Reinhold Messner: "Egoismus ist nicht negativ"

Reinhold Messner
Reinhold Messner(c) APA
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Reinhold Messner hat sein Leben mit "Abfallprodukten" seiner über 100 Expeditionen finanziert. Ersparnisse und Konsum langweilen ihn. Vermögende, sagt er, sollten höhere Steuern zahlen. Aber nicht abschätzig behandelt werden.

Die Presse: In Ihrem jüngsten Buch, „Über Leben“, schreiben Sie auch übers Überleben. Was braucht man zum Überleben?

Reinhold Messner: In meiner Sparte Instinkt, Ausdauer und die Gabe, Ideen umzusetzen; in der bürgerlichen Welt vielleicht auch Cleverness und Falschheit. In der Abenteurerwelt zählt nur die nackte Menschennatur, losgelöst von Moral, die ja nur aufgesetzt ist. Der Selbsterhaltungstrieb ist unser stärkster Instinkt. Ohne ihn und ohne Empathie hätte die Menschheit nicht überlebt. Deswegen ist der Egoismus nicht negativ, die Kirchen haben ihn dazu gemacht.

Man kann den Selbsterhaltungstrieb auch in der bürgerlichen Welt beobachten.

Richtig, die Menschen haben Angst. Dabei fehlt die Bedrohung. Europa ist heute nicht unsicherer als vor zehn Jahren. Und Terroristen gab es immer wieder – etwa die RAF in Deutschland.

Woher kommen diese Ängste?

Wahrscheinlich kommen viele Europäer mit der Globalisierung nicht zurecht. Meine Heimat ist zuerst Südtirol, dann Europa. Es ist auch der Platz, von dem ich auf die globalisierte Welt schaue.

Und was sehen Sie da?

Es ist interessant, dass wir ökologische, soziale oder andere Probleme nur global lösen können. Auch Friedensfragen. Wir haben die Möglichkeit, die ganze Welt zu verinnerlichen. Ich finde zum Beispiel die internationalen Wetterberichte großartig. So kann ich mich spontan nach Tibet, Alaska, Feuerland beamen.

Viele Menschen haben einen weniger positiven Zugang.

Auf meinen über 100 Expeditionen gab es nie Probleme mit anderen Bevölkerungsgruppen, egal welcher Religion. Ich verstehe nicht, dass Leute Angst haben, weil jetzt Muslime zu uns kommen. Sie kommen ja nicht, um die Welt zu erobern. Sondern, weil sie ihre Lebensgrundlage verloren haben.

Hatten Sie jemals Existenzangst?

Mit ungefähr 20 hatte ich Sorgen, meine Träume nicht realisieren zu können. Klettern ist ja kein Beruf. Seit ich 25 war, hatte ich nie Probleme, mein Leben zu finanzieren.

Wie haben Sie Ihre ersten Expeditionen finanziert?

Als Mitläufer. Meine erste war eine Tiroler Expedition in die Anden. Ein Teilnehmer ist ausgefallen, da hat man mich angerufen. Ich war in etwa gleich groß und habe seine Ausrüstung übernommen. Zur nächsten Expedition bin ich aufgrund meiner Erfolge eingeladen worden. Ich musste nur einen Teil mitfinanzieren. Also habe ich mein Studium gelassen und als Hilfslehrer angeheuert.

Mathematik, nicht?

Ja, in der Mittelschule. Danach bin ich nie mehr einer geregelten Arbeit nachgegangen.

Na ja, Selbstvermarktung ist auch eine geregelte Arbeit.

Für mich nicht. Ich tue nur, was ich mit Begeisterung tue, stehe gern auf der Bühne. Ich habe mit den Abfallprodukten meiner Expeditionen, Vorträge und Bücher zum Beispiel, mein Leben finanziert. Und immer auch die nächste Expedition, als Freelancer.

Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie ihnen sagten, dass Sie Bergsteiger werden wollen?

Ich habe sie nicht gefragt, ich war 25 und habe es gewagt. Mein Vater hat es nicht gern gesehen, aber er hat viel kritischer reagiert, als ich 1983 meine Burg gekauft habe.

Schloss Juval im Südtiroler Vinschgau. Sie haben umgerechnet 30.000 Euro bezahlt.

Ein Spottpreis! Mein Vater hat gemeint: „Das wird dich ins Grab bringen.“ Dabei war es die beste Investition meines Lebens.

Wie viel ist die Burg heute wert?

Ich könnte sie um einige Millionen verkaufen.

Also sollte man in Immobilien investieren.

Nur in gute Locations. Ich habe ja auch drei Bergbauernhöfe gekauft, um später als Selbstversorger überleben zu können: ein teurer Luxus. Ich würde es heute nicht mehr tun.

Wieso nicht?

Der Bergbauer in Italien und Österreich kann sich sein Leben mit Milch und Fleisch kaum noch finanzieren. Es ist zu kostspielig geworden, hoch oben auf dem Berg zu produzieren. In der Schweiz ist es besser, da werden die Bergbauern stärker subventioniert.

