Was in den Köpfen anderer vorgeht

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Salzburger Forscher untersuchen, ab wann Kinder sich in andere hineinversetzen können. Das ist auch bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz wichtig.

Wann versteht ein Kind, dass die eigene Vorstellung von einem Stück Schokolade nicht mit der Vorstellung, die ein Freund von einem Stück Schokolade hat, übereinstimmen muss? Die Frage, wie und wann sich Menschen in Gedanken und Handlungsweisen anderer hineindenken können, beschäftigt Josef Perner, Professor für Psychologie an der Uni Salzburg, seit Jahrzehnten. Es gehe darum, zu verstehen, nach welchen Prinzipien eine andere Person handelt, erklärt Perner, der heute in Alpbach an der Plenardiskussion über „Artificial Intelligence“ teilnimmt.

Dieses Bewusstsein ist die Basis unseres sozialen Handelns, es befähigt aber auch dazu, andere bewusst anzulügen. In den 1980er-Jahren entwickelte Perner gemeinsam mit Heinz Wimmer einen Test, mit dem man feststellen kann, ob ein Kind diese „Theorie des Geistes“ schon beherrscht oder nicht. Üblicherweise können Kinder ab dem vierten oder fünften Lebensjahr artikulieren, was in den Köpfen anderer Menschen vorgeht. Doch intuitiv ausgeprägt dürfte die Fähigkeit schon viel früher sein.

Im Normalfall mache man sich keine Gedanken über die Seele des anderen, erläutert Perner: „Erst wenn etwas nicht funktioniert, fangen wir zu psychologisieren an.“ Zu Beginn seiner Arbeit war er davon überzeugt, dass die „Theorie des Geistes“ dazu diene, individuelle Ziele besser durchzusetzen. Doch das hat sich gewandelt: Das Verständnis für die Perspektive des anderen befähige zu gemeinschaftlichem Handeln: „Wir haben eine natürliche Einstellung zur Kooperation.“ Dem Menschen gehe es nicht nur um individuelle Ziele.

Ordner im Gehirn verknüpfen

Längst beschränken sich Perner und seine Kollegen nicht mehr auf Tests, bei denen Kindern Keksdosen mit erwartbarem oder nicht erwartbarem Inhalt vorgelegt werden. Mit Magnetresonanzmethoden untersuchen sie, welche Gehirnareale aktiv sind, wenn wir uns mit der Perspektive anderer beschäftigen.

Eine neue Hypothese zum Verständnis der Vorgänge nennt Perner „Mental Files“: Ordner im Gehirn, in denen verschiedene Informationen gespeichert werden, könnten in der „Theorie des Geistes“ ein Schlüssel sein. Alles, was man über ein Objekt weiß, wird in Ordnern abgelegt. Wenn man Ordner, die das gleiche Objekt unter unterschiedlichen Perspektiven darstellen, miteinander verknüpfen kann, entsteht die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen.

Das Wissen über die Funktionsweise der „Theorie des Geistes“ könnte die Basis für Therapien bilden, etwa für Menschen, die wie Autisten diese Fähigkeit nicht haben. Auch bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz kann das Wissen eine Rolle spielen.

Bisher stehe dabei meist im Mittelpunkt, wie ein Individuum seine individuellen Ziele besser verfolgen kann, gibt Perner zu bedenken. Er wünscht sich, dass in der Diskussion nicht auf die natürliche Ausrichtung auf Kooperation vergessen wird. (c. l.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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