Alexander Schiel: "Ich schätze Geld mehr als früher"

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Alexander Schiel betreibt drei Sozialmärkte in Wien. Im Gespräch mit der "Presse" erzählt er von der Unterstützung durch einen Waffenproduzenten und erklärt, warum er zu Meinl am Graben einkaufen geht.

Die Presse: Herr Schiel, Sie besitzen in Wien drei Sozialmärkte. Bei Ihnen kann einkaufen gehen, wer weniger als 900 Euro netto im Monat verdient. Machen Sie Geschäfte mit der Armut?

Alexander Schiel: Ein Geschäft wäre es erst dann, wenn man viel mehr als die Fixkosten einnimmt.

Wie hoch sind denn Ihre Fixkosten?

Wir haben 17.000 Euro an Fixkosten im Monat. Miete, Strom, Autos, Benzin. Das alles muss man bezahlen. Die Waren, die wir verkaufen, kosten etwa ein Drittel vom Normalpreis. Manchmal sind sie günstiger, manchmal teurer. Unterm Strich kann ich Ware aber nicht mit Verlust verkaufen. Kurz bevor Ware abläuft, gebe ich sie günstiger her. Das ist das geschäftliche Risiko. Am Monatsende muss sich alles ausgehen. Ich habe aber auch viel Glück. Gaston und Kathrin Glock (Gaston Glock ist Waffenproduzent, Anm.) sind meine Paten.

Wie kam es dazu?

Gaston und Kathrin Glock haben einen Fernsehbeitrag über meine Märkte gesehen. Dann haben sie mir einen Scheck über 100.000 Euro zukommen lassen. Ich dachte, das war eine einmalige Sache. Aber im vergangenen Jahr hat mich Kathrin Glock angerufen. Sie und ihr Mann wollten das Projekt weiter unterstützen. Mittlerweile sind sie meine Paten und haben langfristige Unterstützung zugesagt.

Sind Sie auf diese Spenden angewiesen?

Ich wollte die Märkte immer selbst erhalten. Auf Spenden sollte man nie angewiesen sein, da man nicht wissen kann, ob sie kommen oder nicht. Mit der fixen Zusage von Glock kann ich mir aber Sachen leisten, die ich sonst nicht finanzieren könnte. Eines unserer Lieferautos ist eingegangen, und ich hatte die Möglichkeit, ein neues zu kaufen. Im Sozialmarkt im zehnten Bezirk ist die Eingangstüre kaputt. Das kostet 7000 Euro. Solche Summen mit Zehn-Cent-Beträgen einzunehmen, wäre fast unmöglich.

Gab es für die Gründung der Sozialmärkte eine Initialzündung?

Ich habe vor vielen Jahren einmal für Jörg Haider gearbeitet und mit ihm einen Sozialmarkt besucht. Meine Mutter ist selber Mindestpensionistin. Sie war Masseurin, ein Trinkgeldberuf. Wer heutzutage mit so wenig Geld auskommen muss, weiß, dass das hinten und vorne nicht reicht. Ich habe das Projekt dann zwei Jahre lang überlegt. Der ausschlaggebende Grund war dann ein Unfall meiner Mutter. Ich dachte, wenn sie gesund wird, sperre ich einen Sozialmarkt auf und gehe den Jakobsweg. Zwei Monate später habe ich den ersten Sozialmarkt eröffnet, den Jakobsweg bin ich aber bis heute nicht gegangen.

Wie viel Geld haben Sie in Ihren ersten Sozialmarkt investiert?

Das hat mich 30.000 bis 40.000 Euro gekostet.

Das haben Sie alles aus eigener Tasche finanziert?

Ja, weil ich von dem Projekt überzeugt war und auch etwas zurückgeben wollte. Nach den ersten Anrufen bei einigen Firmen habe ich gesehen, dass sie dem Projekt wohlwollend gegenüberstehen.

Wie konnten Sie sich das leisten?

Ich bin gelernter Elektro- und Nachrichtentechniker und habe bei der Bawag in der EDV-Abteilung zu arbeiten angefangen. Später bin ich zur Wiener Börse gewechselt und dort als Betriebsrat im Aufsichtsrat gesessen. Als das Unternehmen Mitarbeiter abbauen wollte, wurde ich gefragt, unter welchen Umständen ich bereit wäre, die Börse zu verlassen. Ich wollte aber nicht gehen. Dann wurde mir eine Abfertigung angeboten. Dadurch konnte ich finanziell auf eigenen Beinen stehen.

