Belgien: Als Sultan Süleyman ein Superstar war

(c) New York, Metropolitan Museum Art
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Die Ausstellung „L'Empire du Sultan“ im Brüsseler Palais des Beaux-Arts zeigt den Einfluss der Osmanen auf Kunst und Lebensart der Renaissance. Ein Viertel der Exponate stammt aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum.

Der 29. Mai 1453 war vermutlich so etwas wie der 11. September 2001 des Spätmittelalters: An diesem Tag nahm die Armee der Osmanen Konstantinopel ein – das „Zweite Rom“ war gefallen, die gut tausendjährige Saga von Byzanz zu Ende. Doch wie so oft in der Geschichte markierte das 9/11 am Bosporus den Beginn einer neuen Epoche: Mit der Eroberung des Oströmischen Reichs wurden die muslimischen Herrscher am Goldenen Horn zum integralen Bestandteil Europas – und blieben es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Während auf der Iberischen Halbinsel die Reconquista in ihre Schlussphase trat – knapp vier Jahrzehnte später, im Jahr 1492, sollte mit Granada die letzte kontinentaleuropäische Bastion der arabischen Kalifen fallen –, klopfte der Orient laut an die Pforten Südosteuropas.

Diese wechselvolle Geschichte steht im Mittelpunkt einer Großausstellung, die am gestrigen Freitag im Palais des Beaux-Arts (BOZAR) in Brüssel eröffnet wurde: „L'Empire du Sultan“ (Das Reich des Sultans) widmet sich dem Einfluss der Osmanen auf Kunst und Lebensart des Zeitalters der Renaissance. Trotz der erbitterten Feindschaft war dieser Einfluss eindeutig spürbar – als Mischung aus Furcht und Faszination, von der sich unter anderem Albrecht Dürer, Gentile Bellini, Hans Memling und Jacopo Tintoretto inspirieren ließen. Anhand von 160 Exponaten wird gezeigt, wie im Laufe des 16. Jahrhunderts das westliche Bild vom Orient immer präziser wurde. Während Ende des 15. Jahrhunderts Sultan Mehmed II., „El Gran Turco“, mangels zuverlässiger Informationen noch als Fantasiegeschöpf samt feuerspeiendem Drachenhut abgebildet wurde, waren wenige Jahrzehnte später höfische Portraits alla veneziana gang und gäbe.

Der Teufel trägt Turban

Man könnte die Renaissance somit als erste Hochblüte des europäischen Orientalismus bezeichnen – allerdings ohne die paternalistischen Untertöne, die der US-amerikanische Kunst- und Literaturtheoretiker Edward Said in seinem 1978 publizierten Opus magnum „Orientalism“ angeprangert hatte. Denn noch war das multiethnische, multikonfessionelle Osmanische Reich nicht der „kranke Mann am Bosporus“, als der es im 19. Jahrhundert verspottet wurde, im Gegenteil: Die Osmanen galten in der Renaissance als fortschrittlich und kultiviert – weshalb man damals Uhren und wissenschaftliche Instrumente bevorzugt mit Arabesken und türkischen Figürchen verzierte.

Doch bevor es soweit war, dominierten Stereotype und Schlachtenpanoramen. Nach dem Fall Konstantinopels grassierte die Angst vor den Türken – auch in der Kunst. So war es Ende des 15. Jahrhunderts nicht unüblich, dem dargestellten Bösewicht einen Turban aufzusetzen – auch wenn es sich um einen römischen Kaiser handelte, der Jahrhunderte vor Mohammeds Geburt Christen verfolgte. Dessen nicht genug: Anlässlich der ersten Belagerung von Wien 1529 erstellte der Drucker und Graveur Hans Guldenmund auf fünfzehn Blättern (von denen einige im BOZAR bewundert werden können) ein Who-is-Who der Belagerer: Die Protagonisten dieses Türken-Quartetts sind Feldherren und Fußsoldaten des osmanischen Heeres.

Dass der Einfluss der Osmanen derart weitreichend war, hing mit drei Entwicklungen zusammen. Faktor eins war die Technologie: Der Vormarsch der türkischen Heerscharen fiel mit dem Triumphzug des Buchdrucks zusammen – und die exotischen Krieger lieferten den aufstrebenden Verlegern begehrtes Bildmaterial. Vom Militärischen war die Distanz zum Lifestyle nicht weit: Auf Rüstungen nach türkischer Façon folgten Orientteppiche, die erwähnten Arabesken – sowie der Kontusz, ein opulenter Gehrock nach orientalischer Manier, der beim polnischen Adel, der seine mythisch verklärten sarmatischen Wurzeln gerne in Zentralasien suchte, rasch zur Nationaltracht avancierte.

„Lieber Türke als Papist“

Der zweite Faktor war der aufkeimende Glaubenskonflikt zwischen Katholiken und Protestanten. Die Osmanen galten Martin Luther aufgrund ihrer religiösen Toleranz als Vorbild, und weil der Habsburger Kaiser des Heiligen Römischen Reichs ihr Feind war – getreu dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. So verwundert es nicht, dass in manchen protestantischen Milieus in den Niederlanden die Maxime „liver turcx dan pavs“ – lieber Türke als Papist – galt. Diese trotzige Sentenz ziert eine halbmondförm
Doch auch auf die christlichen Herrscher übten die osmanischen Kollegen durchaus ihre Reize aus – denn sie mussten sich nicht mit Andersgläubigen, aufmüpfigen Adeligen und renitenten Kirchenfürsten herumschlagen, sondern konnten autokratisch über ihre Untertanen verfügen. Superstar der Epoche war Sultan Süleyman I. der Prächtige, von dem im Brüssel mehrere Portraits (unter anderem von Paolo Veronese) gezeigt werden. Süleyman und seine ruthenische Gemahlin Roxelane (genannt „die Russin“) waren das „Power Couple“ des 16. Jahrhunderts – im Ausland bewundert, daheim verehrt.

Dass die Brüsseler Schau in dieser Ausführlichkeit zustande kommen konnte, hat das BOZAR dem Wiener Kunsthistorischen Museum zu verdanken: Rund ein Viertel der Exponate stammt aus den Beständen des KHM, zudem ist KHM-Mitarbeiter Guido Messling Mitglied des dreiköpfigen Kuratorenteams. Im Juni reist die aus EU-Mitteln kofinanzierte Ausstellung nach Polen, wo sie im Nationalmuseum Krakau vom 26. Juni bis 27. September zu sehen sein wird. Am Kunsthistorischen Museum finden von Mai bis Oktober thematische Rundgänge statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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