Max Emanuel Cencic: „Ich will gar nicht wissen, was ich habe“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Als Kind musste Max Emanuel Cencic Opern singen, damit seine Familie in Wien überleben kann. Heute hat der Countertenor Geld genug. Als Opernproduzent versucht er, der Enge der „langweiligen“ Klassikbranche zu entfliehen.

Wunderkind

Das hat Max Emanuel Cencic in seiner Kindheit oft gehört. Mit sechs Jahren sang er erste Arien im Fernsehen, mit zehn hatte der damals „beste Knabensopran“ 200 Auftritte hinter sich. An Erfolg ist der frühere Sängerknabe mit kroatischen Wurzeln also gewöhnt. Heute verkauft sich Cencic als Countertenor an die Opernhäuser dieser Welt. Aber weil so hohe Stimmen nicht immer gebraucht werden, schafft sich der 38-Jährige die passende Oper mit seiner Produktionsfirma gleich selbst.


Die Presse: Sie waren ein Kinderstar. Als Kind eines Dirigenten und einer Opernsängerin wurde Ihnen die Karriere ein wenig in die Wiege gelegt. Haben Ihre Eltern Sie zum Singen gedrängt?

Max Emanuel Cencic: Das stimmt schon. Ich wurde nicht gedrillt, aber wenn man so aufwächst, stellt sich schon irgendwann die Frage: War es meine Entscheidung, dass ich Sänger wurde, oder haben mir das die Eltern vorgegeben? Ich habe immer nur gesungen. Das war bei uns einfach so.


Sie kamen mit acht Jahren nach Österreich zu den Sängerknaben. Viele hören danach mit dem Singen auf. Haben Sie selbst entschieden weiterzumachen?

Ich habe weitergemacht, weil ich es konnte. Und ich war auch von der Situation genötigt, das zu tun. Damals gab es Krieg, meine Eltern sind geflüchtet. Ich musste singen, damit meine Familie überleben konnte. Drei, vier Jahre habe ich diese Pflicht erledigt, dann habe ich pausiert, um mir zu überlegen, ob ich das wirklich machen will. Viele ehemalige Sängerknaben wählen bürgerliche Berufe, weil sie Sicherheit suchen. Als freier Künstler wie ich hat man keinen wirklichen Lebensmittelpunkt.


Hat es weniger Spaß gemacht zu wissen, dass man plötzlich für Geld auf die Bühne gehen muss?

Es ändert sich schon viel. Die Sängerknaben sind eine Marke. Man kommt hin, singt und geht. Man ist in einer gut geölten Maschine und muss sich keine Gedanken machen. Als freier Künstler wird man plötzlich mit allerlei Erwartungen und Verträgen konfrontiert. Man wird etwas überwältigt.


Das Geld war kein Anreiz?

Mein Leben war nie so aufgebaut, dass Geld eine zentrale Rolle spielt. Das Leben lebt man einfach. Am Anfang meiner Karriere habe ich nicht so viel verdient, später mehr. Dafür hatte ich kaum Zeit für mich. Eigentlich war ich glücklicher, als ich nicht so viel gearbeitet habe. Irgendwann habe ich aufgehört, auf mein Konto zu schauen, weil ich gar nicht wissen will, was ich habe.


Wenn immer genug da ist, ist das eine Option.

Man muss nur wissen, was man braucht. Der Rest kommt schon.


Was brauchen Sie?

Essen, schlafen, ein bissl reisen. Geld macht schon zu einem bestimmten Grad glücklich. Aber man muss wissen, wie viel man wirklich braucht und ab wann Geld zur Last wird und man sich selbst versklavt.


Ist Ihnen das auch passiert?

Natürlich, es gab Jahre, da war ich nur einen Monat daheim und habe elf Monate allein mit meiner Arbeit verbracht. Das ist schon hart.


Wurden Sie am Beginn Ihrer Karriere von den Opernhäusern oft über den Tisch gezogen?

Nein. Wenn man unbekannt ist, gibt es das nicht. Entweder nimmt man das Angebot an oder nicht.

Man könnte zu wenig Geld dafür bekommen.

Es ist mir Gott sei Dank noch nie passiert, dass ich irgendwo gesungen habe und nicht bezahlt wurde.


Passiert das?

