Wolfgang Teller: „Sind die letzte Chance vor der Exekution“

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Wolfgang Teller ist Chef der Inkassofirma Intrum Justitia. Mit der „Presse“ sprach er über Kunden, die das System gerne ausreizen, und erzählt, warum er bei seinem ersten Inkassobrief bereits die Polizei vorfahren wähnte.

Die Presse: Warum haben Inkassobüros so einen schlechten Ruf?

Wolfgang Teller: Ich glaube, wir werden da für ein Thema geprügelt, das niemand mag. Wer redet gerne darüber, dass er seine Rechnungen nicht bezahlt? Wir sind ja eigentlich nichts anderes als eine Direktmarketingagentur, die Briefe schreibt und dazu auffordert, offene Außenstände zu begleichen.


Da zeichnen Sie aber gerade ein sehr positives Bild.

Es ist aber so. Wenn Sie Schulden haben, dann zahlen Sie diese ja nicht an das Inkassobüro, sondern an unseren Kunden. Eine Alternative ist, das ganze Thema vor Gericht auszustreiten – mit allen Konsequenzen.


Das heißt, Sie sehen sich als Retter in der Not?

Retter in der Not ist vielleicht zu hoch gegriffen. Wir sehen uns als Vermittler zwischen unserem Auftraggeber und seinen Kunden. Aber letztlich sind wir die letzte Chance vor einer Exekution.


Wer kommt mit einem Inkassobüro in Berührung?

Nur ein Teil jener Konsumenten, denen ein Brief des Inkassobüros ins Haus flattert, sind solche, die tatsächlich nicht zahlen können.


Und wer sind die anderen?

Wie teilen unsere Kunden in vier Typen ein. Es gibt den Zerstreuten, der darauf vergisst, seine Rechnungen zu bezahlen. Diese Leute machen ein Viertel unserer Kunden aus. Sie zahlen den offenen Betrag gleich nach dem ersten Brief. Hier kann es sich also nicht nur um ein finanzielles Problem gehandelt haben. Das zweite Viertel sind Menschen mit temporären Zahlungsschwierigkeiten. Das sind jene, die am kooperativsten sind. Sie rufen sofort an und wollen das Problem lösen. Dann gibt es die mit der Catch-me-if-you-can-Mentalität. Die nutzen das System aus und wissen, wie sie nicht zahlen müssen. Etwa, indem sie bei einem Versicherungsmakler eine falsche Adresse angeben. Und dann gibt es noch die Betrüger.


Warum versuchen manche, sich vor dem Zahlen zu drücken?

Es gibt einfach Leute, die schauen, was geht.


Und von was für einem Typ Mensch sprechen wir da?

Das geht quer durch den Gemüsegarten, vom gut Ausgebildeten in den sogenannten besseren Bezirken bis nach Favoriten.


Wie spüren Sie solche Leute auf?

Wenn jemand intelligent eine falsche Adresse angibt, finden wir ihn nicht. Wenn er es nicht ganz so intelligent macht, durchstöbern wir das Zentrale Melderegister. Häufig poppen diese Leute später auf. Etwa, wenn sie erneut einen Inkassofall haben.


Wie viele Kunden sind Dauergäste, wie viele sind Einzelfälle?

Das kommt darauf an. Wenn etwa jemand die Möglichkeit ausnützt, eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht immer zu zahlen, kann er mehrfach bei uns landen. Manche machen einen Sport daraus.


Gibt es Klienten, denen Sie nicht auf die Schliche kommen?

Ja, das ist dann das letzte Viertel, die Betrüger. Das Geld ist dann auch uneinbringlich. Im Schnitt kann ein Inkassobüro 50 bis 70 Prozent der Forderungen einbringen.


Wie lange dauert es, bis ein Inkassobüro eingeschaltet wird?

Wir bekommen eine unbezahlte Rechnung frühestens nach drei bis vier Monaten, weil die Firmen vorher selbst versuchen, ihre Kunden zum Zahlen zu bewegen. Die Firmen haben die Möglichkeit, direkt über einen Anwalt zu klagen oder das Ganze an uns zu übergeben. Unsere Branche bestreitet 1,5 Millionen Inkassofälle. Stellen Sie sich vor, die gehen alle zu Gericht.


Wie persönlich ist das Inkassogeschäft?

Wir schreiben Briefe oder rufen an. Wir machen keine persönlichen Besuche. Es gibt Kollegen, die das machen. Aber niemand schickt den bösen Russen mit Baseballschläger vor die Haustür.


