beschäftigt mich.

Sie haben ja als Generalvikar der Erzdiözese ein Sparprogramm verordnet.. .

Ja, da habe ich mir nicht viele Freunde gemacht. Man steigt jetzt gehaltsmäßig etwas höher ein und etwas niedriger aus. Ich konnte da glaubwürdig sein, weil ich damals in der Mittelgeneration war. Ich habe mir damals selbst ins eigene Fleisch geschnitten. Trotzdem konnte ich mir einiges anhören.

Auch in der Kirche gibt es Leute, denen Geld wichtiger als der Seelenfrieden ist.

Das gibt es schon. Ich habe all das im Kleinen kennengelernt, was ich auch aus dem Großen kenne. Über Geld läuft auch Wertschätzung. Da kam dann auch der Ton: „Das, was ich tue, wird nicht ausreichend geschätzt“ oder „Alle Klassenkollegen verdienen mehr als ich.“

Studien zeigen, dass Priester stark belastet sind. Ist es nicht klar, dass sie mehr Geld wollen?

Wenn Geld Frustration bewältigen soll, sollte man bei der Frustration ansetzen und nicht beim Geld. Man ist zum Beispiel an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich eine weitere Pfarre übernehmen will. Das habe ich abgelehnt und muss mich nicht damit herumschlagen, wie ich alles unter einen Hut bringen kann. Ich habe nicht aus Arbeitsscheu abgelehnt, sondern weil ich das, was ich mache, gescheit machen will.

Aber finden Sie es nicht in Ordnung, dass man mit größerer Verantwortung mehr Geld will?

Man hat auch mehr Prestige. Und der Aufwand sinkt, weil man dauernd eingeladen wird. Man hat auch keine Zeit mehr, das Geld auszugeben. Verantwortung durch Geld auszudrücken würde bedeuten, dass eine Pflegeschwester keine Verantwortung hat. In Wahrheit geht es da um Hierarchien.

Denken Sie nie, dass Sie gerne mehr hätten?

Nein. Ich tue mir leichter, weil ich keine Familie habe. Aber ich kann mir Bücher kaufen, und wenn ich gut plane, auch eine Reise machen, aber nicht zwei in einem Jahr.

Wäre es in Ihrer Position verpönt, sich Luxus zu gönnen?

Ich glaube schon, dass die Stirn gerunzelt würde. Ich war einmal für die Caritas in Afrika unterwegs, und als ich in Nairobi umgestiegen bin, hat man mir einen Platz in der Business Class angeboten. Da habe ich mich hingesetzt und nicht bedacht, was mir da blüht. Man sitzt ja schon vorher drinnen. Vier Dutzend Wiener gehen da an mir vorbei, ich habe mich hinter der größten Zeitung versteckt. Daran erkenne ich schon, dass auf so etwas geschaut wird. Mit Recht. Man symbolisiert etwas, auch wenn die Leute nicht verlangen, dass man unter der Brücke schläft.

Es gab ja die Debatte um den Limburger Bischof...

Diese Geschichte ist meiner Meinung nach viel zu unsachlich abgehandelt worden. Ich kenne ihn auch nicht persönlich. Ich habe nur gehört, dass er in die Richtung „vom Besten das Feinste“ tendiert hat. Aber natürlich muss nicht jeder wie Franziskus sein. Wenn der Limburger Bischof das zu Benedikts Zeiten gemacht hätte, hätte es wahrscheinlich nicht einmal eine Debatte gegeben.

Es gibt immer Leute, die sich aufregen, dass nicht alles den Armen zugute kommt. Aber wo ist die Grenze?

Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf angemessene Lebensverhältnisse. Das sollte man außer Streit stellen. Das Spektrum ist aber groß. Es gibt Leute wie Ute Bock, die hat gar nichts Privates. Da sieht man, mit wie wenig es geht. Es hat nicht jeder diese Begabung. Ein heikles Thema ist auch die Kultur: Der Limburger Bischof sagt, er hat das Geld ja verbaut und nicht verzockt. Die Diskussion gibt es in jeder Pfarre: Eine Orgelrestaurierung ist teuer. Mit dem Betrag könnte man viel bewegen. Aber wollen wir wirklich die Generation sein, die die Orgel verrotten lässt? [ Michele Pauty ]

ZUR PERSON

Helmut Schüller (*1952) ist Priester und übernahm 1991 das Amt des Caritas-Präsidenten. 1995 wurde er zum Generalvikar der Erzdiözese Wien ernannt, bis ihm Kardinal Christoph Schönborn 1999 nach Meinungsverschiedenheiten ein Kündigungsschreiben vor die Tür legte. 2011 veröffentlichte Schüller als Sprecher der Pfarrerinitiative einen „Aufruf zum Ungehorsam“, der etwa die Zulassung von Frauen zum Priesteramt fordert. Schüller ist Universitätsseelsorger der Katholischen Hochschulgemeinde Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2013)

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