Ex-Bankdirektor Haumer: "Ich wäre viel zu ehrlich gewesen"

Die Presse
  • Drucken

Hans Haumer war Generaldirektor der "Ersten" und der Girozentrale. Mit der "Presse" sprach er über die Finanzkrise, das Image von Bankern - und darüber, dass er fast Finanzminister geworden wäre.

Die Presse: Sind Sie froh, dass Sie nicht mehr Bankengeneraldirektor sind?

Hans Haumer: Sagen wir es so: Ich wäre heute als Generaldirektor nicht so froh, wenn ich mit den Standards von früher an das Geschäft heranginge.

Es hat sich also viel verändert.

Natürlich ist das Bankengeschäft heute ein anderes als früher. Zu meiner Zeit ging es um das klassische Banking, das die Transformation der Fristen und der Risken zum Gegenstand gehabt hat. So habe ich es gelernt. Im Lauf der Zeit hat sich das Banking zu etwas entwickelt, das zum Teil nur noch die Astrophysiker dieser Welt verstehen. Das hat man ja im Zuge der Finanzkrise gesehen: Viele, die komplizierte Produkte verkauft haben, mussten nachher zugeben, dass sie diese gar nicht verstanden haben.

Haben Bankmanager heute zu Recht ein Imageproblem?

Es gibt solche und solche. Die Mehrzahl der Banken und der Banker ist anständig, keine Frage. Dass das Bankensystem einen Imageverlust erlitten hat, ist aber verständlich. Ob es gerecht ist, wage ich nicht zu beurteilen. Für mich ist es nicht gerecht, wenn alles in einen Topf geworfen wird. Es gibt ja nach wie vor Banken, die sich auf das klassische Banking, auf die Menschen konzentrieren.

Wie haben Sie die Finanzkrise erlebt?

Als ganz großen Schock. Das war ein Schlag, den man zunächst gar nicht verarbeiten kann. Das ist wie bei einer schweren Verletzung – da spürt man den Schmerz auch nicht sofort. Der 15. September 2008 – da hat Lehman Brothers Insolvenz beantragt – war sozusagen der Höhepunkt dieser Vertrauenskrise. Die Märkte sind vollkommen ausgerastet, waren nicht mehr unter Kontrolle. Das war schon ein Einschnitt. Und die Konsequenzen sind bis zum heutigen Tag spürbar. Leider passieren die Fehler, die damals gemacht wurden, zum Teil schon wieder: Die Risikoerkennung hat wieder nachgelassen.

Vertrauen – das ist ja eines Ihrer Lieblingsthemen. Sie haben auch ein Buch darüber geschrieben.

Vertrauen ist so etwas wie ein Lebenssaft – durch nichts zu ersetzen.

Warum hat es Sie beruflich in die Bankenwelt gezogen?

Mich hat eigentlich eher die Wissenschaft interessiert, und ich habe als Universitätslehrer in Puerto Rico begonnen, mit 23 Jahren. Dann bin ich zum Internationalen Währungsfonds gegangen.

Wie das?

Dazwischen, in den Sechzigerjahren, war ich bei der seinerzeitigen Girozentrale, als Assistent von Josef Taus, der damals Generaldirektor war. Er ist dann in die Politik gegangen, und ich habe plötzlich keine Arbeit gehabt. Drei Monate später wurde ich vom Währungsfonds zum Interview gebeten, und ich bin unter 80 Bewerbern ausgewählt worden. Da hat mir mein ökonomisches Wissen weniger geholfen, die Sprachkenntnisse schon eher. Aber meine Liebe zur Musik hat auch nicht geschadet.

Für einen Job beim IWF?

Mein Interviewer hat mich auch nach meinen Hobbys gefragt. Ich hab ihm erzählt, dass ich gern Klavier spiele. Daraufhin fragt er mich, was ich denn gerade spiele. Wie's der Zufall so wollte, haben wir beide die gleichen Stücke von Bach gespielt.

Warum hatten Sie aber überhaupt den Zug zur Finanzwelt?

Ich war nur ein Jahr in Puerto Rico, weil es mir dort zu heiß war. Als ich wieder nach Österreich zurückgekommen bin, habe ich in der Zeitung eine kleine Anzeige gesehen: „Großbank sucht Vorstandsassistenten.“ Da habe ich mich beworben. Mit 20 anderen. Aber die Referenzen, die ich angegeben habe, hat Josef Taus gut gekannt, also hat er mich genommen.

