"Das Prinzip der Geburt wird wichtiger"

Julia Friedrichs
Julia Friedrichs(c) Florian Reischauer
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Die Autorin Julia Friedrichs nahm für ihr Buch deutsche Erben genauer unter die Lupe. Mit der „Presse“ sprach sie über deren erlebtes Unglück und erklärt, warum Schöngeister aus der Mode gekommen sind.

Die Presse: Über die Armen weiß man viel, über die Reichen wenig. Diese Aussage zitieren Sie in Ihrem Buch. Woran liegt das?

Julia Friedrichs: Vermögende machen bei Umfragen zum Thema Geld in der Regel nicht mit, daher ist die Datenlage auch nicht gut. Abgesehen davon wollen Reiche auch nicht über Geld sprechen. Wir haben eine andere Kultur als in den USA, wo man auf sein Vermögen stolz ist. Reichtum ist hier eher still und diskret. Deshalb wird das Land von vielen gleicher eingeschätzt, als es in Wirklichkeit ist.

Gibt es nicht auch Reiche, die stolz auf ihren Reichtum sind?

Ja klar, aber man trägt dies trotzdem in geringerem Maße nach außen. Bei uns ist es auch anders als in Schweden, wo man die Steuererklärung des Nachbarn einsehen kann. Geld und Vermögen gelten in Deutschland als privat, auch wenn man stolz darauf ist, etwas geschaffen zu haben.

Ist es heute schwieriger, reich zu werden, als früher?

Bis in die 1980er-Jahre galt für Deutschland das Bild: Reichtum erarbeitet man sich. Damals haben die Menschen sehr gut verdient, die Nettolöhne waren hoch, ebenso wie die Zinsen. Es war eine Zeit, in der man aus eigener Kraft heraus Vermögen aufbauen konnte. Für die Nachbabyboomer, also alle unter 50 Jahren, ist das anders. Die Reallöhne sind 20 Jahre lang nicht gestiegen. Man muss privat für das Alter vorsorgen, es gibt kaum Zinsen, und der Immobilienerwerb in Städten wird immer schwieriger. Das alles sind Faktoren, die es extrem schwierig machen, Vermögen zu erarbeiten.

Kennen Sie niemanden in Ihrem Alter, der sich Reichtum erarbeiten konnte?

Ich kenne Leute, die beim Fernsehen arbeiten und dort ganz gut verdienen. Auch im Sport oder mit Start-ups kann man von nichts auf viel kommen. Wenn man sich aber die großen Linien ansieht, muss man erkennen, dass die Vermögensverhältnisse in Deutschland seit 20 Jahren betoniert sind. Und sicher noch betonierter werden, weil die Erbbestände einfach so riesig sind. Für die, die nichts erben, wird es immer schwieriger.

Wird es bald eine Zweiklassengesellschaft geben?

Ich glaube, dass es sie jetzt schon gibt und noch stärker geben wird. Ich denke, dass wir Tendenzen zu einer Refeudalisierung sehen werden. Dass man sagt: Das Prinzip der Geburt wird wichtiger für die Frage, wer was in seinem Leben machen kann. Das zieht sich durch die Frage des Wohnens, der Bildung, der Chancen. Die Frage, wessen Kind du bist, wird an Bedeutung gewinnen.

Alle Erben, die Sie getroffen haben, machten einen eher unglücklichen Eindruck. Warum?

Ich glaube, dass die meisten Menschen tendenziell dann glücklich sind, wenn sie ihr Leben selbst in der Hand haben. Bei den Erben hatte ich teilweise das Gefühl, dass sie sich gefangen und unfrei fühlen, was mich sehr überraschte. Aber die Erben sind an ihre Familien gebunden, an deren Erwartungen und Vorstellungen. Und auch an den Platz, den die Familien ihnen zuweisen. Unter dem Strich ist diese ganze Erbengesellschaft tatsächlich eine, die wahrscheinlich unfreier und deshalb vermutlich auch nicht glücklicher ist.

Macht Geld unfrei?

Eigenes Geld macht tendenziell frei.

Gab es tatsächlich niemanden, der sich über ein großes Erbe freute?

Doch, klar. Freude war bei vielen da, auch Dankbarkeit. Für mein Buch habe ich zum Beispiel einen Komponisten getroffen, der eine Eigentumswohnung von seinem Vater bekam. Er konnte die Miete in Berlin nicht mehr zahlen. Da wurde eben das Erbe vorgezogen. Natürlich war er froh darüber. Aber er sagte auch, dass er es lieber aus eigener Kraft geschafft hätte. Und er fragte sich, wie sein Vater mit einem recht normalen Job solche Beträge verdienen konnte, während es bei ihm und seiner Frau nicht einmal reichte, die drei Kinder vernünftig zu ernähren. Und das, obwohl beide einen Job haben.

