Arik Brauer: "Mein erstes Werk wurde gestohlen"

(c) Clemens Fabry
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Arik Brauer hat viele Künstlerkollegen gesehen, die an den Verlockungen des Geldes gescheitert sind. Er selbst hat sich nie auf finanzielle Abenteuer eingelassen. Seinen Kindern will er lieber Kunst hinterlassen als nur Geldscheine.

Die Presse: Herr Brauer, haben Sie einen Überblick darüber, wie viele Werke Sie in Ihrem Leben bisher geschaffen haben?

Arik Brauer: Ja, ungefähr 2000. Meine Arbeiten als Student sind da nicht mitgezählt.

Hochproduktiv.

Was die Masse anbelangt, auf jeden Fall. Ich kann gar nicht anders. Ich stehe in der Früh auf und fange an zu malen. Ich lebe malend.

Ist jedes der Bilder verkauft?

Die meisten schon. Aber ich besitze schon noch einige, 150 oder sogar 200.

Ist Ihnen der Verkauf der Bilder wichtig, oder malen Sie für sich?

Kein Mensch malt für sich. Es wäre eine Lüge, wenn man was anderes sagen würde. Kein Mensch tut überhaupt irgendetwas nur für sich. Ich will, dass die Menschen die Bilder sehen, und ich will auch, dass sie sie besitzen und stolz darauf sind. Wenn ich der Letzte auf einer Insel wäre, würde ich nicht malen. Wofür denn?

Welche Rolle spielte Geld zu Beginn Ihrer Karriere?

Ich habe in Paris mit meiner Frau zusammen gesungen, hebräische Volkslieder. Das war eine Basis. Und zu Beginn musste ich Bilder von Fürstinnen malen, weil ich das Geld gebraucht habe. Aber das war eigentlich ein Stilbruch für mich. In dieser Zeit habe ich schon intensiv ausgestellt und auch einen Durchbruch erzielt. Als ich nach Wien zurückgekommen bin, war ich schon ein etablierter Künstler.

Geld verdirbt die Kunst nicht?

Das ist schon heikel. Ich habe viele Kollegen gesehen, die an den Verlockungen des Geldes gescheitert sind. Vor allem die Kunststudenten von heute, die in einer Zeit aufwachsen, in der das Geld zum Greifen nah ist, verfallen leicht der Idee, dass sie nur irgendeinen Trick finden müssen, um schnell an Geld und Ruhm zu kommen.

Ein falscher Weg?

Für jemanden, dem das genügt, ist es der richtige Weg. Aber die meisten haben auch damit keinen Erfolg und müssen dann eben etwas anderes arbeiten oder reich heiraten, um sich die Kunst zu leisten.

Hatten Sie jemals einen Mäzen?

Nein, aber ich komme auch aus einer anderen Zeit. In meiner Kindheit in den 1930ern war ein reicher Mann ein dicker Mann, der sich satt essen konnte. Der hatte idealerweise einen Backhendlfriedhof (dicker Bauch, Anm.), ein goldenes Ketterl am Gilet und das Geld immer im Sack. Heute hat ein reicher Mann kein Geld mehr im Sack – er muss eine Masse haben, die real gar nicht mehr existiert. Ich habe darum auch eine bestimmte Einstellung zu dem, was ist reich, was ist arm.

Und wie sieht die aus?

In Mitteleuropa gibt es keine Armen. Es gibt natürlich viele persönliche Schicksale, aber selbst, wer hier auf der Straße lebt, kennt diese Armut nicht, die es auf anderen Kontinenten gibt, wo Kinder tatsächlich verhungern, weil sie nichts zu essen bekommen. Auch hier in Wien ging es 1945 nicht ums Geldverdienen, sondern darum, wo man irgendwie Schuhe und Essen herbekommt. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das stark geändert. Da haben dann viele Karriere gemacht und Geld verdient. Und ich auch. Ich habe in den 1960er-Jahren mein erstes Auto gehabt.

Und hat Sie das Geld verändert?

Das ist schwierig zu sagen. Als meine Frau und ich vor 40 Jahren diese Villa betreten haben, hatte ich das Gefühl, ich gehe zu reichen Leuten Äpfel stehlen. In Paris haben wir in einem Loch gewohnt. Heute gehört das Haus mir. Aber ich glaube, dass ich mich charakterlich nicht verändert habe. Ich wurde als Armer nie gedemütigt, weil damals ja alle arm waren. Wer heute arm ist, ist gleich ein Versager.

