Erhard Busek: „Ich bin froh, wenn ich etwas zu tun habe“

Erhard Busek
Erhard BusekDie Presse
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Ex-Vizekanzler und Osteuropa-Experte Erhard Busek erklärt, warum Geld kaum ein Anreiz wäre, um gute Leute in die Politik zu locken. Er ärgert sich über Politiker, die glauben, dass Österreich an Kroatien grenzt.

Die Presse: Haben Sie Ihren Ausstieg aus der Politik als Abstieg empfunden?

Erhard Busek: Nein. Ich genieße seit 20 Jahren ein Leben nach der Politik, und das ist sehr politisch. Ich habe meine Erfahrungen aus der Politik für die EU am Balkan angewandt und tue das jetzt noch.

Auch finanziell und prestigemäßig war es kein Abstieg?

Ich hatte kein Problem damit, aus dem Dienstwagen auszusteigen. Jetzt steht mein Auto da unten, und ich zahle Parkgebühren. Ich bin keiner, der so aufwendig lebt. Als ich diese Funktionen hatte, habe ich mich nicht weiß Gott wie nach oben entwickelt, habe keine Häuser gekauft und keine Yacht, und danach hatte ich auch kein Problem. Aber das hat mit meiner Grundeinstellung zu tun: Ich bin froh, wenn ich was zu tun habe. Ich mache vieles ehrenamtlich: das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, das Vienna Economic Forum, den Senat der Wirtschaft.

Sie sind ja schon länger nicht mehr in der Tagespolitik aktiv, sieht man von der beratenden Funktion für die Neos ab...

Beratende Funktion ist übertrieben. Ich habe eine Gesprächssituation mit dem Matthias Strolz, der fragt mich hie und da. Diese Funktion habe ich mindestens für den Mitterlehner (ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner, Anm.) genauso.

...verspüren Sie manchmal den Wunsch, sich einzumischen?

Den Wunsch, mich in die aktuelle Politik einzumischen, nicht. Aber Stellung abzugeben zu den akuten Situationen, ja. Ich folge Einladungen zu Diskussionen. Dort sieht man: Wenn jemand sagt, die Leute interessieren sich nicht für Politik, dann ist das falsch. Nur Parteien sind heute keine sehr akzeptierten Adressen. Aber die Bürger kapieren, worum es geht. Ich hausiere seit einiger Zeit mit der Feststellung, dass wir am Beginn von Weltkrieg III sind. Ich habe mir gedacht, die werden geschockt sein und sagen, dass ich schwarzmale. Aber der Instinkt der Bürger, dass da irgendetwas passiert, ist sehr groß.

Zwischen welchen Polen spielt sich das ab?

Es gibt keine Pole mehr. Das kriecht unter die Decke der Gesellschaft. Wir haben nicht erklärte Kriege, aber wir haben Kriege. Was in der U-Bahn in London und am Bahnhof von Atocha passiert ist, ist Weltkrieg. Wir stehen am Beginn einer Völkerwanderung, und was mich wahnsinnig macht, ist, dass die Politik dem fassungslos gegenüber steht und Alibihandlungen setzt.

Inwiefern?

Der Staat und die Verwaltung sind überfordert, haben aber eine Tendenz, die Dinge an sich zu ziehen. Dabei ist die zivile Gesellschaft in einer guten Entwicklung. In der Flüchtlingsfrage treten Gruppen auf, die sagen, das können wir machen. Denen müsste man das erleichtern. Mich hat etwa aufgeregt, dass die Kirche frei stehende Gebäude hat und keine Flüchtlinge nimmt. Ich bin dem nachgegangen und habe erfahren, da kommt der Denkmalschutz, da kommt die Behörde, und das nächste Einkaufszentrum ist nicht eineinhalb Kilometer weg. Mit lauter Blödheiten halten wir Lösungen auf.

Warum ist das so?

Trägheit des Apparats und eine ungeheure Regelungssehnsucht. Seitens des Staates gibt es ein Misstrauen gegenüber dem Bürger. Der macht eh alles falsch, da muss man eine Vorschrift erlassen. Wir haben einen auswuchernden Kontrollstaat. Die Personenkapazitäten, die wir fürs Kontrollieren verwenden, könnten wir sinnvoller einsetzen.

Sind Politiker Ihrer Meinung nach überbezahlt?

Ein guter Politiker ist unterbezahlt, und es gibt eine Menge, die überbezahlt sind. Aber die Bezahlung ist nur ein vordergründiges Thema. In Wirklichkeit geht es um die Frage: Gehen die richtigen Leute in die Politik? Das ist nicht nur eine Geldfrage. Die Politik motiviert Leute nicht, in die Politik zu gehen.