War die Abfertigung denn so hoch?

Für das Alter war es viel. Ich habe nicht geurasst. Aber ich habe dann nur noch das gearbeitet, was mir Spaß gemacht hat. Ich brauche auch nicht so viel. Ich habe zum Beispiel auch noch immer keinen Führerschein.

Sie kaufen für Ihre Sozialmärkte auch Ware zu. Wie können wir uns das vorstellen?

Bei Lebensmittelketten gibt es häufig Aktionen, für die eigene Inseln mit Produkten aufgestellt werden. Ist eine Aktion vorbei, bleiben dem Hersteller oft Inseln übrig. Für die Unternehmen lohnt es sich häufig nicht, die Ware neu zu verpacken. Dann bieten sie sie mir zum Kauf an.

Müssen Sie auch Ware wegwerfen?

Wir achten darauf, nichts wegzuschmeißen. Wenn ich weiß, dass ich zu viel Ware habe, dann gebe ich sie weiter.

Schämen sich die Menschen, in den Sozialmarkt zu gehen?

Die Hemmschwelle ist groß. Gerade bei den österreichischen Kunden, bei den Mindestpensionisten. Man hat oft ein Leben lang gearbeitet, man war nicht arbeitslos, war durch die Kinder zu Hause. Viele denken, sie haben es nicht verdient, hier einkaufen gehen zu müssen. Viele haben auch Angst, von jemandem gesehen zu werden, der sie kennt.

Wer geht zu Ihnen einkaufen?

Es kommt etwa eine frühere Chefsekretärin. Sie hatte einen Unfall und muss heute von 740 Euro leben. Oder ein Mann, der im Zuge einer Trennung begonnen hat, Alkohol zu trinken. Es kann wirklich sehr schnell gehen. Man darf sich einer Sache nie zu sicher sein. Im ersten Jahr habe ich die Probleme der Kunden mit nach Hause genommen. Aber irgendwann muss man das abstellen.

Gibt es eigentlich auch Kunden, die sich beschweren?

Ja sicher. Man kann es den Leuten nie recht machen. Es gibt immer welche, die nörgeln. Angenommen wir verkaufen Cola. Dann wollen die Leute Cola light. Oder bei Handcremen: Zuerst sagen die Leute, die Cremen sind zu teuer. Und wenn die Handcremen nicht mehr da sind, fragen sie: Wo sind die Handcremen?

Wie hat sich Ihre Einstellung zu Lebensmitteln verändert?

Wenn man in einen normalen Supermarkt geht, zahlt man für ein nicht bedecktes Einkaufswagerl plötzlich 35 Euro. Bei uns hat man bereits mit zehn Euro einen vollen Einkaufskorb. Oft frage ich mich, wie sich Menschen, die am Existenzminimum leben, solche Sachen leisten können.

Kann man mit Sozialmärkten reich werden?

Reich wird man damit sicher nicht. Ganz im Gegenteil. Aber ich schätze Geld mehr als früher. Ich verhandle beispielsweise mehr. Selbst wenn es nur darum geht, einen Fernseher zu kaufen. Und da ich Produkte vom Markt mitnehme, erspare ich mir auch Geld. Man kann überall sparen.

Würden Sie gerne noch etwas anderes machen?

Ja, es gibt solche Momente. Aber ich habe auch viel Verantwortung für die Märkte. Wenn die Kunden zu Weihnachten kommen und mir Kekse bringen, weiß ich, dass ich die Sache richtig mache. Aber es kann schon sein, dass der Moment kommt, in dem ich etwas anderes machen will. Zur Zeit bin ich glücklich.

Gehen Sie auch zu Meinl am Graben einkaufen?

Dort gehe ich alle drei Monate einkaufen. Aber nur wegen einem Produkt: dem Hirschschinken. Den gibt es nur dort. Zehn Deka kosten 6,90 Euro. Aber sonst wäre ich ja blöd. Dort ist alles teurer als im normalen Supermarkt.

[ Katharian Roßboth ]

ZUR PERSON

Alexander Schiel (*1979) ist gelernter Elektro-und Nachrichtentechniker. Mit 24 saß er als Betriebsrat im Aufsichtsrat der Wiener Börse, danach arbeitete er für Jörg Haider. 2008 eröffnete er den ersten von heute drei Sozialmärkten in Wien. Im Sozialmarkt darf nicht jeder einkaufen, es gibt eine Einkommensgrenze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.