Staatsoper: „Elektra“, oder die Schönheit der Rache

(c) Staatsoper/ Michael Poehn
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Nina Stemme absolvierte ihr triumphales Debüt in der schwierigsten aller hochdramatischen Partien und erntete Ovationen. Ein exzellentes Sängerensemble agiert in der Produktion Laufenbergs im Kohlenkeller.

Da muss man Staatsopern-Direktor Dominique Meyer recht geben: 2300 Menschen waren live dabei, viel mehr Opernfreunde werden in 20 Jahren behaupten, dabei gewesen zu sein: Nina Stemme, die Nummer eins unter den Hochdramatischen, sang ihre erste Elektra.

Dass dieses Debüt ein Ereignis sein würde, war vorherzusehen. Wie gut diese Künstlerin schon zum Einstand diese vielleicht anspruchsvollste aller Sopranpartien bewältigen würde, hat dennoch wohl niemand vorausgeahnt. Die Kraftreserven der Stemme sind, man weiß es von vielen Brünnhilden und Isolden, schier endlos. Dass ihre Stimme auch bei den fulminantesten Ausbrüchen der Elektra ihre Strahlkraft nicht einbüßen würde, überraschte die Musikfreunde daher vielleicht weniger, als dass es der Stemme gelingen würde, die vielen zarten Töne, die Richard Strauss von seiner Heldin verlangt, zu anschmiegsam weich modellierten Phrasen zu binden.

Das macht der Stemme gewiss so leicht niemand nach. Das hat ihr, genau genommen, auch kaum jemand vorgemacht. In der jüngeren Vergangenheit hat jedenfalls keine Sopranistin diese Rolle dermaßen differenziert und dabei durchwegs wohlklingend zu singen vermocht. Ein paar Ausdrucksdetails, vor allem manch zynischer Unterton in den Dialogen mit der Schwester und der verhassten Mutter, werden sich noch einstellen. Was am Premierenabend zu hören war, hebt die Stemme jedenfalls sogleich in den dünn besiedelten Olymp der großen Elektra-Darstellerinnen.

Die Mutter sucht die Nähe zur Tochter

Dabei kam ihr die am Ende des Premierenabends von manchen arg zerzauste Regie durchaus zu Hilfe. Uwe Eric Laufenberg hat vor allem die Beziehung zwischen Elektra und Klytämnestra fein zu schattieren verstanden. Anna Larsson, eine exzellente Debütantin auch sie, gibt der Mutterfigur – von Marianne Glittenberg entsprechend glamourös kostümiert – hoheitsvolle Züge, zeichnet eine Frau, deren Nerven zwar zerrüttet sind, die aber die Contenance nicht verliert.

Berührend, wie sie sich in diesem Dialog zweier Frauen, die zueinander nicht finden dürfen, der ungeliebten, aber spürbar bewunderten Tochter zu nähern versucht, ja sogar den Körperkontakt sucht – bevor die Frage nach dem Bruder sie wieder zurückschrecken lässt.

Im Psycho-Kontrapunkt dieser radikalsten aller Richard-Strauss-Szenen verdichtet sich die Aufführung auch musikalisch enorm: Mikko Franck gibt dem Staatsopern-Orchester viel Zeit, alle Details der überreich illustrativen Partitur auszukosten. Er verliert darüber aber die Übersicht über den Spannungsbogen nicht.

Viele Aperçus, die stammelnden Fagott-Töne, wenn vom angeblich geistesschwachen Orest die Rede ist, die ungemein fragilen Pianissimi von Klarinette, Horn und Trompete während der „Erkennungsszene“, aber auch die grellen Fratzen von Klytämnestras Traumeswirren hört man nicht alle Tage so liebevoll modelliert.

Trotz so viel Kleinteiligkeit entfalten sich auch die gewaltigen Steigerungen, die sich jeder Straussianer von einer „Elektra“-Aufführung immer erhofft, mit aller gebotenen Gewalt. „Zu laut“, wie manche behaupten, wurde das Orchester diesmal nie: Selbst die von ineinanderverschachtelten Trompetenfanfaren angestachelten Fortissimi in der ekstatischen Schlussszene vermochten die Stimmen nicht zu schlucken. Die Soprane der Stemme und ihrer lebenshungrigen Schwester Chrysothemis, Ricarda Merbeth, überstrahlten jede orchestrale Entladung scheinbar mühelos.

Wobei die Leistung der im letzten Moment eingesprungenen Ricarda Merbeth besonderen Applaus verdient: So leuchtkräftig wird nicht bald eine Kollegin einer solch heroischen Elektra Paroli bieten können – und dabei ein mildes, humanes Licht in der Finsternis des grauenhaften Geschehens leuchten lassen.

Alle drei Frauenstimmen an diesem Abend markieren Spitzenplätze in der aktuellen Opernweltrangliste, denn auch die verzweifelten, oft verhalten geflüsterten Töne der Klytämnestra Anna Larssons machen die Nachtmahre der Albtraumwelt dieser Frau erregend vielgestaltig hörbar. Die Kraft der prächtigen Mezzostimme kann dann auch auf dem Gipfel der Auseinandersetzung mit der Tochter mithalten.

Luxuriöse Besetzung bis ins Kleinste

Die Herren gehören zu den guten alten Bekannten: Der Orest von Falk Struckmann beeindruckt nach wie vor mit viriler Ausdrucksstärke. Norbert Ernst gibt dem Aegisth das nötige scharfe Profil. Im übrigen Ensemble findet sich kein Schwachpunkt. Eher schon fallen luxuriöse Besetzungen kleiner Partien auf, der junge Diener Thomas Ebensteins beispielsweise, der Pfleger Wolfgang Bankls oder die mehrheitlich sehr wortdeutlichen Mägde (voran Ulrike Helzel, Ildiko Raimondi und Minika Bohinec); bei hoher Textverständlichkeit ist schon der Eingangsszene höchste Brisanz gesichert.

Was die Wiener Staatsoper – nicht nur, aber nicht zuletzt bei Richard Strauss – heute zu leisten imstande ist, sichert dem Haus international seine singuläre Stellung.

Und die Inszenierung? Man wird sich an den Kohlenkeller samt Paternoster gewöhnen, den Rolf Glittenberg an Stelle des mykenischen Palastes auf die Bühne gewuchtet hat. Von ein paar entbehrlichen Momenten (vor allem den nackten Mädchen, die von den Dienerinnen zu Beginn geduscht werden, und dem exzentrischen Schlussballett) abgesehen, stört kaum eine Regie-Idee die Handlung. Solange dermaßen meisterlich gesungen wird wie bei dieser Premiere, findet „Elektra“ auf eine Weise statt, wie sie – dank der orchestralen Strauss-Kompetenz – vielleicht nur in Wien stattfinden kann.

Weitere Aufführungen: 1., 4., 7., 11. und 16. April.

Livestream am 11. April: www.staatsoperlive.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2015)

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