Wie passt es zusammen, dass Geld von vielen Erben als Belastung empfunden und auf der anderen Seite oft erbittert darum gestritten wird?

Ich glaube, so ist der Mensch, kein perfektes und rationales Wesen. Es gab einige Erben, die mir erzählt haben, dass Erben die Gesellschaft ungerechter macht. Es wäre ihnen unbenommen gewesen, freiwillig etwas von ihrem Geld abzugeben. Aber das taten die wenigsten. Eine Erbin hat gesagt, dass das Geld an ihr klebt. Dazu kommt, dass es sich um emotional aufgeladenes Geld handelt, weil man die Lebensleistung der Eltern erbt. Selbst wenn man das Geld nicht braucht oder falsch findet, es zu haben, gibt man es trotzdem nicht weg. Denn dann wäre man undankbar und würde die Familiengeschichte ablegen. Und bei Erbstreitigkeiten geht es selten um die Summen, sondern eher darum, wer welche Rolle in der Familie spielte und wer wie wichtig war. Das Geld wird hier oft als Ausdruck elterlicher Liebe gesehen.

Wo sind die Erben, die das Geld aus dem Fenster werfen?

Ich glaube, die sind selten. Manchmal hätte ich mir das bei einigen Erben gewünscht. Einer, den ich traf, ging in diese hedonistische Richtung. Der wohnte im Hotel, war Lebemann, fuhr Speed-Boot. Er entsprach am ehesten dem Klischee. Aber auch er konnte das Geld nicht einfach genießen, sondern war immer bemüht zu sagen: Ich leiste auch ganz viel, ich habe auch eine Aufgabe im Leben. Das war in seinem Fall ein Rekord mit dem Speed-Boot, auch wenn das eher ins Groteske ging. Reiche Erben, so wie man sie aus dem Klischee der 1970er-Jahre kennt, die rumhängen und schöne Frauen haben, sind im Moment sozial nicht so anerkannt.

Sind die Erben eher Verwalter oder Gestalter?

Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge gehen Erben in der Regel angstgetriebener mit dem Vermögen um, einfach, weil sie es nicht versauen wollen. Man ist weniger unternehmerisch oder risikobewusst, sondern eher getrieben von der Idee, das Geld zu bewahren und zu konservieren.

Wer Geld hat, muss theoretisch nichts mehr leisten. Schafft sich die Leistungsgesellschaft durch das Erben ab?

Das ist leider nicht erforscht. In den USA wird aber viel darüber diskutiert, wie viel Geld es braucht, um ein Kind zu ruinieren. Es gibt Erziehungsratgeber für reiche Eltern, in denen diese Frage diskutiert wird. Wie schafft man es, seinen Kindern alles zu ermöglichen, ohne ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nichts mehr zu tun brauchen? Bei Sozialhilfeempfängern gibt es so etwas wie die erlernte Hilflosigkeit. Ob es so etwas bei Erben gibt, hat sich noch niemand angesehen. Es gibt welche, die das Geld antreibt, weil sie sich selbst unter Druck setzen, die Eltern zu übertreffen. Die anderen können keine Motivation entwickeln, denen fehlt der Biss.

Sie selbst sind nicht wohlhabend. Verspürten Sie Neid, als Sie auf die Reichen trafen?

Zu Beginn schon, vor allem bei denen, die einer ähnlichen Arbeit nachgehen. Man weiß, dass man sich das Kapital, das die haben, nie wird erarbeiten können – egal, wie sehr man sich anstrengt. Je länger ich die Leute getroffen habe, desto eher gab es aber so etwas wie Dankbarkeit, der Regisseur des eigenen Lebens sein zu dürfen. Und wenn das heißt, sich nicht in ein gemachtes Nest zu setzen, dann ist es eben so. Dafür bin ich keiner Familie ausgesetzt, die Erwartungen formuliert, einem sagt, was man machen soll und was nicht. Das Gefühl des sicheren Netzes kann einen auch gefangen halten.

Zur Person

Julia Friedrichs (geboren 1979) stammt aus Deutschland. Sie studierte Journalistik und arbeitete als freie Mitarbeiterin für den WDR. 2007 wurde sie für eine Sozialreportage mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten ausgezeichnet. 2008 veröffentlichte Friedrichs den Bestseller „Gestatten: Elite“. Für ihr Buch „Wir Erben“ (Berlin Verlag) traf sie zahlreiche Nachkommen von wohlhabenden Deutschen. Friedrichs lebt in Berlin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2015)

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