Dominique Meyer: "Ein Opernhaus steckt voller Rätsel"

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Der Staatsoperndirektor wollte ursprünglich Sportjournalist werden. Der "Presse" erklärt er, warum er überzogenen Gagenforderungen nicht nachgibt und Niedrigzinsen ein Nachteil für die Oper sind.

Die Presse: Sie haben Wirtschaft studiert. Was war damals Ihr Berufswunsch?

Dominique Meyer: Zuerst Sport-, dann Wirtschaftsjournalist. Ich hatte tolle Professoren an der Uni. Man bot mir einen Studienassistentenjob an. So wurde ich Wirtschaftsprofessor.

Heute sind Sie Manager eines Kulturbetriebes mit ca. 1000 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von über 111 Mio. Euro. Ist Kultur ein Wirtschaftsgut?

Ja, Kultur hat eine wirtschaftliche Dimension. Kultur ohne Begrenzungen wäre nicht interessant. Es gibt einen Rahmen – finanziell, technisch, gesellschaftlich, rechtlich. Jede künstlerische Entscheidung zieht wirtschaftliche, organisatorische und technische Konsequenzen nach sich. Ein Opernhaus steckt voller Rätsel – für die muss man Lösungen finden.

Lässt sich mit Kultur Geld machen?

Sehen Sie sich Kulturstädte wie Wien, Rom, Paris an. Die Touristen kommen und generieren das, was man mit dem Begriff Umwegrentabilität umschreibt. Sie bringen Geld ins Land. Salzburg verdient enorm viel Geld durch die Festspiele.

Die Wiener Staatsoper auch?

Wir konnten die Einnahmen durch den Kartenverkauf in den vergangenen Jahren – trotz wirtschaftlich schwierigen Umfelds – von 29 auf 34 Millionen steigern. Das ist ein Ergebnis, das alle drei Berliner Opernhäuser zusammen nicht einspielen.

Kann man die wirtschaftliche Umwegrentabilität errechnen?

Man kann ein Minimum errechnen, mit einer genauen Zahl ist es schwierig. Die Staatsoper zahlt 34 Millionen an Steuern und erzielt laut einer IHS-Studie eine Bruttowertschöpfung von rund 150 Millionen. Man kann also sagen, dass jeder vom Staat investierte Euro etwa drei Euro bringt.

Wie hoch ist die Eigendeckung?

Sie liegt bei 46 Prozent.

Kultur kostet auch viel Geld. Wie wichtig ist staatliche Kulturförderung, ist sie hoch genug?

Die Subvention für die Staatsoper wurde von 54 auf von 59,4 Millionen erhöht, nachdem sie jahrelang gedeckelt war. Die Deckelung war gefährlich: Gehälter, die im Haus an die 80 Millionen ausmachen, stiegen automatisch, die Subvention nicht. Die Minister-Entscheidung für eine Dreijahresplanung hat die Projektierung sehr verbessert.

Wie wichtig sind Mäzene?

Extrem wichtig. Unser Streaming-Projekt hätten wir ohne diese nicht umsetzen können. Ich bin glücklich, dass wir vergangenes Jahr die OMV als Hauptsponsor dazugewinnen konnten. Toyota ist uns seit Jahren mit Lexus als Hauptsponsor treu geblieben. Bei der Gewinnung neuer Sponsoren sehe ich noch Spielraum.

Wie sehr ist ein Kulturbetrieb wie die Staatsoper von wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen abhängig? Etwa von Niedrig- bzw. Nullzinsen?

Die Niedrigzinsen sind für uns ein Nachteil, da wir keine Bankverbindlichkeiten haben. Wenn wir sehr früh Karten oder Abonnements verkaufen, haben uns die Zinsen dafür früher über eine Million Euro eingebracht.

Was halten Sie als Wirtschaftswissenschaftler davon, wenn Geld null Wert hat – sprich null Zinsen für Geld bezahlt werden?

Ich denke, dass die Niedrigzinsphase derzeit für die Wirtschaft nötig ist, denn alles, was Wachstum bremsen könnte, wird zum Problem. In vielen Ländern sind die Staatsschulden hoch, wenn die Zinsen steigen, werden sie noch mehr.

In den Medien liest man regelmäßig über die Abschaffung des Bargeldes. Früher war es gang und gäbe, dass Künstler bar ausbezahlt wurden . . .

Ob bar oder Überweisung, das ist kein Problem für uns. Die Künstler haben ja Verträge.

Was tun Sie, wenn jemand künstlerisch überzeugt, aber überzogene Gagenforderungen stellt?