Die EU sollte die Bergbauern noch stärker subventionieren?

Anders geht es wohl nicht. Wenn wir die Bergbauern verlieren, verlieren wir die Landschaftspfleger. Und später den Tourismus. Oder die Hoteliers zahlen einen Ausgleich. Der Bergbauer muss in der globalisierten Welt bestehen.

Ist die Globalisierung nun gut oder schlecht?

Weder noch. Sie ist eine Tatsache. Und nicht mehr zurückzudrehen.

Würden Sie von sich sagen, dass Sie reich sind?

Ja, ich habe die Möglichkeiten, meine Träume zu leben: Filme zu machen, Bücher zu schreiben, Museen ohne Subventionen zu betreiben.

Aber sind Sie auch vermögend?

Wenn ich die Ersparnisse angehäuft hätte, die ein Fußballstar im Jahr verdient, wäre ich gelangweilt. Geld, also das Haben, macht nicht lebensfroh. Ich habe mir Freiraum geschaffen, um gestalten zu können. So habe ich sechs Museen mit privaten Mitteln gefüllt. Mit Jahresende übergebe ich an meine große Tochter.

Ab wann ist Ihnen Geld übrig geblieben?

Ab dem 30. Lebensjahr.

Bauernhöfe, Museen: Wofür geben Sie sonst noch Geld aus?

Für nahezu nichts. Ich gehe nie zum Einkaufen. Konsum ist langweilig. Ich gehe essen, meine Frau und ich reisen viel, wir leisten uns eine Wohnung in Meran, und wir leben zufrieden, mit der Verantwortung für Kinder, Mitarbeiter, Kulturgüter.

Ein Auto haben Sie nicht?

Ein Firmenauto, es gehört mir nicht.

Und ein Handy?

Eines aus dem letzten Jahrhundert. Wer mir eine Freude machen will, schenkt mir Kunst, die ich brauche, um Geschichten zu erzählen. Oder noch besser: Reliquien. Das sind Klettergeräte von berühmten Bergsteigern. Dafür bin ich auch bereit, Geld auszugeben.

Sie haben den Verzichtsalpinismus geprägt, also das Bergsteigen ohne Steighilfen und Sauerstoffflaschen. Welche Rolle spielt der Verzicht in Ihrem Leben?

Bei mir gehörte der Verzicht anfangs zur sportlichen Herausforderung. Nachdem aber die höchsten Berge über die schwierigsten Wände mit immer besserer Technik bestiegen waren, habe ich erkannt, dass die Steigerung nur darin bestehen kann, wieder mehr und mehr auf Technik zu verzichten.

Das ist auch kostengünstiger.

Ich habe die Expeditionskosten um das Fünfzigfache reduziert. Heute sage ich: Wenn wir es schafften, den Verzicht als positiven Wert in der Gesellschaft zu etablieren, kämen wir global besser zurecht.

Worauf sollte man verzichten?

Ich brauche nicht alles dreifach, keine Jacht und kein Fünf-Gänge-Menü am Abend.

Kann man das auf die globale Wirtschaft umlegen?

Bill Gates und Warren Buffet machen es vor, indem sie für die Dritte Welt spenden. Mich hat wieder einmal die Art geärgert, wie die deutschen Grünen über die Vermögenssteuer diskutiert haben: Man müsse den Superreichen etwas wegnehmen. Ich hätte gesagt: den Leistungsträgern.

Aber für Vermögenssteuern sind Sie schon.

Vermögende sollen einen höheren Beitrag leisten, ja. Man muss sie dafür aber nicht abschätzig behandeln. Das sind ja keine Verweigerer. Hans Peter Haselsteiner zum Beispiel ist ein Leistungsträger, er hat sein Geld erarbeitet und viel davon sozial und kulturell eingesetzt. Leute wie er sind bereit, Millionen freiwillig abzugeben. Aber sie sollten selbst aussuchen dürfen, wofür und für wen.

Gehen Sie eigentlich noch auf Berge?

Auf kleinere Dolomitengipfel. Mein Sohn nimmt mich ab und zu in steileres Gelände mit. Aber die großen Abenteuer? Nein, das wäre Überheblichkeit gegenüber der Natur. [ Multhaupt/laif/picturedesk.com]

ZUR PERSON

Reinhold Messner (72) wuchs in Südtirol auf. Nach dem Studium (Vermessungskunde) arbeitete er ein Jahr lang als Hilfslehrer, dann konzentrierte er sich aufs Bergsteigen. Er bestieg alle 14 Achttausender und die „Seven Summits“, er durchquerte die Antarktis, Grönland, die Wüste Gobi und die Taklamakan-Wüste. Daneben publizierte er Bücher und baute das Messner Mountain Museum auf. Er lebt in Meran und auf Schloss Juval.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2016)

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