Carl Djerassi: "Von der Literatur könnte ich nicht leben"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Carl Djerassi ist Chemiker, Schriftsteller und gilt als Erfinder der Pille. Der "Presse" erklärt er, warum Geld für ihn keine Rolle spielt, woher seine Leidenschaft für Kunst kommt und was es mit dem Nobelpreis auf sich hat.

Die Presse: Es ist schwierig, mit Ihnen einen Termin zu vereinbaren, Sie sind immer unterwegs. Ist das nicht stressig?

Carl Djerassi: Ich mache das freiwillig. Ich will mir beweisen, dass ich noch nicht 90 Jahre alt bin– das ist ein dummes Macho-Gefühl. Es ist auch eine Therapie gegen die Einsamkeit eines Witwers. Ich lerne immer neue Leute kennen.

Arbeiten Sie mehr als früher?

Ich habe immer 80 Stunden pro Woche gearbeitet. Aber als Wissenschaftler hat man ein großes Team, jetzt arbeite ich allein. Das ist gut, weil man selbstständig sein kann.

Nicht auch anstrengend?

Ja, aber ich habe mich daran gewöhnt. Ich glaube immer, dass ich nicht genug Zeit habe. Ferien, Urlaub– das klingt wie eine Beleidigung für mich. Österreich und Deutschland sind die Länder mit dem längsten Urlaub, fünf bis sechs Wochen. Wenn sich jemand in den USA eine Woche nimmt, glauben die Leute, er ist faul. Natürlich ist so eine Meinung lächerlich.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Die Premiere eines neues Stücks in London. Die Wiener Theater sind zwar nicht an meinen Stücken interessiert, die anderen aber schon. Das Stück, das schon in drei Sprachen erschienen ist, heißt „Vorspiel“. Ich war kürzlich in London und korrespondiere ununterbrochen mit Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern. Dann arbeite ich auch an den letzten zwei Prozent meines neuen Romans.

Warum sind die Wiener Theater nicht an Ihren Stücken interessiert?

Das fragen Sie die Wiener Theater. Es wurde schon ein Stück in der Walfischgasse aufgeführt. Aber die hiesigen Dramaturgen haben Angst, dass das Publikum nicht hingeht, wenn ein Stück mit Wissenschaft zu tun hat.

Sie haben Karriere als Wissenschaftler und Autor gemacht. Wie werden Sie lieber gesehen?

Momentan ganz klar als Autor. Das irritiert mich auch oft: Ununterbrochen werde ich nur zur Pille gefragt. Ich war 28 Jahre alt, als ich das gemacht habe. Und es schaut so aus, als hätte ich zwischen 28 und 90 nichts mehr gemacht. Seit 25 Jahren habe ich mein Leben total verändert. Es gibt nicht viele Chemiker, die später auch Schriftsteller werden. Die arbeiten lieber mit Molekülen als mit Menschen.

Hat Ihnen die Entdeckung der Pille in Ihrer wissenschaftlichen Karriere nicht Türen geöffnet?

Chemisch war das zwar eine wichtige Arbeit. Aber zur gleichen Zeit habe ich mit meinem Team in Mexiko die erste Synthese von Cortison von einem Pflanzenmaterial gemacht. Und ich habe über 1000 Artikel in anderen chemischen Gebieten geschrieben.

Die Pille oder Cortison, das sind Meilensteine. Steigt mit solchen Erfindungen der Erfolgsdruck?

Da haben Sie recht. Ich schreibe jetzt über diese Probleme. Ich habe ein Buch namens „Ego“ geschrieben, als Roman und als Theaterstück. Da schreibe ich über einen berühmten Schriftsteller, der noch immer abhängig ist von der Meinung der Leute und Angst hat, dass sie vom nächsten Buch denken, es sei nicht so gut wie das letzte. Diese produktive Unsicherheit ist typisch für die meisten erfolgreichen Leute. Und in meiner Autobiografie schreibe ich über Themen, die ich vor mir selbst versteckt habe, etwa meine jüdische Identität und meine Heimatlosigkeit. Ich war nie religiös, bin aber als Jude aus Wien rausgeschmissen worden. Jede männliche Hauptfigur in meinen Romanen ist ein Jude.

Sie werden oft als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Sind Sie ein solcher?

