"Wir leben heutzutage unter einer Wolke der Mittelmäßigkeit"

(c) Voithofer Valerie
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Der Designer Juan Pablo Molyneux erzählt von Menschen, die Luxus brauchen, um den Nachbarn zu übertrumpfen, Börsianern ohne Sinn für Schönheit und Milliardären, die kein Nein akzeptieren.

Die Presse: Sie sind ein international gefragter Designer, haben Büros in New York und London. Ihre Kunden sind wohlhabende Leute oder Organisationen. Haben Sie schon mit solchen Kunden angefangen?

Juan Pablo Molyneux: Ich wurde in Chile geboren. Mein erster Auftrag kam von Freunden dort. Da war ich 17. Ich weiß auch nicht, warum die dieses Risiko eingegangen sind. Ihre Tochter war ein Mode-Model. Sie wurde vor dem Hintergrund fotografiert, und das sah großartig aus. So habe ich weitere Aufträge erhalten. Schließlich habe ich eine Galerie in Santiago eröffnet und Möbel entworfen. Das war extrem erfolgreich. Mit 24 wollte ich im Museum der schönen Künste in Santiago eine Designausstellung machen. Die Direktorin wollte wissen, wer der Designer ist. Ich habe gesagt: „Ich.“ Sie war erstaunt und hat sich ein paar Sachen von mir zeigen lassen. Aber die Ausstellung war dann großartig. Ich war so glücklich.

Waren Sie immer so selbstbewusst?

Ja, zum Glück, ich bin nie enttäuscht über mich selbst.

Ihr Vater, ein Banker, hat Sportwagen gesammelt. Kommt Ihre Begeisterung für Design daher?

Vielleicht. Ich wurde auf Formen und Interior aufmerksam gemacht. Ich hatte auch immer Spielzeug, bei dem ich etwas bauen musste.

Und Sie wollten schon als Kind Designer werden?

Ich wollte immer etwas schaffen. Da ich ein schlimmes Kind war, hat man mich schon früh in die Schule geschickt. Als ich aus der Schule rausgekommen bin, war ich noch nicht einmal 16 und brauchte eine eigene Genehmigung für die Universität. Mich haben so viele Dinge interessiert: Geschichte, Kunstgeschichte, ich habe viel Einschlägiges studiert und nie über eine andere Karriere nachgedacht. Dafür war ich viel zu jung.

Die Eltern haben Sie unterstützt?

Ja, total. Als ich Architektur an der École des Beaux-Arts in Paris studiert habe, bin ich mit meinem Citroën nach St. Petersburg gefahren und sechs Monate in Russland geblieben. Meine Eltern haben das finanziert. Als ich 21 war, habe ich eine Reise von Kapstadt nach Kairo unternommen. Das hat auch sechs Monate gedauert. Ich habe so viele Leute kennengelernt. Das hat mich geformt. Noch heute habe ich oft die Gelegenheit, mit dem Maurer zu sprechen, der mir von seinen Kindern erzählt, oder mit der Schneiderin, die die Vorhänge zusammennäht. An einem einzigen Tag habe ich Kontakt zu allen möglichen Gesellschaftsschichten. Das ist faszinierend. Es wird einem ständig bewusst gemacht, was das Leben ist. Viele Leute glauben ja, dass ich nur mit Luxus zu tun habe. Aber das stimmt nicht.

Wenn sich jemand Sie nicht leisten kann, geben Sie dann auch Designratschläge?

Warum nicht? Nur oft gibt es die Einstellung: Ich will etwas, was ich mir nicht leisten kann. Wenn jemand etwas sieht, das zwei Millionen Dollar gekostet hat, und die Eingangshalle seines Hotels genauso gestalten will, aber das Budget ist mit 100.000 Dollar limitiert, dann sage ich: "Nein, wir sollten lieber etwas Schönes machen um 100.000 Dollar, und nicht etwas, was nach billigem Fake ausschaut."

Kommt das oft vor, dass Kunden etwas wollen, was ihr Budget übersteigt?