Das passiert in Italien seit acht Jahren schon. Die italienische Regierung hat die Kultur so in die Knie gezwungen, dass ein Großteil der italienischen Opernhäuser am Rand des Bankrotts sind. Viele Kollegen singen dort seit Jahren und werden nicht bezahlt. Es ist traurig, dass das gerade in der Heimat der Oper passiert.


Was verdienen Sie denn an einem Abend an der Oper?

Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Aber die Größenordnung ist nicht so berauschend.


Das sagen alle.

Es stimmt auch. In den vergangenen 30 Jahren sind die Subventionen in Europa gleich geblieben oder gesunken. Zusätzlich wurde das Geld immer weniger wert. Ich konnte mir in den 1990er-Jahren eine 100-Quadratmeter-Wohnung in Wien um drei Millionen Schilling kaufen. Das sind heute 200.000 Euro. Dafür bekomme ich nicht einmal ein Kammerl. Angenommen, ich hätte in den Neunzigern an der Staatsoper hunderttausend Schilling pro Vorstellung bekommen. Dann hätte ich für die Wohnung nicht einmal ein halbes Jahr arbeiten müssen. Heute kostet die Wohnung eine Million Euro, und ich müsste 150-mal für 7000 Euro singen. Ich brauchte drei Jahre oder noch mehr, um mir eine Wohnung in Wien zu leisten. Das ist eine gewaltige Herabstufung dessen, was Künstler machen.


Andere wären darüber glücklich.

Wenn ich wirklich Geld verdienen wollte, würde ich Arzt oder Anwalt werden. Es ist für alle Menschen schwieriger geworden, reich zu werden. Die Mittelklasse hat keine Chance mehr zum Aufstieg. Das Einzige, was einem bleibt, ist, sich vom Gedanken des Materiellen zu verabschieden. Die reale Welt erlaubt nicht mehr, dass wir Träume realisieren. Immer erdrückt uns die finanzielle Wirklichkeit.


Erleben Sie das in Ihrer eigenen Produktionsfirma auch?

Ich erlebe das ständig. Wir haben zwei Grammy-Nominierungen bekommen, hatten hunderttausende Zuseher im Fernsehen. Dazu benötigt man Geld. Aber für Kunst und Fantasie gibt es immer weniger. Ich bin ständig damit konfrontiert, aus nichts etwas zu machen. Die härteste Produktion hatte ich gerade in Griechenland. Das war Arbeiten mit quasi null Budget.


Ist Ihnen Geld lästig?

Nur die Art und Weise, wie damit umgegangen wird, beginnt extrem lästig zu werden. Diese ständigen Sparprogramme für Kultur und Bildung sind gefährlich. Das ist, wie wenn man in einer Familie ist, in der sich die Eltern nur ums Geld kümmern und die Kinder auf der Straße verkommen lassen, statt sie in gute Schulen zu schicken.


Sie haben einmal gesagt, als Produzent sind Sie so etwas wie der Dieter Bohlen der Klassik.

Das wünschte ich. Ich bin der einzige klassische Sänger, der so frech war, selbst Opern zu machen. Das wird in der Klassik nicht gern gesehen. Sänger müssen nur singen, kommen und gehen. Das war es. Man sollte da nicht zu viel denken können oder zu klug sein.


Hat Sie diese Enge in der Klassik ins Unternehmertum getrieben?

Als Sänger hat man keine Möglichkeit, eigene Ideen zu verwirklichen. Jetzt habe ich diese Freiheit.


Im Pop-Bereich ist das ja Usus.

Ja, aber die Klassik ist ein subventioniertes System, in dem 99 Prozent aller Gelder in bestehende Institutionen fließen, die immer dasselbe machen. Das ist langweilig. Hier steckt man in einem System, das man nicht verändern kann.


Rechnet sich der Ausbruch auch finanziell?

Eigentlich nicht. Im Endeffekt ist es Liebhaberei. Ich verdiene mit vier Produktionen so viel, wie wenn ich 60-mal dieselbe Rolle singe. Das ist viel mehr Arbeit, aber auch künstlerisch aufregender.


Wollen Sie irgendwann komplett als Sänger aufhören?

Ich fantasiere immer wieder vom Ausstieg.


Was hält Sie zurück?

Ich weiß es nicht. Irgendwie steht man dann doch auf, geht auf die Bühne und macht es wieder. [ Fabry ]

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