Ist Armut, wie Sie sie erlebt haben, ein guter Nährboden für Kunst? Anders gefragt: Müsste man gute Kunst heute außerhalb Europas suchen?

Dieses verbreitete Bild des hungrigen und frierenden Künstlers, der von der Kunst befeuert ist, hat eine Wahrheit – aber keine absolute Wahrheit. Die ganz großen Kunstwerke wurden schon gemütlich in Filzpatschen geschaffen. Auch Mozart und Leonardo da Vinci lebten gut gepolstert. Das heißt aber nicht, dass van Gogh kein Genie war und vor Elend krepiert ist. Es kristallisiert sich heraus, dass das eine mit dem anderen nicht direkt etwas zu tun hat.

Was haben Sie mit dem Geld gemacht, das Sie verdient haben?

Seit ich 30 Jahre alt war, hatte ich immer genug Geld, um alles zu erfüllen, was ich wollte. Wir hatten immer genug, um ein- oder zweimal im Jahr nach Israel zu fahren, ich hatte immer ein Auto, wir waren immer auf Skiurlaub. Aber ich bin zum Unterschied zu Ernst Fuchs kein finanzieller Abenteurer. Ich habe mir nie Geld ausgeborgt, weil mich das belastet. Und ab einer gewissen Masse an Geld wird es ohnedies abstrakt und geht nur noch um Macht. Es gibt eine Obergrenze, ab der noch mehr Vergnügen kein Vergnügen mehr ist.

Haben Sie diese Grenze erreicht?

Ich habe keine Milliarden und keine Millionen. Aber ich konnte dieses Haus kaufen, mit brav versteuertem Geld. Heute tut es mir manchmal schon leid, wenn ich ein Bild verkaufe.

Warum?

Mein Geld wird vererbt, ich kann es ja nicht auffressen. Das gehört alles schon nicht mehr mir. Aber das Geld, das ich vererbe, ist unsicheres Geld. Ich denke daher, vielleicht ist es besser, wenn ich den Kindern mehr Bilder hinterlasse als Geldscheine.

Das haben auch Investoren erkannt. Kunst ist eine begehrte Finanzanlage. Stört Sie das?

Bei mir ist das nicht der Fall. Ich bin in einer Preiskategorie, die sich wohlsituierte Ärzte leisten können. Museen, die ein bestimmtes Bild brauchen, legen viel mehr hin. Ich habe zwar auch schon einmal ein Bild um 100.000 Euro verkauft, aber das ist nicht typisch für mich.

Kennen Sie die Käufer der Bilder?

Bei Ausstellungen fast nie. Die Galeristen haben ja Angst, dass die Käufer dann direkt bei mir kaufen könnten, um sich die 30 bis 50 Prozent Gebühr an die Galeristen zu sparen. Damals in Paris haben die Galeristen die Künstler überhaupt wie Sklaven behandelt. Sie wurden nach Größe der Bilder bezahlt. Wenn es gut ging, bekamen sie ein Zehntel des wahren Werts. Wenn nicht, wurden sie ausgepresst wie Zitronen und dann weggeworfen. Es war eine grausame Zeit.

Was haben Sie für Ihr erstes Bild bekommen?

Mein erstes Werk wurde nicht gekauft, sondern gestohlen. 1946 wurde im Foyer vom Konzerthaus eine Ausstellung zum Thema Fantasiemalerei organisiert. Ich war dabei, Ernst Fuchs und ein paar andere, die es heute nicht mehr gibt. Ich habe ein kleines längliches Bild ausgestellt, und das wurde gestohlen. Da hat der Fuchs zu mir gesagt: „Jetzt musst du kühn sein.“ Und ich bin reingegangen mit Cowboyschritten und habe gesagt: „Gib mir mein Geld! Hundert Schilling!“ Das war damals ein Monatsgehalt. Und ich habe die hundert Schilling gekriegt. Das war ein großer Triumph. Größer als alles, was nachher gekommen ist. [ Clemens Fabry ]

ZUR PERSON

Arik Brauer (*1929) ist ein österreichischer Künstler und gilt als Hauptvertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Während des NS-Regimes musste sich der Sohn eines jüdischen Schuhmachers vor den Nazis verstecken. Nach dem Krieg studierte er an der Akademie der bildenden Künste und der Musikhochschule Wien. Brauer lebte lange Jahre in Paris und pendelt nun zwischen Wien und Israel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2016)

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