Oft. Aber ich versuche dann, etwas anderes zu machen, was den gleichen Grad an Schönheit und Behaglichkeit hat, aber passend und wahrhaftig ist. Ich hasse vorgetäuschte Dinge. Wenn ich mir etwas nicht leisten kann, dann kann ich es mir eben nicht leisten.

Was wäre vorgetäuscht? Schlechtes Material?

Zum Beispiel. Dabei kann man auch mit alltäglichen Dingen etwas Schönes machen, wenn man sie richtig einsetzt. Aber es gibt auch das umgekehrte Phänomen. Es gibt Leute, die haben Geld, aber sie brauchen keinen Luxus, weil sie gar keine Zeit für Luxus haben. Die haben lieber eine große, bequeme Couch und einen großen Bildschirm vor einer leeren Wand und schauen sich nur die Börsenkurse an. Wir leben heutzutage unter einer Wolke der Mittelmäßigkeit. Das tut mir oft weh. Ich sehe es als meine Aufgabe, das Leben der Leute zu verschönern, indem ich ihnen schöne Dinge anbiete, Dinge, die bewirken, dass sie ihr Haus mit einem Lächeln betreten.

Haben Sie manchmal Kunden, die wollen, dass Sie ihre Wohnung designen, damit sie dann zeigen können, wie reich sie sind?

Ja, ich muss zugeben, das kommt vor. Da wird oft ein ganz anderes Spiel gespielt, und das heißt Wetteifern: Du hast etwas Großes gekauft, ich kaufe mir etwas Größeres. Das ist nicht mein Spiel, da will ich nicht mitspielen.

Sind reiche Leute kompliziert?

Auf jeden Fall, vor allem die ganz Reichen. Wenn jemand drei Milliarden Dollar hat, verschwindet ein Wort aus seinem Gedächtnis, und das heißt „Nein“. Sie akzeptieren kein Nein mehr. Sie sagen: „Ich will mein Haus in vier Monaten fertig haben.“ Wenn man Nein sagt, sagen sie: „Warum nicht? Lassen Sie eben 100 Leute dafür arbeiten, lassen Sie sie nachts arbeiten, aber machen Sie es fertig.“

Sie werden arrogant?

Nein, das ist es nicht, das habe ich anfangs auch gedacht. Ich glaube, sie rechnen aus, wie viel Geld sie haben und wie viel Zeit. Ist jemand 70, weiß er, er hat vielleicht noch zwanzig Jahre oder zehn. Wenn er etwas will und Geld hat, will er es sofort. Er will schließlich nicht nur für die Erben etwas bauen. Das ist einfach eine andere Art zu denken.

Was machen Sie, wenn jemand einen wirklich schlechten Geschmack hat und etwas will, was Sie schrecklich finden?

Ich wende meine besten Lehrfähigkeiten an. Ich würde nichts machen, was ich schrecklich finde.

Haben die Leute konkrete Vorstellungen?

Oft. Manchmal sagen sie: „Ich hasse diese Farbe.“ Dann sage ich: „Warum?“ Oft hatten sie sie nur an der falschen Stelle. Wenn es mir dann gelingt, dass ihnen die Farbe am richtigen Ort richtig eingesetzt gefällt, dann ist das fantastisch.

Wie wohnen Sie selbst?

In New York hatte lang ich ein sehr schönes Stadthaus. Aber da meine Frau und ich nur zeitweise in New York und zeitweise in Paris wohnen, ist das Haus für uns zu groß geworden. Ich habe vier Leute gebraucht, die sich darum kümmern. Also ziehen wir jetzt in ein Apartment. Das ist auch okay.

ZUR PERSON

Juan Pablo Molyneux (*1946 in Chile) ist ein renommierter Designer mit Büros in New York und Paris. Er hat den Pavilion of Treaties in St. Petersburg und die russischen Räume im Palais des Nations in Genf für die russische Föderation ausgestattet, einen Palast in Doha für Scheich Mohammed bin Suhaim al-Thani sowie Privatresidenzen in New York, Beverly Hills, Moskau, London, Paris, Katar und Neapel. In Wien gestaltet er das Palais Schottenring.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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