Womit wir wieder bei den Anfängen dieses Interviews wären. Heutzutage läuft die Personalakquise schon anders.

Na sicher sind die Dinge früher gemütlicher gewesen. Es war ja auch nicht annähernd so viel Druck. Heute bewerben sich für so eine Position 500 Leute.

Als Taus in die Politik wechselte: Hätte Sie das nicht auch gereizt?

Ich wurde tatsächlich vor diese Situation gestellt. Als Josef Taus ÖVP-Obmann wurde, hat er mich gefragt, ob ich den Finanzminister machen würde – sofern er die Wahlen gewinnt. Da war ich 39 Jahre alt. Ich habe ein bisschen darüber nachgedacht und geantwortet: „Warum nicht?“

Hätte Taus also damals die Wahlen gewonnen, dann hätte Ihr Leben einen ganz anderen Verlauf genommen.

Ja, oder wenn Alois Mock gewonnen hätte. Auch er hat mir einmal ein entsprechendes Angebot gemacht. Aber rückblickend weiß ich, dass ich kein guter Politiker gewesen wäre. Ich wäre viel zu ehrlich gewesen und hätte die Dinge beim Namen genannt. Das ist ein ganz schwieriger Beruf.

Aber gereizt hätte er Sie schon?

Nein, ich habe ihn auch nie angestrebt.

Zum Thema Ehrlichkeit: Was raten Sie Freunden in puncto Geldanlage? Sie haben als Bankgeneraldirektor ja noch Zeiten positiver Realzinsen erlebt. Da schaut's im Moment ganz schlecht aus.

Wer mich fragt, dem sage ich immer: „Es gibt kein Patentrezept.“ Die einzige Sicherheit ist die gute Streuung des Risikos. Es ist aber heute wesentlich schwieriger als früher, ein gutes Portfolio zusammenzustellen. Wir müssen alle damit rechnen, dass die Zentralbanken die Märkte weiterhin stützen werden, daher sind Aktien die sicherere und bessere Wette. Aber mit Aktien allein geht es nicht, man muss das Risiko streuen.

Immobilien?

Für den Eigengebrauch auf jeden Fall. Sonst ist die Immobilie genauso ein Spekulationsobjekt wie alle anderen, einschließlich des guten Goldes.

Welchen Luxus leisten Sie sich?

Mein Luxus ist meine Zeit. Ich spiele gern Klavier, ich lese gern, ich schreibe gern.

Mussten Sie, als Sie in den Ruhestand getreten sind, nicht lernen, Zeit als Luxus zu empfinden?

Nicht wirklich, weil ich immer versucht habe, ausgewogen zu leben. Ich habe mir immer Freiräume geschaffen und diese gegenüber den Anforderungen, die mir beruflich erwachsen sind, verteidigt.

Wäre das heute nicht schwierig?

Das war es schon damals. Es will ja jeder mit dem Chef reden. Da muss man eben seine Zeit richtig organisieren. Ich habe immer versucht, alle Leute, die mit mir einen Termin haben wollten, anzurufen. Und siehe da: Bei einem Telefonat von wenigen Minuten kann man das Gleiche erreichen wie bei einem einstündigen Termin.

Die Erste Bank hat jetzt eine neue Zentrale am Hauptbahnhof. Der Vorstand teilt sich dort ein Großraumbüro. Wäre das etwas für Sie gewesen?

Daran müsste ich mich sicher erst gewöhnen. Aber als Verwaltungsratspräsident habe ich so etwas schon erlebt.

ZUR PERSON

Hans Haumer (*1940) begann seine Bankerkarriere bei Josef Taus, als dieser Stabschef der Girozentrale war. Dann wechselte Haumer zum Internationalen Währungsfonds. Von 1977 bis 1989 war Haumer Generaldirektor der „Ersten“, danach leitete er bis 1994 die seinerzeitige Girozentrale.
Später wurde er Präsident des Verwaltungsrats der LGT Bank in Liechtenstein sowie der Capital-Leben Versicherung AG. Die Bücher „Vertrauen“ und „Reichtum“ sind nur einzelne Beispiele seiner langen Liste
an Publikationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.