Shirin Neshat: „Im Iran bin ich auf der schwarzen Liste“

Shirin Neshat
Shirin NeshatDie Presse
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Shirin Neshat lebt in New York, aber ihre grandiosen Fotos und Filme kreisen um die Menschen der muslimischen Welt, vor allem Frauen. Über die Obsession Heimat, zeitlose Gesichter und selbstverliebte westliche Kunst.

Die Presse: Ihre Fotoserien kreisen um Gesichter. Wie suchen Sie diese aus?

Shirin Neshat: Ich liebe es, wenn man auf Fotos nicht erkennt, aus welcher Zeit das Gesicht stammt. Wenn man nicht weiß, ob es aus dem zehnten oder 21.Jahrhundert kommt. Und ich scheide wirklich alle aus, die diesen Anspruch nicht erfüllen.

Finden Sie diese zeitlosen Gesichter überall auf der Welt?

Ja. Zunächst fotografiere ich Menschen ja auf gut Glück, dann wähle ich aus. Die Kamera hat nämlich ihren ganz eigenen Geist. Glauben Sie mir, es gibt Menschen, die auf der Straße so gewöhnlich wirken, aber auf dem Foto monumental! Und es gibt Menschen, die eindrucksvoll aussehen, aber auf den Fotos ihre Präsenz verlieren.

Für die Serie „Our House Is on Fire“ von 2011 haben Sie in Armut lebende alte Menschen in Kairo dabei fotografiert, wie sie einen traurigen Moment aus ihrem Leben erzählen. Wie bringen Sie Menschen dazu, sich so zu öffnen, so auszusetzen?

Das war wirklich herausfordernd. Ich wollte die Leute dazu bringen, einen Moment des Kummers mit mir zu teilen, und der Schlüssel dazu wurde mein Kameramann. Er hatte einen Monat zuvor seine 20-jährige Tochter bei einem Unfall verloren, weinte viel, sprach offen darüber. Das hat bei diesen Menschen die Türen geöffnet – zu sehen, dass wir nicht nur privilegiert sind. Ich habe auch von mir gesprochen, wir teilten die dunklen Seiten unseres Lebens. Langsam vertrauten sie uns. Ich fand Menschen, die so viel verloren, aber trotzdem so viel Liebreiz und Würde hatten ... Meine Bilder zeigen das, glaube ich.

Wann waren Sie zuletzt im Iran?

1996. Nach der Grünen Bewegung habe ich öffentlich das Regime kritisiert. Das Einreiseverbot ist nicht offiziell, aber ich wurde gewarnt – ich bin auf der schwarzen Liste.

Sie gingen als 17-Jährige knapp vor Beginn der Iranischen Revolution nach Los Angeles, besuchten 1990 erstmals wieder Ihre Heimat. Wollten Sie da schon als Künstlerin arbeiten?

Nein, die Reise war ein Schlüsselmoment. Ich kam in einen total veränderten Iran, und aus meinem Schock wurde eine Obsession. Es war meine Generation, die die Revolution gebracht hat, ich wollte das alles verstehen. Also recherchierte ich, studierte Philosophie, sprach mit Freunden, dachte immer noch nicht an Kunst. Und allmählich entstand „Women of Allah“.

Diese Fotoserie machte Sie in den Neunzigern bekannt. Es sind Schwarz-Weiß-Bilder von verschleierten, oft bewaffneten Frauen, auch Sie sind darunter.

Ja, ich versuchte, eine verlorene Verbindung wiederherzustellen. Viele haben es als Kritik gesehen – ich habe nur meine Fragen formuliert, zu Frauen, Religion, Gewalt ...

Den Fotos ist auch Text eingeschrieben, wie kamen Sie darauf?