Nicht nachgeben. Es gibt Sänger, die ich nicht engagieren kann, weil ihre Gage über der Höchstgage des Hauses liegt. Auch, wenn man mich als Direktor danach beurteilt, wer nicht am Haus singt – da mache ich keine Ausnahmen.

Wer setzt die Höchstgagen fest?

Die Direktion.

Verraten Sie uns, wie hoch die Höchstgage derzeit ist?

Nein. Aber sie ist unverändert seit 1999. Eines verrate ich Ihnen: Kein Sänger, abgesehen von ein bis zwei Ausnahmen, keiner – so gut er auch sei – verdient das, was ein mittelmäßiger Fußballer der ersten Liga in Frankreich erhält, nämlich 200.000 bis 300.000 Euro im Monat.

Wir reden von Geld als Gradmesser künstlerischer Leistung. Wie ist das in Ländern wie Italien, wo Sänger monatelang auf ihre Gage warten müssen oder sie gar nicht erhalten? Sehen Sie die Gattung Oper – in ihrer Ausprägung als Repertoirebetrieb – gefährdet?

Nein. Die Lage ist sehr unterschiedlich von Land zu Land. In Italien ist die Auslastung in vielen Häusern zurückgegangen. Man hat immer dasselbe Repertoire gespielt. Daraufhin haben die Politiker ihren Kulturauftrag nicht mehr wahrgenommen und die Häuser geschlossen. Sie dachten, massive Investitionen in diesem Bereich bringen keine Wählerstimmen. Gleichzeitig hat man verabsäumt, etwas für den Nachwuchs zu tun. Nebenbei bemerkt waren viele Sänger massiv überbezahlt.

Glauben Sie, dass durch die weitgehende Gratismentalität im Internet das Wertegefühl dafür, dass klassische Musik etwas kostet, verloren geht?

Ja, leider. Man versteht, dass man 15 bis 20 Euro für CDs, DVDs oder ein Buch hinlegen muss, nicht aber beispielsweise für eine Vorstellung via Streaming.

Gesetzt den Fall, jemand hat gut verdient und fragt Sie privat um Rat, wie er sein Geld anlegen soll – haben Sie einen Rat?

Es gibt viele Möglichkeiten . . .

Man kann etwa auf den Opernball gehen. Rechnet sich dieses elitäre Vergnügen für die Oper?

Ja. Der Ball macht einen großen Gewinn für das Haus. 4,6 Millionen Einnahmen stehen 3,5 Millionen Ausgaben gegenüber.

Wo kann ein Betrieb wie die Staatsoper einsparen?

Es ist sehr schwierig. In den vergangenen Monaten mussten wir die technische Mannschaft um 20 Personen reduzieren. Wir haben die Hausreinigung wieder eingegliedert, eine Zeit lang war es ja Mode, möglichst viel outzusourcen. Im Vergleich zu anderen Opernhäusern funktioniert die Wiener Staatsoper sehr, sehr effizient.

Worin liegt das Risiko für die Budgetierung des Unternehmens Staatsoper?

Es gibt einen sehr großen Unsicherheitsfaktor, monatliche Auslastungsschwankungen, die man auch mit großer Erfahrung und Sorgfalt nicht berechnen kann.

Wie kalkuliert man da?

Die Kalkulation ist eine spannende Arbeit, aber die Kristallkugel haben wir nicht. Der Monat September ist eher schwach. Wenn Fußball-Europameisterschaft ist, wirkt sich das auf den Opernbesuch aus – aber wir wissen heute nicht, wer wann aufsteigt. Im Jänner geht unser Publikum auch auf Bälle, das reduziert sein Opernbudget. Wenn im Juni sehr schönes Wetter ist, verbringt man den Abend gern im Freien. Oper spielt sich nicht außerhalb der Gesellschaft ab – Oper findet in der Gesellschaft statt.

Was hieße es, würden mangels gesellschaftlicher Akzeptanz die Subventionen nicht mehr angepasst?

Ich kann mir das gar nicht vorstellen.

ZUR PERSON

Dominique Meyer (*1955) kam schon während seines Wirtschaftsstudiums in Paris mit der Oper in Kontakt. Zuerst arbeitete er aber im Industrie- und im Kulturministerium, um dann in die Pariser Oper zu wechseln, wo er 1989 Direktor wurde. Nach einem weiteren Abstecher in die Politik wurde er 1994 Chef der Oper Lausanne und 1999 Intendant des Théâtre des Champs-Elysées. Seit 2010 ist der gebürtige Elsässer Direktor der Wiener Staatsoper.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2016)

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