Der späte König der Echsen

Geologist Bill Simpson uses a feather duster to clean the 67-million-year-old Tyrannosaurus Rex fossil known as ´SUE´ at The Field Museum in Chicago
Geologist Bill Simpson uses a feather duster to clean the 67-million-year-old Tyrannosaurus Rex fossil known as ´SUE´ at The Field Museum in Chicago(c) REUTERS (JIM YOUNG)
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Fraß er Aas? Hatte er Federn? Tyrannosaurus Rex ist noch immer für Rätsel gut. Die Forscher interessieren sich auch für seine bescheidenen Verwandten.

Am Ende des Films „Jurassic World“ sieht man ihn einmal noch, allein unter der untergehenden Sonne, wie er auf den verlassenen Park blickt und brüllt: Tyrannosaurus Rex, König der schrecklichen Echsen, erstmals beschrieben 1905 vom US-Paläontologen Henry F. Osborn. Der zunächst nur eines von zwei Skeletten so nannte, das andere ordnete er der Art Dynamosaurus imperiosus zu. 1906 erkannte er, das beide zur selben Art gehören. 1910 stellte er im American Museum of Natural History ein fast komplettes Skelett auf: Sein T. Rex stand aufrecht, wie ein Känguru, als ob er auf dem Schwanz balanciere.

So ist er als Lebendiger nicht gestanden, das hätten seine Gelenke nicht ausgehalten, das wissen die Forscher seit 45 Jahren, doch die Museen brauchten lang, bis sie sich bzw. die Skelette auf eine horizontalere Körperhaltung umgestellt hatten.

Es gibt an die 20 fast komplette Skelette, sie tragen amerikanische Namen wie Black Beauty, Sue, Stan, Bucky oder Jane, meist nach ihren Entdeckern. Sie stehen alle in Museen in den USA oder Kanada – nur eines, 2013 in Montana gefunden, soll ab Herbst 2016 im niederländischen Nationalmuseum in Leiden ausgestellt werden. Sein 1,5 Meter langer, 500 Kilo schwerer Schädel wurde kürzlich am Fraunhofer-Institut in Fürth mit Computertomografie durchleuchtet: Die kleinen Knochenstrukturen in der Nase sind besonders interessant, doch davon später.

Er ist überhaupt ein amerikanischer König, der Tyrannosaurus: Die Skelette wurden alle in Nordamerika gefunden, die meisten in der Hell-Creek-Formation, in den kargen, von der Erosion zerrissenen Badlands der Bundesstaaten Montana und South Dakota. Dass er sich nicht auf andere Kontinente ausbreiten konnte, liegt schlicht daran, dass in seiner Zeit das Festland schon ähnlich strukturiert war wie heute. Es war die ganz späte Kreidezeit, von vor 68 bis vor 66 Millionen Jahren, die letzten drei Millionen der 170 Millionen Jahre, in denen die Dinosaurier die Erde dominierten. Man kann sagen: Er war eines der Opfer des Meteoriten, dessen Einschlag – wahrscheinlich im Golf von Mexiko – das Massensterben auslöste, mit dem wir heute die Grenze von der Kreide zum Tertiär definieren.


Ein Sonderling. So berühmt der Tyrannosaurus ist, so einsam stand er lang in der Systematik der Saurier. „Er war ein Sonderling“, schreibt der schottische Paläontologe Stephen Brusatte im Scientific American (5/2015), „ein Geschöpf, das um so viel größer und so dramatisch anders war als andere bekannte fleischfressende Dinosaurier, dass es schwer war, ihn im Familienalbum der Dinosaurier zu platzieren.“

2010 erhellte ein an sich unscheinbarer Fund die Vorgeschichte von T. Rex: im westlichen Sibirien ausgegrabene Knochen eines menschengroßen, fleischfressenden Dinosauriers, der vor ungefähr 170 Millionen Jahren lebte. Man nannte ihn Kileskus, das heißt Eidechse auf Chakassisch. Er ähnelt in einigen Eigenheiten – etwa einem knöchernen Kamm am Oberkiefer – einem Saurier, der zehn Millionen Jahre später in China lebte: Guanlong, das heißt gehörnter Drache. Und der hat nicht nur einen auffälligen Kamm, den seine Entdecker „Krone“ nannten, weil er sich nicht zum Kämpfen, sondern nur zum Herzeigen eignet, sondern auch miteinander verwachsene Nasenbeine, wie sonst nur Tyrannosaurier, deren Schnauze ganz typisch ist.

Diese relativ kleinen Saurier standen am Beginn der Evolution der Familie, deren stolzester Sohn Tyrannosaurus Rex werden sollte, schlossen die Forscher. „Der König der Dinosaurier gehörte nicht zu einer Dynastie riesiger Räuber, sondern hatte recht bescheidene Wurzeln“, schreibt Brusatte. Wobei das nichts wirklich Sensationelles ist: Unsren Vorfahren vor 105 Millionen Jahren – kleinen, verhuschten, spitzmausähnlichen, aus Angst vor den Sauriern nur in der Nacht aktiven Tieren – hätte auch niemand vorausgesagt, dass aus ihnen einmal das intelligenteste Wesen der Erde werden sollte. Die Katastrophe der Kreide-Tertiär-Grenze hat beim Aufstieg geholfen.

Dass es die Tyrannosauroidea – so nennt man die Überfamilie – an die Spitze der Nahrungskette geschafft haben, liegt vielleicht auch daran, dass ein Massensterben vor ca. 94 Millionen Jahren diverse Konkurrenten (etwa den Allosaurus) aus dem Weg geräumt hat. Als sie an der Spitze waren, wuchsen sie jedenfalls. Und zwar schnell, auch als Individuen: Ein T. Rex nahm in seiner Jugend mehrere Kilo pro Tag zu. Als Erwachsener wog er an die sechs Tonnen, doch er hörte sein Leben lang nicht zu wachsen auf: Das sieht man an den Knochen älterer Tiere.

Das könnte einen Streit schlichten helfen: War T. Rex wirklich ein Räuber oder nur ein Aasfresser? Das glaubt Jack Horner vom Museum of the Rockies, der Steven Spielberg bei „Jurassic Park“ beraten hat. Er glaubt, der Tyrannosaurus habe für einen erfolgreichen Räuber zu schlecht gesehen, auch seine Ärmchen hätten ihm beim Greifen der Beute schlechte Dienste geleistet. Dafür habe er ein überproportional großes Riechzentrum gehabt, was beim Schnüffeln nach Aas hilft. Für den „Killer“ T. Rex sprechen seine riesigen Zähne – und die Entdeckung eines solchen Zahnes zwischen den Schwanzwirbeln eines Hadrosaurus. Ein Kompromiss wäre, dass T. Rex in rüstigen Jahren jagte und sich im Alter, wenn ihm schon die eigenen Knochen zur Last wurden, auf das Suchen nach Aas verlegte.

Der Kleinste unter den Verwandten des T. Rex lebte vor ca. 135 Millionen Jahren im heutigen China: Dilong, chinesisch für Erddrache, heißt er. Und er hatte Federn. Keine Flugfedern natürlich, nur Flaum, der ihn warm hielt und/oder für potenzielle Sexualpartnerinnen hübsch aussehen ließ. Hatte auch T. Rex womöglich Federn statt Schuppen? Oder hatte er wie heutige Riesen – Elefanten, Nashörner – gar keine Körperbedeckung? Wir wissen es nicht. Dafür sagen uns die Systematiker: Tyrannosaurus ist mit den Vögeln näher verwandt als alle anderen heute lebenden Tiere. Großer, böser Vogel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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