Es gibt heilige Bücher im Islam, in denen man nur die Umrisse eines menschlichen Wesens sieht, die mit Text gefüllt sind. Da kam mir diese Idee. Zu Hause sah ich dann einen Teppich mit eingewebtem Text, die Zimmerdecke hatte Textornamente, in persischen Miniaturen sah ich auch Landschaften, die von Gedichten umgeben sind. Von dieser Tradition habe ich mir viel geholt.

Wie bewusst verarbeiten Sie überhaupt islamische Kunsttraditionen?

Die wesentlichen Inspirationen erkenne ich erst im Nachhinein. Wenn man mein Werk anschaut und dann die Geschichte islamischer, speziell iranischer Kunst – da sind so viele Parallelen! Minimalismus, Wiederholung, Symmetrie, Leerraum – meine ganze Arbeit ist eine Neubearbeitung klassischer islamischer Kunst. Das wusste ich aber zunächst nicht. Die Tradition war offenbar tief in mir, hat mich unbewusst genährt.

In Ihrer gestrigen Eröffnungsrede zur GlobART-Konferenz in Krems sprachen Sie von Gefahren für die Kunst; aber nicht von Diktatur, Zensur, sondern von zu viel Selbstkontrolle, Unterdrückung des Nichtrationalen, Nichtgreifbaren. Sie denken an westliche Länder?

Ja, viele erwarten von mir, dass ich aus Sicht einer Iranerin spreche. Ich bin aber eine Künstlerin und lebe in New York. Dort sehe ich zum Beispiel die Gefahr, dass Kunst inhaltslos wird. Dass sie vom Markt und vom Karrieredenken getrieben wird.

Fühlen Sie sich fremd in der New Yorker Kunstszene?

Eine interessante Frage. Ich habe mich sehr bewusst für ein paar Jahre von der Kunstwelt verabschiedet, um meinen Film „Women without Men“ zu machen ...

... der 2009 herauskam und die Schicksale von vier Frauen im Jahr 1953 zeigt. Ihr erster Film – warum ein Film?

Ich wollte mit dem Erzählen von Geschichten experimentieren, an die Ränder der Gesellschaft gehen, ein Publikum verändern. Ich habe sechs Jahre gearbeitet, ohne was zu verdienen. Ich wollte über die Welt der Galerien und Museen hinausgehen, und zwar in einem politischen Kontext.

In Ihrer GlobART-Rede fällt der Begriff „human bonding“, wäre das Ihr Programm, wenn Sie eines hätten – die Innenwelten von Menschen zu verbinden?

Sicher. Seien wir ehrlich, es hat etwas Narzisstisches, in einem Studio zu sitzen, sich genial zu fühlen, einen Pinselstrich zu machen und den dann um 300.000 Euro zu verkaufen. Ich bin lieber inmitten der Dinge.

Dafür, dass Ihr Werk versucht, Gegensätze zu überwinden, ist es erstaunlich voll davon – hell/dunkel, männlich/weiblich ...

Weil ich mich selbst von Gegensätzen voll fühle. Ich bin eine sehr sonderbare Person, ich wirke gelassen, bin aber auch sehr zerbrechlich, lebe in New York, bin aber eigentlich Iranerin, bin Fotografin, aber eigentlich Filmemacherin, bin in der Kunstwelt, aber tief in das politische Leben meiner Heimat verstrickt, reagiere sehr emotional, interessiere mich zugleich sehr für den intellektuellen Diskurs ... Das Nebeneinander der Gegensätze ist für mich die realistischste Beschreibung unserer Existenz.

„GLOBART“ IN KREMS

„(Un)sichtbar“ ist das Motto der heurigen GlobART-Konferenz: Bis Sonntag diskutieren Philosophen, Forscher und Künstler: darunter etwa Peter Sloterdijk, Regisseurin Jacqueline Kornmüller, BBC-Produzent John Lloyd, Soziologe Hartmut Rosa, Weltraumexpertin Claudia Kessler oder Neurologe Joachim Bauer. Shirin Neshat hielt am Donnerstag die Eröffnungsrede.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

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