Essig-Produzent Pecoraro: "Habe Gagen in Fässern ausgerechnet"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Herwig Pecoraro singt an der Wiener Staatsoper und produziert in Klosterneuburg Aceto Balsamico. Der „Presse“ erzählt er, warum man hinter einer Sache stehen muss und warum er Essig gegenüber Aktien stets bevorzugt hat.

Die Presse: Herr Pecoraro, Sie singen seit mehr als 20 Jahren an der Wiener Staatsoper und produzieren in Klosterneuburg Aceto Balsamico. Wofür schlägt ihr Herz höher?

Herwig Pecoraro: Ich bin immer dort zu 100 Prozent, wo ich mich gerade befinde.

Ihr Balsamico ist ja nicht gerade billig. Eine 0,2-Liter-Flasche mit einer Reife von neun Jahren kostet rund 40 Euro. Zusammen mit den Einnahmen aus der Oper müssten Sie ja beinahe in Geld schwimmen.

Wir, meine Frau und ich, leben sehr gut, wir schwimmen nicht. Unser Produkt ist hochpreisig, nicht teuer, weil die Qualität eines gleichwertigen Produkts das Doppelte oder Dreifache kostet. Wenn man heute einen italienischen Balsamico Tradizionale mit zwölf Jahren kauft, kostet ein Zehntel zwischen 79 und 100 Euro. Und wir liegen mit der doppelten Quantität auf der Hälfte vom Preis. Wir sprechen hier von einer Spezialität und bewegen uns in einer Klasse von Top-Rotweinen, Whisky, Cognac etc.

Warum können Sie Ihren Balsamico günstiger als andere Hersteller anbieten?

Ich habe den Aufwand nicht, ich kann das nebenbei machen. Nur meine Frau ist angestellt, alles andere wird im Familienkreis gemacht. Wir haben in der Produktion nicht so hohe Kosten, weil wir sie beim Haus haben. Wir zahlen keine Miete fürs Lager etc., weil es mein Besitz ist. Wenn man das Ganze reell durchkalkuliert, dann würde der Preis aber zu 100 Prozent nicht passen, das ist keine Frage. Er müsste höher sein. Man darf nicht vergessen: Wir brauchen 110bis 120 Liter reinen Traubenmost für einen Liter neunjährigen Balsamico. Daher kann es sich um kein Produkt handeln, das für 4,5Euro verkauft wird.

Wo wäre die Schmerzgrenze des Konsumenten?

Das kommt darauf an. Man muss alles in Relation sehen. Wenn man einen Balsamico mit knapp 40Euro hat und damit ein, zwei Monate auskommt, ist man bei ungefähr 40bis 45 Cent pro Portion. Das ist das, was man normalerweise an Trinkgeld gibt. Und wenn man ein Carpaccio oder eine Entenbrust hat und ein paar Tropfen Aceto Balsamico zum Würzen draufgibt, dann kostet das im Verhältnis nichts.

Hat es viel Überzeugungsarbeit gekostet, den Leuten teuren Essig zu verkaufen?

Ja, aber nicht so viel. Weil der Essig im Spezialitätenbereich immer mehr im Kommen war. Essig und Öl sind heute nicht so weit von Weinen entfernt. Man kann wunderbare Essige kaufen, da kostet der Viertelliter zehn Euro. Früher wäre das nie möglich gewesen. Die Leute geben heute gern ein paar Euro mehr aus, wenn die Qualität stimmt. Wenn nicht, hast du das letzte Flascherl verkauft.

Als Sie in Modena Ihre Gesangsausbildung machten, lernten Sie auch, Balsamico zu erzeugen. Gleichzeitig waren Sie eigentlich noch Polizist in Österreich. Wie kann man es sich leisten, seinen Beruf von heute auf morgen an den Nagel zu hängen?

Das kann man sich an und für sich gar nicht leisten. Wir hatten etwas gespart. Und Kammersängerin Elisabeth Schwarzkopf, die mich seinerzeit nach Modena gebracht hat, konnte vom damaligen Landeshauptmann 100.000 Schilling Subvention herausschinden. Mit dem Geld habe ich auskommen müssen. Einkommen war ja keines da. Ich habe in Modena billigst gewohnt, im Kloster. Es war schon sehr eingeschränkt. Aber man wollte das. Ich habe mich aber bei der Gendarmerie dienstfrei stellen lassen, damit nicht alles verloren ist, sollte es doch nicht klappen.

Die Idee einer Gesangsausbildung war stärker als die Angst vor dem Risiko.

Ja, das ist überall so. Ohne Risiko gibt es keinen Erfolg. Man muss heute risikovoll sein, sich etwas trauen. Das alles hätte genauso schief gehen können, wie bei vielen. Aber bei mir hat es hingehauen. Ich bin froh, dass ich dieses Risiko eingegangen bin.

