Puccini scheitert an der Mauer

BREGENZER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE 'TURANDOT'
BREGENZER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE 'TURANDOT'APA/DIETMAR STIPLOVSEK
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„Turandot“ auf der Seebühne: In Marco Arturo Marellis Inszenierung ringen wieder sowohl Calaf als auch der Komponist selbst um die eiskalte Prinzessin.

Da hebt es selbst den greisen Kaiser von China (Manuel von Senden) noch einmal vor lauter Erleichterung und Anerkennung aus seinem Rollstuhl: Endlich hat ein kühner Freier die drei Rätsel der ebenso schönen wie männermordenden Prinzessin Turandot gelöst und wird deshalb nicht enthauptet. Der Bann ist gebrochen, sie muss sich, ihrem Schwur gemäß, dem Fremden hingeben. Doch der bietet ihr einen Ausweg durch seinen Tod an, wenn sie bis zum nächsten Morgen seinen Namen herausfindet. Der fremde Prinz heißt Calaf, wird er ihr schließlich selbst verraten – und ist doch zugleich der Komponist Giacomo Puccini, wie sein Äußeres klar macht: Das Ringen um Turandot, die „von Eis Umgürtete“, und das Ringen um die Fertigstellung der gleichnamigen Oper, seinen unvollendet gebliebenen Schwanengesang, sollen also szenisch eins werden.

Das macht den Kern von Marco Arturo Marellis Regiekonzept aus, das nicht nur von der Bregenzer Seebühne her bekannt ist, wo die Produktion 2015 Premiere hatte, sondern zuvor auch aus Stockholm und Graz sowie seit April auch aus der Wiener Staatsoper. Gerade diese letzte Version habe zu einigen Modifikationen geführt, die nun auch in die Bregenzer Fassung eingeflossen seien, heißt es. Gravierend waren sie nicht, deshalb bleiben die zentralen Einwände gegen Marellis Sicht in Kraft: Während der treuen Sklavin Liù Folter angedroht wird, sie sich aus Liebe den gesuchten Namen aber nicht entreißen lassen will und den Freitod wählt, ist Calaf gefesselt – so weit, so gut. Als sein Alter Ego Puccini müsste er jedoch federführend an ihrem Ende beteiligt sein, denn ihr Opfer hat der Komponist nach langem Hin und Her von seinen Librettisten extra eingefordert. Entscheidend müsste dann der alles verändernde Kuss sein, dem Puccini sogar ein eigenes Intermezzo sinfonico widmen wollte, für den er aber nicht mehr die rechte Musik finden konnte. Im Original überwältigt Calaf Turandot mit seiner Leidenschaft, bei Marelli geht die ungestüme Initiative eindeutig von ihr aus. Ist es ein (später) Musenkuss, ein emanzipatorischer Akt?

Ein China voller Feuer und Eis

Ein geöffneter Strich in der ansonsten herkömmlich gekürzten Komplettierung der Oper durch Franco Alfano hilft beim Verständnis auch nicht fundamental weiter – obwohl Paolo Carignani und den Wiener Symphonikern wieder eine stringente Balance zwischen zielstrebig-dramatischer Schlagkraft und Sorgfalt beim Auffächern der impressionistischen Valeurs gelingt. Dass aber Puccinis Tod nicht auf die Bühne kommt, sondern der Schluss als herkömmliches Lieto fine behandelt wird, lässt Marellis zunächst hochtrabende Ambitionen im Konventionellen versickern: Daran ändern auch die Fontänen nichts, die am Ende aus der riesigen chinesischen Mauer sprühen, die sich wie ein Drachenleib aus dem Bodensee windet, während sich freilich der Großteil des Geschehens auf und in dem drehbaren Zylinder davor abspielt, dessen Deckel sich heben kann. Die Schauwerte sind dosiert, aber etwas ziellos – und kommen jedenfalls nicht zu kurz. Feuer trifft auf Eis oder Wasser, Akrobaten schwingen Stoffbänder und Schwerter, Lampions leuchten, Projektionen erhellen die Vergangenheit, das klangvolle Ministertrio tänzelt, archiviert Prinzenköpfe in Formaldehyd und träumt vom kleinen Glück auf dem Land, und auch ein sensationsgeiles Opernpublikum mischt sich (in Puccinis Vorstellung) zwischen die chinesischen Untertanen.

Rafael Rojas war schon im Vorjahr in einigen Bregenzer Vorstellungen als Calaf aufgetreten. Bei dieser Wiederaufnahme machte er von der Gesangskultur her anfangs einen etwas rustikalen Eindruck, steigerte sich aber zu immerhin unerschütterlicher Verlässlichkeit. Den Künstler Puccini kann er zwar ebenso wenig wirklich glaubhaft machen wie den romantischen Prinzen, aber er punktet als solider vokaler Handwerker.

So musste er sich auch in der Rätselszene nicht hinter den metallischen Attacken der Turandot verstecken, sondern absolvierte selbst das traditionell eingelegte hohe C („ti voglio ardente d'amor“) ohne Wackler. Dass sein „Nessun dorma“ eher unauffällig geriet, lag an der durchschnittlichen Qualität von Timbre und Phrasierung. Mlada Khudoley wirkte sängerisch freier, ruhiger als 2015. Verletzlich und gewandelt wirkt sie auch am Schluss nicht, hat aber die nötige Durchschlagskraft und kann ihr gewichtiges Material auch in der Höhe noch treffsicher einsetzen. Guanqun Yu wiederholte als berührende Liù ihren Erfolg vom vergangenen Sommer: Den mitfühlenden Nachruf, den ihr Mika Kares als Timur bereitet, hat sie sich redlich verdient.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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