Neue Therapien entwickeln

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Eine kürzlich eingerichtete Stiftungsprofessur der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft stärkt die Krebsforschung an zwei Wiener Universitäten.

Lukas Kenner versteht sich als Übersetzer zwischen Human- und Veterinärmedizin. Genau das wird von ihm in seiner mit 1. Februar 2014 angetretenen Stiftungsprofessur für Labortierpathologie der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft auch verlangt. Kenner, ursprünglich als Humanpathologe ausgebildet und nun an der Veterinärmedizinischen Uni und der Medizinischen Uni Wien tätig, soll die Krebsforschung an beiden Wiener Universitäten zu stärken.

„Als Pathologe geht es auch um das Erkennen von Zusammenhängen. Nur durch die Zusammenschau zahlreicher molekularer Details kann das komplette Bild einer Krankheit verstanden werden. Der Schritt vom Tier zum Menschen ist dann nur noch ein kleiner“, ist der Labortierpathologe Lukas Kenner überzeugt. Gemeinsam mit einem Kollegenteam entwickelte er transgene – also genetisch veränderte – Mausmodellsysteme, deren Studienergebnisse sogar einem auf dem Sterbebett liegenden Menschen das Leben retteten. „Tiere, vor allem Labormäuse, werden in der Grundlagenforschung und der angewandten Krebsforschung seit Jahrzehnten eingesetzt und sind deshalb ein wichtiger Bestandteil der Forschung in der Humanmedizin“, so der Mediziner weiter. Einer ihrer großen Vorteile ist, dass Mäuse sich sehr rasch fortpflanzen und man dadurch viele Modellsysteme erhält. Genetisch sind sich Mensch und Maus sehr ähnlich, die Maus hat sogar ungefähr 1000Gene mehr als der Mensch.

Aggressive Tumorform. Kenners Forschungsschwerpunkte sind das Prostatakarzinom und der Lymphdrüsenkrebs, bei dem er sich auf eine extrem bösartige Tumorform spezialisiert hat: auf das sogenannte anaplastische, großzellige Lymphom. Drei Prozent aller Lymphdrüsenkrebspatienten sind betroffen, darunter insbesondere Kinder und Jugendliche. Dabei handelt es sich zwar um eine seltene, aber äußerst aggressive Tumorform: Unbehandelt führt sie innerhalb weniger Wochen zum Tod. Selbst frühzeitig, also innerhalb der ersten Tage erkannt, zeigen herkömmliche Therapien wie Chemotherapie und Stammzellentransplantation in 30 Prozent der Fälle keinen dauerhaften Erfolg.

Signalkette für Tumorentstehung. „Wir züchten seit 2006 im Rahmen einer Kooperationsstudie, an der das Ludwig-Boltzmann-Institut für Krebsforschung, die Veterinärmedizinische und die Medizinische Universität Wien beteiligt sind, transgene Mäuse mit dem hoch potenten Onkogen NPM-ALK, also dem Krebsgen, welches das anaplastische Lymphom verursacht.“ Die Eiweißmoleküle und die genetischen Veränderungen in den Mäusen wurden gescreent. So konnte ein Signalweg ausfindig gemacht werden, der für die Tumorentstehung verantwortlich ist. Die Wissenschaftler blockierten daraufhin die Signalmolekülkette, die Tumorbildung wurde gestoppt. Dabei griffen die Forscher auf ein bereits seit 2001 zugelassenes Medikament zurück: Imatinib wird bei anderen Tumorerkrankungen, die auf der gleichen oder ähnlichen Signalketten beruhen, zur Krebsbehandlung eingesetzt. Das Medikament schaltet einen speziellen Rezeptor aus, der den Stoffwechsel der Tumorzelle steuert. Ist der Rezeptor blockiert, kann der Tumor nicht mehr wachsen und bildet sich mit der Zeit zurück.

Totgesagter tumorfrei. Kenner und seine Kollegen testeten diese neu gefundene Therapieform des anaplastischen Lymphoms Anfang 2011 an einem Patienten, der keine Behandlungsoptionen mehr hatte. Er sprach auf keine Therapieform mehr an. Der sterbenskranke Patient stellte sich freiwillig zur Verfügung. Seine Aussichten: in ein paar Tagen zu sterben oder eine bislang nur an Mäusen getestete mögliche neue Therapieform auszuprobieren. „Wir waren von der radikalen Wirkung des Medikaments selbst erstaunt“, gibt Lukas Kenner zu. Innerhalb von elf Tagen war der totgesagte Patient tumorfrei. „Es ging so schnell, dass wir den Resttumor nicht einmal untersuchen konnten.“ Zweieinhalb Jahre nahm der Patient nun Imatinib ein, vor einem halben Jahr wurde es abgesetzt. Der Patient ist noch immer tumorfrei. Nun ist Kenner auf der Suche nach Partnerfirmen und Sponsoren, um klinische Studien durchführen zu können.

Mensch und Maus. Der Pathologe arbeitet mit feingeweblichen Untersuchungen und Screenings von Eiweißmolekülen und Nukleinsäuren in Tumoren von Mensch und Maus. In Kombination mit histologischen Methoden können auf diesem Weg auch funktionale Zusammenhänge in Krebszellen erforscht werden. „Wir haben gemeinsam mit der österreichischen Firma Tissue-Gnostics, die medizinische und biotechnologische Equipmentlösungen anbietet, eine Software entwickelt, die es ermöglicht, einzelne Proteine und andere Moleküle wie DNA und RNA mengenmäßig zu erfassen. Das erhöht die wissenschaftliche Genauigkeit enorm“, so Kenner.

Krebsforschung

Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft. Insgesamt finanziert die Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft drei neue Professuren mit Schwerpunkt Krebsforschung. Sie will damit die an ihren Instituten aufgebaute Expertise weiter in der Wissenschaft verankern.

Labortierpathologie ist eine Disziplin an der Schnittstelle von Human- und Veterinärmedizin. Lukas Kenner wurde mit 1. Februar auf den gleichnamigen Stiftungslehrstuhl berufen. Über ein sogenanntes „double appointment“ ist er an der Veterinärmedizinischen Uni Wien und der Medizinischen Uni Wien tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

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