Viele Leute fragen mich das, meine Antwort ist immer dieselbe: Es gibt viele Leute, die einen Nobelpreis verdienen, aber nie bekommen. Bis vor zwei Jahren gab es in der Medizin keinen Nobelpreis für Reproduktionsmedizin. Dann hat ihn Robert Edwards für IVF (In-vitro-Fertilisation, Anm.) bekommen– den hätte er vor 30 Jahren verdient.

Würden Sie den Nobelpreis lieber für Wissenschaft oder für Literatur bekommen?

Für die Pille sollte es eigentlich Medizin oder Frieden sein. Ich bin aber Chemiker. Den Literaturnobelpreis zu erwarten, wäre lächerlich. Meister wie Philip Roth, John Updike, James Joyce haben ihn nie bekommen. Mit solchen Autoren würde ich mich nie vergleichen.

Warum engagieren Sie sich so stark in der Kunstförderung?

Kunst hat mich immer interessiert. Vielleicht kommt das von meiner Wiener Kindheit. Wien war ein lebendes Museum. Und auch die Musik war immer wichtig für mich. Ich bin ein klassischer Musiker. Als ich dann finanziell erfolgreich war, habe ich Kunst gesammelt. Meine Tochter war Künstlerin und hat im Alter von 28 Jahren Selbstmord begangen. Ich wollte ihr eine Antwort auf diese Tat geben: Ich habe den größten Teil meiner Sammlung, Giacometti, Picasso etc., verkauft, um eine Künstlerkolonie zu gründen. Die Künstler haben dort die Möglichkeit zu arbeiten. Für verstorbene Künstler kann ich nichts mehr machen, aber lebende zu unterstützen ist etwas anderes.

Wenn Sie Werke von Picasso hatten, dürften Sie als Chemiker ziemlich gut verdient haben.

Ja. Ich war ein totaler Bigamist. Ich war in der Industrie und auf der Universität. Ich habe von der Firma, bei der ich gearbeitet habe, Syntex, Aktien gekauft. Das war einer der größten Erfolge.

Welches Geschäft ist einträglicher? Literatur oder Chemie?

Von der Literatur könnte ich nicht leben. Aber Geld spielt keine Rolle. Ich folge der Literatur, weil es mich interessiert, ich will, dass die Bücher herausgebracht und insbesondere, dass sie gelesen werden.

Sie leben heute von dem, was Sie früher verdient haben?

Ja. Ich wohne an drei Plätzen. Das ist auch ein teurer Spaß.

Was hat Sie bewogen, nach Wien zurückzukommen? Hier wurde Ihnen erst spät Ehre zuteil.

Ich war schon ein sehr bekannter Chemiker und wurde zwischen 1950 und 1990 von jedem europäischen Land eingeladen, Vorträge zu halten. Nur von Albanien, Malta, Portugal und Österreich nicht. 1992 hat sich das geändert. Als mein erster Roman in deutscher Übersetzung erschien, haben mich die Literaturleute eingeladen, später die Mediziner. Erst in den 1990er-Jahren hat die österreichische Regierung frühere Flüchtlinge kontaktiert, um sie zu fragen, ob sie die Staatsbürgerschaft wieder wollen. Ich habe sie angenommen, denn ein EU-Pass ist in der EU bequemer. Später, als meine Frau gestorben war, habe ich mir gedacht, ich suche mir eine deutschsprachige Stadt als teilweisen Wohnsitz, um wieder Deutsch zu lernen. Zürich war mir zu langweilig, in Berlin habe ich niemanden gekannt. Dann ist es Wien geworden.

Im Lauf der Jahre haben Sie eine beachtliche Paul-Klee-Sammlung aufgebaut. Warum haben Sie die Bilder an Museen verschenkt?

Wenn man eine große Sammlung eines Künstlers besitzt, soll man so etwas nicht nur privat behalten, sondern mit einem Publikum teilen. Ich habe nichts ererbt, und ich finde, man sollte seine eigenen Sachen verdienen.

Sie wollen auch nichts vererben?

Das meiste habe ich weggegeben. Das Land in den USA, 250 Hektar, gehört jetzt der Künstlerstiftung. Meine Wohnung in London habe ich der Cambridge University geschenkt, um eine Professur im Namen meiner verstorbenen Gattin zu finanzieren. Ich habe nur noch das Recht, dort zu wohnen.

Ihr Sohn erbt nichts?

Doch, zum Beispiel meine große Wohnung in San Francisco und auch noch anderes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2014)

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