Mit welchen Anreizen bekämen die Parteien die richtigen Leute?

Mit den richtigen Themen, und indem man ihnen die Möglichkeit einräumt, etwas zu tun. Für mich ist der Strolz (Neos-Vorsitzender, Anm.) ein klassisches Beispiel. Ich habe bei seiner Tätigkeit im Europäischen Forum erkannt, dass er begabt ist. Ich habe ihm zugeredet, in die Politik zu gehen. Er war bereit dazu. Ich habe ihn aber nicht untergebracht. Alle haben gemeint, er soll zuerst Zettel verteilen. Bei der Auswahl von Politikern sollte man mehr auf Qualität schauen. Ich frage mich auch, warum niemand fragt, was den Stronach-Abgeordneten, die zur ÖVP gewechselt sind, versprochen worden ist. Werden sie wieder aufgestellt?

Ihre politische Karriere war frühzeitig beendet.

Ja, aber ich habe alles durchschritten, vom Bundesparteiobmann bis zum Vizekanzler. Generalsekretär bin ich gegen meinen Willen geworden. Und ich wollte überhaupt nicht nach Wien, habe das zunächst als Abstieg empfunden, aber der Taus (Josef Taus, ÖVP-Obmann 1975–1979) hat gesagt, dass wir nur gewinnen können, wenn in Wien etwas besser wird. Also habe ich es gemacht. Heute sitzen viele einfach in der Loge und warten, was da noch Schönes kommt. Politik ist Knochenarbeit, und man muss auch Risken eingehen.

Warum kleben Politiker so an ihren Sesseln?

Weil sie Angst um ihre Lebensqualität haben. Aber Sie sprechen ein wichtiges Problem an: Es muss die Durchlässigkeit in die Politik geben, aber es muss auch die Durchlässigkeit heraus in andere Funktionen geben. Man muss endlich einmal aufhören mit dem Gerede „der ist versorgt worden“, außer wenn die Kritik gerechtfertigt ist.

Dieses Institut wird von Ministerien und Unternehmen gefördert. Ist das der zukünftige Weg für die Bildungsförderung?

Die staatliche Finanzierung wird immer schlechter. Wir müssen das Geld immer irgendwo suchen. Aber da muss man dann halt auch entsprechende Angebote machen. Wir haben einen Balkan-Studienlehrgang. Der wird im Wesentlichen von den Firmen bezahlt, die am Balkan tätig sind. Die wollen eine Ausbildung für ihre Leute.

Ist man dann nicht zu sehr abhängig von diesen Firmen?

Das heißt es immer, das ist aber nicht der Fall. Ich kann mich an keine einzige Intervention einer Firma erinnern. Dieser generelle Verdacht ist eine gewisse Wirtschaftsfeindlichkeit. Es heißt zwar, dass es in der Medikamentenfrage Einflüsse gibt. Mir ist bislang nichts aufgefallen. Was mir aufgefallen ist, ist, dass Firmen natürlich nur bestimmte Projekte fördern, von denen sie glauben, dass das für sie gut ist. Da braucht man eben die ausgleichende Rolle des Staates.

Wird sich die Wirtschaft auch stärker bei Schulen engagieren?

Das tut sie ohnehin schon auf der lokalen Ebene. Es gibt Schulrenovierungen, die von den Unternehmen des Bezirks bezahlt werden.

Und das ist auch begrüßenswert?

Wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen, muss es ja irgendwie geschehen. Den Staat halte ich für reformunfähiger als die Wirtschaft. Die österreichischen Unternehmen sind schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Osteuropa gegangen. Bis die österreichische Regierung das begriffen hat– das hat sie bis heute noch nicht wirklich. Ich kann mich an einen Minister erinnern, der gemeint hat, wir haben eine gemeinsame Grenze mit Kroatien. Es fehlen oft die Kenntnisse.

Warum lässt man innerhalb einer Partei Leute hochkommen, die keine Ahnung haben?

Das ist wie in allen Bereichen. Der ist vielleicht leichter handhabbar, umgänglicher. Da stimmt die öffentliche Kontrolle nicht. Deswegen bin ich ein Anhänger der Direktwahl von Abgeordneten.

ZUR PERSON

Erhard Busek (*1941) war von 1991 bis 1995 Vizekanzler der Republik Österreich. Seine politische Karriere startete der Jurist 1964 als zweiter Klubsekretär der ÖVP. Weitere Stationen waren Wiener ÖVP-Obmann, Wiener Vizebürgermeister, Wissenschaftsminister, Unterrichtsminister. Als ÖVP-Obmann wurde er 1995 von Wolfgang Schüssel abgelöst. Derzeit ist Busek unter anderem Vorstand des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2015)

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