Nicht nur Erwachsene, auch Jugendliche haben mit Inkassofirmen zu tun. Was halten Sie davon?

Jugendliche müssen lernen, dass sie ihre Rechnung bezahlen müssen, auch wenn sie kein Geld in Händen halten. Man kann nicht mehr ausgeben als einnehmen. Nicht, dass Kredite etwas Schlechtes wären. Aber sein Budget sollte man schon im Auge haben.


Hat sich die Lage bei Jugendlichen verschlechtert?

Mein Gefühl ist, dass es nicht besser wird, da es immer mehr Möglichkeiten zum Geldausgeben gibt. Ich beschreibe es so: Früher ist ein Briefträger zu meiner Mama gekommen und hat dort ein Paket abgegeben, das später per Nachnahme bezahlt wurde. Wenn man jetzt im E-Commerce shoppt, zahlt man mit Kreditkarte. Da kann man schnell den Überblick verlieren.


Was sollten Jugendliche oder deren Eltern anders machen?

Es steht mir fern, Eltern zu belehren. Wir wollen nur auf die Gefahr hinweisen. Es erscheint mir aber fragwürdig, einem Fünfjährigen ein Vertragshandy zu geben.


Was machen Sie, wenn ein 16-Jähriger nicht zahlen kann?

Letztlich zahlen die Eltern. Bis zum Erreichen der Volljährigkeit könnte es im Rahmen eines Gerichtsverfahrens sein, dass die Erziehungsberechtigten verpflichtet werden zu zahlen.


Die Zahlungsmoral ist hierzulande relativ hoch. Warum?

Die Zahlungsmoral ist dort hoch, wo es ein stabiles Rechtssystem gibt. Wo man also weiß, was passiert, wenn Rechnungen nicht bezahlt werden. In Skandinavien, Deutschland oder Österreich gibt es Inkassogebühren. Gibt es diese, sind die Zahlungsausfälle am geringsten. In Ländern, wo ein Inkassoschreiben nichts kostet, gibt es die Einstellung, eher nicht zu zahlen. In Österreich hilft uns, dass die Exekution das letzte Mittel ist, eine Forderung einzutreiben.


Wie sieht es mit Ihrer eigenen Zahlungsmoral aus?

Ich zahle immer pünktlich, muss aber gestehen, dass sich das erst im Laufe der Jahre verändert hat. Auch ich hatte einmal einen Inkassofall. Damals habe ich aber noch nicht in dem Bereich gearbeitet. Es war ein Inkassobrief eines Golfklubs. Als ich das Schreiben zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, mich trifft der Schlag. Ich habe schon die Polizei um die Ecke kommen sehen.


Damals haben Sie einfach auf die Rechnungen vergessen?

Ich zählte zu dem einen Viertel, das nicht so gut organisiert ist. Das wurde durch meinen Beruf anders. Mittlerweile mache ich mein Haushaltsbudget. Denn die größte Ersparnis ist es, pünktlich zu zahlen.


Wie war das in Ihrer Jugend?

Ich habe zwar immer genau geschaut, habe aber nicht immer ausreichend Geld gehabt. Dann habe ich halt angefangen zu strecken. Als Student habe ich meinen Kontokorrentkredit exzessiv genutzt. Ich war einfach der Ansicht, dass es sich dabei um mein Geld handelt. Als ich dann bemerkt habe, wie hoch die Zinsen dafür sind, hat sich mein Verhalten geändert. Jeder kämpft irgendwo um 50 oder 60 Euro zusätzliches Gehalt, aber eine Strafe von 60 Euro zahlt man schnell einmal.


Kredite nehmen Sie keine auf?

Ein Kredit ist nichts Böses, sonst würden wir wieder in die Tauschgesellschaft wechseln. Ich kaufe grundsätzlich auf Rechnung. Ich weiß aber ziemlich genau, wie viel Geld ich brauche, wenn in meinem Leben ein Worst-Case-Szenario eintritt. Ich empfehle jedem, sich die Frage zu stellen, was man braucht, um seine Basisversorgung wie Wohnen oder Lebensmittel abzudecken.

Zur Person

Wolfgang Teller (*1961) ist seit Dezember 2011 Geschäftsführer von Intrum Justitia, dem führenden Anbieter von sogenannten Kreditmanagementlösungen in Europa. Die Inkassofirma hat mehr als 20 Standorte auf dem Kontinent und ist seit dem Jahr 1995 auch auf dem österreichischen Markt tätig. Teller war zuvor unter anderem Geschäftsführer bei Unternehmen der Branche in Deutschland und Österreich.

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