Schöne Bescherung mit Kommissar Christkind

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Viele Wünsche, wenig Geld und ein langer Hebel: Was in der Weihnachtszeit in der Kommission wirklich passiert - und wer sich eine halbe Million Kubikmeter Styropor gewünscht hat.

Es wird scho glei dumpa im Bürokomplex Berlaymont, dem Hauptquartier der Europäischen Kommission. Durch die menschenleeren Korridore der Brüsseler Behörde weht der Wind, die Beamten sind in den wohlverdienten Ferien, das Klappern der diplomatischen Hartschalenkoffer ist verstummt, der letzte Expressbus Nr.12 hat das Europaviertel in Richtung Flughafen längst verlassen. Nur in der obersten Etage brennt noch ein Licht. Während die übrigen Eurokraten daheim im Kreise ihrer Liebsten Weihnachtskekse mümmeln, hält einer einsam Wacht: Es ist Kommissar Christkind, der wie jedes Jahr dafür zu sorgen hat, dass Europa die Geschenke nicht ausgehen.

Grübelnd beugt sich der Kommissar über seinen Schreibtisch, schweigend studiert er die Stapel mit Briefen an das Christkind, die seine eifrigen Helfer zurechtgelegt haben: In der Mitte die von livrierten Boten überbrachten Depeschen aus den Hauptstädten der großen Mitgliedstaaten – auf Büttenpapier mit goldener Prägung verfasste Wunschlisten mit Fußnoten, in denen auf diverse EU-Verträge verwiesen wird, und technischen Details im Anhang. Rechts daneben die Briefe aus Südeuropa, seitenlang, mit viel zu vielen Ausrufezeichen versehen und in einer unangenehm vorwurfsvollen Tonlage gehalten. Und am linken Rand die Zusendungen jener, denen es eigentlich an nichts mangelt.

Ganz oben, an der krakeligen Handschrift des Absenders leicht zu erkennen, liegt der Brief aus Österreich. Der „besonders brave Werner“ wünscht sich heuer vom lieben Christkind nicht weniger als 19 Geschenke im Gesamtwert von 28 Milliarden Euro, darunter eine Pumpspeicheranlage, einen Tunnel sowie eine halbe Million Kubikmeter Styropor zur thermischen Isolierung. Und die Dämmplatten sollen, bitte schön, einzeln verpackt sein, damit es bei der Bescherung sehr viel Freude gibt. Kommissar Christkind seufzt und legt den Brief zurück auf den Stapel.

Dass die Wünsche heuer so ausufernd sind, hat Kommissar Christkind sich selbst zu verdanken. Was er nach seinem Amtsantritt im November nicht alles versprochen hat! Wirtschaftswachstum, gut bezahlte Arbeitsplätze, die Grenzen ebenso dicht wie das soziale Netz, der Strom sauber und das Internet voller digitaler Wunder. Doch woher nehmen, wenn das liebe Geld fehlt?

Der Geistesblitz kam eines Abends beim Fernsehen, als Kommissar Christkind einen Dokumentarfilm über die wunderbare Welt des US-amerikanischen Finanzsystems sah. Die Sache mit den Derivaten, CDS, Algorithmen und Subprime-Hypotheken hat er zwar nicht ganz verstanden – es war schon spät, und außerdem hatte er sich als Schlummertrunk einen doppelten Cognac gegönnt –, doch eines ist ihm in Erinnerung geblieben: Um viel zu bewegen, ist erstaunlich wenig Geld nötig. Hauptsache, man hat einen langen Hebel. Und wie es der Zufall so wollte, hatte Christkind einen passenden Hebel daheim im Luxemburger Gartenhäuschen!

Nun lehnt der Hebel im Eck des Arbeitszimmers. Das Dumme ist nur, dass Kommissar Christkind in der Zwischenzeit vergessen hat, was er genau mit ihm machen muss – an dem besagten Fernsehabend hat er möglicherweise doch etwas zu tief in den Cognacschwenker geschaut. Soll er die Weihnachtspackerln in die Höhe hebeln, auf dass die Kinder nicht nach ihnen greifen können? Er weiß es nicht mehr. Und entschließt sich, die Stange an seine Unternehmerfreunde zu verkaufen. Bei Ikea zum Beispiel können sie ein Stück Holz immer gut gebrauchen. Vielleicht kommt so genug Geld für Geschenke zusammen...

In der Privatwirtschaft ist Kommissar Christkind wohlgelitten. In seinem früheren Leben war er nämlich Finanzminister und Regierungschef. Und hatte für jede Firma, die an seine Tür klopfte, ein Kuvert mit einem freundlichen Steuerbescheid zur Hand. Auch für Ikea gab es eine schöne Bescherung. Christkinds Herz ist nun einmal so weich wie feinste Brüsseler Cognactrüffel. Er kann einfach nicht Nein sagen. Leider haben die ehemaligen Kollegen Wind von seiner Großzügigkeit bekommen und sind jetzt böse. Möglicherweise wird Kommissar Christkind schon bald bei seinen Unternehmerfreunden anrufen müssen und die Geschenke von damals zurückfordern – bei Ikea und bei Disney, bei der Deutschen Bank ebenso wie bei Amazon. Ob sie ihn dann immer noch so gern haben werden?

Als er an Amazon denkt, kommt ihm die rettende Idee: Er wird die Geschenke online bestellen! Ein Buch ist doch schließlich die größte Freude, die man einem denkenden Menschen machen kann. Viel besser als Styropor – obwohl er sich beim besonders braven Werner diesbezüglich nicht hundertprozentig sicher ist.

Kommissar Christkind greift nach seinem Laptop, da fällt ihm ein: Das wird doch nichts. Bei Amazon wird gerade gestreikt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2014)

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