Und Ihre Frau war mit allem einverstanden?

Sie hat gesagt: „Wenn du das nicht machst und ich mich dagegenstelle, muss ich mir das ein Leben lang anhören.“ Man würde, wenn einem eine angebliche Karriere offensteht, diese natürlich auch gern nutzen. Meine Frau hat gesagt, ich soll es versuchen, weil ich ohnehin zurück zu meinem Beamtenposten kann. Die Familie ist hinter mir gestanden, sonst hätte ich das alles gar nicht machen können.

Wann haben Sie Ihren Job bei der Polizei dann aufgegeben?

Ich bin nach der Gesangsausbildung in Graz gelandet. In meinem zweiten Jahr dort habe ich der Gendarmerie den Rücken gekehrt.

Haben Sie in Ihrer Zeit in Modena bereits mit dem Gedanken gespielt, Essighersteller zu werden?

Ich habe dort mithelfen und vom Meister zwei kleine Fässer kaufen dürfen. Fässer sind das Heiligtum jeder Acetaia. Diese zwei Fässer haben damals 40.000 Schilling gekostet, das war natürlich ein unglaubliches Geld, auch weil ich es nicht gehabt habe. Besser gesagt, ich habe es gehabt, aber wir hätten es für etwas anderes auch brauchen können. Als ich damit nach Hause gekommen bin, war die Freude aber nur einseitig, meine Frau hat das unglaublich gefunden. Ich hatte aber einen guten Riecher und wollte dieses Hobby weiterverfolgen. Im Lauf der Zeit sind ein paar Fässer dazugekommen, und man ist immer wieder zum Lehrer nach Modena gefahren. Dann hat man gesehen, was hinter der Sache steckt.

Das heißt, Sie haben Ihr ganzes Geld...

...in neue Fässer gesteckt. Dann kamen immer wieder Anfragen, ob ich den Balsamico nicht verkaufen will. Doch dafür waren wir nicht eingerichtet. An der Staatsoper war ich damals Personalvertreter und habe gesehen, wie schwierig die Situation und wie risikolastig der Beruf des Sängers ist. Man kann schnell oben, aber noch viel schneller unten sein. Statt Aktien oder Fonds wollte ich mir lieber mit einer eigenen Acetaia ein zweites Standbein schaffen. Das war natürlich blauäugig, weil das Ganze mit sehr hohen Investitionen verbunden war– und man auch erst nach neun oder 15 Jahren etwas herausbekommt. Heute kann man aber sagen, dass ein ansehnlicher Betrieb daraus geworden ist.

Einen langen Atem braucht man dafür aber schon auch.

Ja, wenn ich damit begonnen hätte, um Geld zu verdienen, hätte ich gleich aufhören müssen. Was ich beim Singen verdient habe, ist in den Betrieb gekommen. Ich habe dann schon die Gagen in Fässern ausgerechnet. So haben wir den Betrieb ausgebaut.

Haben Sie sich nie gefragt, ob das ein Fehler sein könnte?

Nein, diese Frage darf man sich nicht stellen. Ich bin heute davon überzeugt, wenn man voll hinter einer Sache steht, sich mit ihr komplett identifiziert, das auch so vertritt und die Qualität stimmt, dann ist das Risiko nicht so groß.

Mussten Sie sich in Verzicht üben, weil alles in die Acetaia floss?

Das Problem, dass ich einmal einen schönen Urlaub machen möchte, war bei mir nicht vorhanden, da ich immer auf Reisen war. Meine Frau kam auch öfter mit. Und Autofan bin ich keiner, dass ich mir einen Porsche gekauft hätte. Ein schönes Haus hatte ich schon, da war mir der Betrieb das Wichtigste. Ich habe nicht viel Verzicht gehabt, bereut habe ich es noch nie. Hätten wir gewusst, wie viel Arbeit das ist, weiß ich jedoch nicht, ob wir es gemacht hätten. Natürlich hätte ich viel mehr Freizeit, wenn ich das nicht hätte. Leben könnte ich als Sänger allein auch.

ZUR PERSON

Herwig Pecoraro (*1957) stammt aus Bludenz, ist seit 1991 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und seit 2004 Kammersänger. Er studierte Gesang in Vorarlberg und Modena, wo er auch die Kunst des Balsamicomachens lernte. Damals war er noch Gendarmeriebeamter, den Beruf gab er auf, als er nach seiner Ausbildung ein Engagement in Graz erhielt. Heute produziert Pecoraro neun- und 15-jährigen Aceto Balsamico in Klosterneuburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2014)

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